Bob Dylan hat über 500 Lieder komponiert. Viele davon sind nur Dylanologen im Ohr geblieben. Viele sind aber auch zu Allgemeingut geworden. Melodien und Textzeilen haben sich ins Gedächtnis von Millionen Menschen eingegraben. Selbst wenn sie keine Dylan-Fans sind, werden sie die Zeile The answer, my friend, is … spontan ergänzen können: …blowin’ in the wind.
Wie konnte der Mann, der am Montag 80 Jahre alt wird, so allgegenwärtig werden? Und es über Jahrzehnte bleiben? Er, dessen Gesangskünste bestenfalls diskutabel und dessen Gitarrenspiel eher durchschnittlich ist. Wie konnten die Mitglieder der Schwedischen Akademie ihm den Nobelpreis für Literatur zuerkennen? Warum haben Millionen seine Platten gekauft? Warum besuchen sie seine Konzerte? The answer, my friend, …
Na ja, vielleicht lässt sich im Wind doch eine Antwort greifen. Lassen wir das Werk für den Meister sprechen. Und wir testen dabei gleichzeitig, liebe Leserinnen und Leser, Ihr Wissen über Bob Dylan.
Ein unruhiger und aufmüpfiger Geist
Seine frühen Songs sind formal im Folk-Genre zu verorten. Inhaltlich entwickelte sich der folk singer mit der Gitarre und der Mundharmonika bald zum protest singer, zum unruhigen, aufmüpfigen Geist der fragte how many roads must a man walk down?1 (Aus welchem Song das Zitat stammt? Unten im Anhang zu finden). Der junge Dylan nahm die Rolle des Anklägers ein. Er verdammte die Kriegstreiber: You that build all the guns, You that build all the death planes. You that build the big bombs2. Er nannte die Rassisten und Mörder beim Namen: William Zanzinger killed poor Hattie Carroll3.
Er war auch derjenige, der mahnte, dass uns das Wasser bald bis zum Hals steht. Come gather round people wherever you roam and admit that the waters around you have grown. And accept it that soon you’ll be drenched to the bone4. Leute, kommt zusammen und gebt es zu, das Wasser ist gestiegen. Akzeptiert, dass ihr bald bis auf die Knochen durchnässt sein werdet.
Auf die Rolle des politischen Agitators wollte sich der rastlose junge Barde nicht festgezurrt sehen. Über Schubladendenken machte er sich gern lustig. Legendär ein Interview von 1965. Auf die Frage, wie viele Protestsänger es denn gebe, antwortete er: „Hm...es sind entweder 136 oder 142.“
Ausbruch aus dem Folk-Zirkel
Dylan brach zum Ärger vieler Anhänger schnell aus dem Folk-Zirkel aus. Und erschloss der Populärmusik bis dahin ungehörte textliche Dimensionen. Natürlich, auch er schrieb die unvermeidlichen Liebeslieder. Why wait any longer for the one you love, when he’s standing in front of you5. Warum auf den warten den man liebt, wenn er doch vor einem steht.
Tiefer gingen allerdings seine Trennungslieder, teils von ätzender Bitterkeit erfüllt. Go away from my window, leave at your own chosen speed, I’m not the one you want babe, I’m not the one you need6. Verschwinde, ich bin nicht der, den du willst, ich bin nicht der, den du brauchst.
Andererseits konnte er aber auch der sein, der seinem kleinen Sohn zarte Worte mit auf den Lebensweg gibt. May your heart always be joyful, may your song always be sung7. Dein Herz möge immer frohgemut sein, deine Lieder mögen immer gesungen werden.
Bob Dylan hat auch eine düstere Seite
Aber Dylan kann auch düster. Er beschrieb Horrorszenarien: I saw a newborn baby with wild wolves all around it8. Ein Neugeborenes, umringt von Wölfen. Er ahnte den nahenden Tod: Mama take this badge from me, I can’t use it anymore; It’s getting’ dark, too dark to see9. Mama, nimm mir das Abzeichen ab, ich brauche es nicht mehr; es wird dunkel, zu dunkel um was zu sehen.
Und auch grotesk ging immer. God said to Abraham: Kill me a son; Abe says: Man, you must be puttin’ me on10. Gott sagte zu Abraham: Töte einen Sohn für mich. Abe sagt: Mann, du veräppelst mich wohl.
Und natürlich, da haben seine Kritiker recht, auch verschwurbeltes Wortgeklingel produzierte er gerne mal. Far between sundown’s finish and midnight’s broken toll, we ducked inside the doorway, thunder crashing11. Ein Übersetzungsversuch könnte so lauten: Fern, zwischen dem Ende des Sonnenuntergangs und der geborstenen Glocke der Mitternacht, duckten wir uns in den Eingang, als Donner krachte.
Tja, klingt im Original besser, imposanter.
Ausufernde Assoziationsketten lassen Freiraum für Interpretationen
Dylan ist der Meister der rätselhaften Reime, seine ausufernden Assoziationsketten lassen Freiraum für Interpretationen. She knows there’s no success like failure and that failure’s no success at all12. Es gibt keinen Erfolg wie das Scheitern und Scheitern ist gar kein Erfolg?
Da wird dem Zuhörer schwindlig. Und Dylan singt spöttisch dazu: Something is happening here, but you don’t know what it is, do you, Mr. Jones13? Hier passiert was, aber du weißt nicht was, nicht wahr Mr. Jones?
Vermutlich waren Dylan, wenn er an seinen Songs bastelte, manchmal selbst die Sinne vernebelt. Well, they’ll stone you when you’re trying to be so good...but I would not feel so all alone, everybody must get stoned14. Ja, das kennen wir. Da versuchen wir so brav zu sein. Und dann gibt's was auf die Nuss. Aber da müssen wir uns deswegen nicht einsam fühlen. Jeder muss mal gesteinigt werden. Oder meint Dylan an der Stelle doch: Jeder muss mal bekifft sein? Wir können es uns raussuchen.
Seine Lebensweisheiten haben sich im Sprachalltag eingenistet
Viele Dylansche Lebensweisheiten haben sich im anglo-amerikanischen Sprachalltag eingenistet. You don’t need a weatherman to know which way the wind blows15. Du brauchst keinen Meteorologen um zu wissen woher der Wind weht. Don’t follow leaders, watch the parkin’ meters15. Folge keinen Führern, pass auf die Parkuhren auf. To live outside the law, you must be honest16. Wenn du außerhalb des Gesetzes leben willst, musst du ehrlich sein. Aha. Und noch was: When you got nothing, you got nothing to lose17. Wenn du nichts hast, hast du nichts zu verlieren. Wohl wahr.
Dylan hat viel gewonnen. Ein weltweites Publikum, den Nobelpreis für Literatur, die Anerkennung der Kolleginnen und Kollegen. Seine Songs sind tausendfach gecovert worden. Manche seiner Lieder werden gar nicht mehr als „sein“ Lied wahrgenommen. Zum Beispiel wenn die Byrds ihre Zuhörer mit auf ein magic swirlin’ ship18 nehmen, wenn Them und Van Morrison zum Gehen auffordern (You must leave now, take what you need you think will last19), wenn Jimi Hendrix sinniert, dass es hier doch einen Ausweg geben müsste (There must be some way out of here20) oder wenn Adele an einem regnerischem Tag eine wärmende Umarmung anbietet (When the rain is blowing in your face and the whole world is on your case; I could offer you a warm embrace21).
Bis auch ihn Corona rüde gestoppt hat, war Dylan rastlos unterwegs, hat Jahr für Jahr um die hundert Konzerte gespielt, stand auch in Weltstädten wie Augsburg, Neu-Ulm, Bregenz und Bad Mergentheim auf der Bühne.
Manche Besucher ärgern sich, dass er seine Songs „ganz anders“ interpretiert. Viele freuen sich, dass er eben keine am Original klebende Oldies-Show abzieht.
Voriges Jahr hat er noch mal eine neue Platte veröffentlicht. Auch die teils gegen den Mainstream gebürstet. Wer außer ihm wagt es schon, der Hörerschaft eine 17 Minuten lange, monotone Litanei mit Dutzenden von Anspielungen und Zitaten vorzusetzen?
Wem es nicht gefällt, dem hat Bob Dylan schon vor Jahrzehnten bissig vorgehalten: Don’t criticize, what you can’t understand4.
Aus diesen Songs ist zitiert - die Auflösung:
- Blowin’ In The Wind
- Masters Of War
- The Lonesome Death Of Hattie Carroll
- The Times They Are A Changin’
- Lay Lady Lay
- It Ain’t Me Babe
- Forever Young
- A Hard Rain’s A Gonna Fall
- Knockin’ On Heaven’s Door
- Highway 61 Revisited
- Chimes Of Freedom
- Love Minus Zero/No Limit
- Ballad Of A Thin Man
- Rainy Day Women #12 & 35
- Subterranean Homesick Blues
- Absoluteley Sweet Marie
- Like A Rolling Stone
- Mr. Tambourine Man
- It’s All Over Now, Baby Blue
- All Along The Watchtower
- Make You Feel My Love
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