Die einen jubeln, die anderen fassen sich entsetzt an den Kopf. Das ist das Faszinierende am Fußball: Ein einziges Tor kann die Welt verändern, für einen Moment zumindest, und die Emotionen sofort zur Explosion bringen. Besser so, möchte man sagen. Für den Ende April verstorbenen Schriftsteller Paul Auster war der Sport und besonders der Fußball der perfekte Kriegsersatz. Wobei sportliche Wettkämpfe erst recht kompliziert werden, wenn im wahren Leben dann tatsächlich die Waffen sprechen. Egal wo.
Umberto Boccioni malte die „Dynamik eines Fußballspielers“
Zurzeit regiert dennoch die Lust am sich „unblutig“ Messen, an virtuosen Spielzügen und überraschenden Toren, am Körperkult und an der Rasanz. Bewegung und Geschwindigkeit haben auch die Künstler der Moderne gereizt, gerade die Futuristen. Ein schneller Rennwagen war für ihren leider knallharten wie faschistischen Chefdenker Filippo Tommaso Marinetti schöner als die Nike von Samothrake. Und so malen die italienischen Kollegen nicht nur Lokomotiven und selbst Flugzeuge, sondern genauso die „Dynamik eines Fußballspielers“ – so lautet der Titel eines farbstark getüpfelten Hinguckers von Umberto Boccioni.
Das Bild aus dem Jahr 1913 zählt in seiner kubistischen Aufsplitterung zu den Höhepunkten einer bis Januar 2025 angelegten Großausstellung im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund. Das liegt nicht eben um die Ecke, in diesem Fall ist der Katalog freilich mehr als ein bequemer Ersatz. Denn man hat sämtliche Spielarten dieser Fußball-Malerei beisammen, und neben feinen Essays etwa von Horst Bredekamp oder Marion Ackermann sind die Erklärungen so kundig wie kurzweilig geschrieben, dass man den dicken Band nur widerwillig zur Seite legt.
Ein Werk von Maria Lassnig findet sich im Bildband „In Motion“
Natürlich finden sich viele sehr sportliche Szenen. Im „Ersten Spiel des British Ladies Football Club“, das Henry Marriott Paget 1895 in einer Lithografie festgehalten hat, sind die Frauen in Röcken und mit lustigen Kappen im Einsatz. Alle rennen aufs Tor zu, obwohl die Keeperin den Ball längst wieder abgeschossen hat. Den zwischen 15 und 26 Jahre alten Vereinsmitgliedern mangelte es übrigens an gegnerischen Mannschaften, deshalb mussten sie die Matches unter sich austragen. Einmal vor rekordverdächtigen 10.000 Zuschauern. Der Guardian hatte sogar eine Reporterin vorbeigeschickt, die vom „extrem hübschen“ Anblick der jungen Damen schwärmte und so gar nichts „Ungraziöses“ sah.
Das Gerangel gehört schon dazu, in Maria Lassnigs „Wettbewerb III“ (2000) pappen die Figuren förmlich aneinander, während sich im „Fußballspiel“ (1929) des einst in Zagreb lehrenden bosnischen Akademieprofessors Omer Mujadzic ein regelrechtes Knäuel aus Leibern bildet, vergleichbar einer Schlachtenszene aus der Renaissance. Überhaupt stürzen sich die Künstler mit Verve auf die sich verkeilenden Körper, als handelte es sich um den Raub der Sabinerinnen.
Salvador Dalí und Cecil Beaton befassten sich mit Fußball
Es geht aber auch sachlich kühl. Der Belgier Raoul De Keyser, der jahrzehntelang und voller Leidenschaft als Reporter im Stadion war, hat sich mit der Kamera an einsamen Fußballplätzen abgearbeitet und Detail für Detail eingesammelt. Im radikalen Zoom und übertragen auf die Leinwand wird aus einer weißen Kreidelinie auf grünem Rasen dann aufregende Farbfeldmalerei. Oder vermeintliche Abstraktion (um 1970).
Es ist schon erstaunlich, wie viele bekannte Namen sich künstlerisch mit dem Fußball beschäftigt haben, selbst Salvador Dalí und der noch versnobtere Cecil Beaton, Alfred Hrdlicka – auf der Illustration für Pablo Nerudas Gedichtband „Estravagario“ dribbelt ein Skelett mit dem Ball – und Friedensreich Hundertwasser, Ilja Kabakow oder Claes Oldenburg mit einem soften Matratzen-Spielfeld, frei nach dem Motto „sanfter stürzen“. Sogar Martin Kippenberger ist mit von der Partie: Der „Frosch am Kreuz“-Provokateur besingt „Die Schönheit der Frau in der europäischen Malerei“ (1981) und zeigt eine biedere Kostümträgerin mittleren Alters mit praktischem Kurzhaarschnitt, unspektakulärer Brille, Riemchensandalen und einem Fußball im Arm. Ihr Lächeln ist freundlich. Oder doch eher maliziös? Rette sich, wer kann.
Info: Manuel Neukirchner (Hrsg.): „In Motion. Kunst und Fußball“ (Deutscher Kunstverlag, 344 Seiten, 49 Euro)
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