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Friedensgutachten: Mehr Gewalt als je zuvor? Friedensforschungsinstitute in Deutschland warnen

Friedensgutachten

Mehr Gewalt als je zuvor? Friedensforschungsinstitute in Deutschland warnen

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    Wie lassen sich die globalen Bedrohungen entschärfen? Diese Frage schwebt über dem Friedensgutachten.
    Wie lassen sich die globalen Bedrohungen entschärfen? Diese Frage schwebt über dem Friedensgutachten. Foto: Frank Hammerschmidt, dpa

    Krieg in der Ukraine und in Gaza. Militärische Eingriffe in Konflikte wie zuletzt in Mali und Afghanistan zeigen kaum Erfolge. Die Bekämpfung von Hunger und Armut in der Welt stockt. Dschihadistische Gewalt grassiert in afrikanischen Ländern und extremistische Bewegungen bedrohen demokratische Strukturen weltweit. Wie lassen sich die globalen Bedrohungen entschärfen, die Toten verhindern, die Ursachen bekämpfen?

    Beim Friedensgutachten 2024 gibt es Konflikte unter Konfliktforschern

    In Zeiten wie diesen haben selbst Konfliktforscher Konflikte. Obwohl sie es besser wissen müssten. Wie Conrad Schetter von der Universität Bonn erklärt, stießen er als Herausgeber und die elf Verfasserinnen und Verfasser des Friedensgutachtens 2024 mitunter an ihre Grenzen. Der Geograf und Historiker, der zum Afghanistan-Konflikt promoviert hat, kam auf Einladung der Konflikt- und Friedensforscher der Universität Augsburg, der Stadt Augsburg, des Vereins Augsburg International und des Evangelischen Forums in den Augustanasaal, um das Gutachten unmittelbar nach der Präsentation vor Regierung und Ministerien in Augsburg vorzustellen. An der jährlichen Erstellung des Gutachtens beteiligen sich seit 1987 die vier Konfliktinstitute der Universitäten Bonn, Hamburg, Duisburg und Frankfurt.

    Die Gräben, die die Kriege in der Ukraine und in Gaza derzeit durch die deutsche Bevölkerung ziehen, trennten auch die Gutachter. So schwierig wie jetzt sei das noch nie gewesen, sagt Schetter. Das Gutachten sei ein Konsens-Gutachten, also eines, in dem um Formulierungen und Einschätzungen gekämpft wurde. Bei der Vorstellung in Berlin sei es kontrovers zugegangen. Manche beharrten auf der Staatsraison und der Nichtkritik an den militärischen Operationen Israels, andere betonten in der Diskussion die Eskalation durch die israelische Armee. "Der Terrorakt der Hamas begründete eine Verteidigung Israels. Ganz klar. Doch die inzwischen über 30.000 Toten übersteigen das Recht auf Selbstverteidigung deutlich", sagt Schetter. Aus Forschungssicht gilt eine Konfliktepisode erst dann als beendet, wenn innerhalb von einem Jahr weniger als 25 Menschen sterben. 

    Krieg in der Ukraine, Krieg in Gaza, die Friedenskommunikation scheitert

    Wie es global und national zu mehr Risikomanagement, trotz militärischer Unterstützung für die Ukraine auch zu Rüstungskontrollen, Waffenstillständen und Waffenruhen kommen kann, ist offenbar nicht mehr automatisch Konsens. Schon auf der vorgeschalteten, nationalen Ebene läuft die Mischung aus mehr Komplexität und steigendem Entscheidungsdruck in langwierigen Debattenschleifen ab. 

    Zudem folgten auch in Deutschland selbst belastende Konflikte in kurzen Abständen, sie verstärkten sich gegenseitig und verhinderten eine geschmeidige, friedensfördernde Kommunikation. Corona, der russische Angriffskrieg und der Gaza-Krieg trieben die Menschen auf die Straße, Wut und Emotionen ersetzten die notwendigen Konsens- und Erklärdebatten. In der Aufregungsspitze hält Schetter so manchen Antisemitismus-Vorwurf für unangebracht. Dass Israel jedoch einen Genozid begehe, wie auf propalästinensischen Demonstrationen skandiert wird, hält er ebenfalls für hohl. "Das nachzuweisen, ist ein Job der Forensiker. Deren Ergebnisse müssen wir abwarten."

    Die deutsche Friedenspolitik "taumelt ohne Kompass", sagt Schetter

    Im Konflikt mit Russland sei auf vermittelnde Staaten zu setzen, wie Schetter erklärt. Totale Distanz zu beiden beteiligten Seiten habe sich in der Forschung als weniger effizient erwiesen als eine gewisse Nähe zu einer der Parteien. Solche Mediatoren seien wegen der eigenen Interessen und ihrem größeren Einfluss auf wenigstens eine der Parteien von Vorteil. Dass unter den 90 Delegationen der jüngsten Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz auch Brasilien, Indien, Südafrika und Saudi-Arabien vertreten waren, stimmt Schetter etwas optimistisch: "Da ist etwas Dynamik drin, es bewegt sich was."

    Insgesamt, so die nüchterne Zusammenfassung des Experten, sei der friedensstrategischen deutschen Politik die Richtung abhandengekommen. "Sie taumelt ohne Kompass." Den internationalen Institutionen wie der UN fehle zudem die Power, um die Krisen zu meistern. Für eine globale Konfliktreduzierung müsse Deutschland sein politisches Gewicht einbringen, damit zuvorderst den multilateral vereinbarten Entscheidungen der UN Folge geleistet wird. 

    Info: Das Gutachten kann unter www.friedensgutachten.de kostenfrei heruntergeladen werden.  

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