"Der Tag danach" beschrieb Cindy Sherman eine ihrer jüngsten Schöpfungen - hochgeladen bei Instagram am 2. Weihnachtstag. Natürlich wieder ein Selbstporträt der Foto-Künstlerin, wie sie Hunderte in den vergangenen Jahrzehnten in verschiedensten Verkleidungen anfertigte. Doch das letzte Jahr änderte auch Shermans Arbeit - denn für die Bilder im Internet nutzte sie Künstliche Intelligenz. Sie spiele "nur ein wenig herum", kommentiert sie. Am 19. Januar wird sie 70 Jahre alt.
Bekannt wurde Sherman als künstlerisches Chamäleon, das sich mittels Make-up, Perücken und anderen Accessoires in verschiedene Charaktere verwandelte und dabei alltägliche Stereotypen aufdeckte. Ihre Fotos erlangen auf dem Markt Millionenbeträge.
Leere, Sex und Gewalt
Shermans Kunstwerk wird von Kritikern, Bewunderern und Kollegen gefeiert. "Man kann kein Foto mehr machen, ohne die gesamte Geschichte des Werkes von Cindy Sherman dahinter", sagte die Künstlerin Marilyn Minter einmal. Sherman wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Kaiserring der Stadt Goslar und der Max-Beckmann-Preis der Stadt Frankfurt.
1954 kam Sherman in einer kleinen Stadt in New Jersey zur Welt, wuchs jedoch auf Long Island, östlich von New York, auf. Als jüngstes von fünf Kindern fühlte sie sich manchmal als Außenseiterin in ihrer Familie. Sie erinnerte sich später: "Es war nicht so, als ob sie mich nicht mochten, aber ich kam so spät dazu und sie hatten schon eine Familie." Die Familie besuchte Manhattan mit seiner reichen Kulturszene nur einmal im Jahr für die Weihnachtsshow in der Radio City Music Hall. Nach ihrem Studium in Buffalo ermöglichte ihr ein Stipendium der US-Kunststiftung den Umzug in die Stadt.
Sherman tauchte in die Kunstszene der Metropole ein und wurde bald ein Star. Anstatt klassische Motive wie Schönheit und Anmut zu verfolgen, konzentrierte sie sich auf Leere und thematisierte Sex sowie Gewalt. Sie gab in Interviews an, bereits als Kind von Hässlichkeit fasziniert gewesen zu sein.
Laszive Monroe, erhabene Muttergottes
Sherman porträtiert Charaktere aus Antike, Malerei, Literatur, Märchen sowie aus Film und Mode. Sie fungiert als ihre eigene Maskenbildnerin, Friseurin, Regisseurin und Kamerafrau. In ihrer Wohnung im Szene-Viertel SoHo setzt sie sich selbst als laszive Marilyn Monroe, Fashion-Model, erhabene Muttergottes oder kreideweiße Leiche mit erloschenen Augen in Szene.
Nach einigen Beziehungen, die Schlagzeilen machten, unter anderem mit David Byrne, dem Sänger von Talking Heads, dem Künstler Richard Prince und dem Filmemacher Michel Auder, lebte Sherman lange als Single. An der Kunst jedoch hält sie fest, mehr und mehr auch im Kontext von KI. "Ich weiß nicht, ob ich es als Werkzeug verwenden würde, aber es gibt mir Ideen", sagte sie kürzlich in einem Interview. "Bei manchen Charakteren scheinen zwei Hände aus einem Arm herauszuwachsen oder das Gesicht wirkt irgendwie zerhackt". Dies inspiriere sie zu neuen Werken.
(Von Benno Schwinghammer, dpa)