Nicht nur zu Augsburgs berühmtestem Literaten Brecht gibt es immer mal wieder neue Erkenntnisse zu vermelden, sondern auch – bei naturgemäß dünnerer Quellenlage – zu Augsburgs bedeutendster kunsthistorischen Zeit, den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts, als auch zahlreiche hoch respektierte Maler das Ansehen der alten Reichsstadt mit ihrer ungeheuren wirtschaftlichen Macht hochhielten. An der Spitze standen Hans Holbein d. Ä., dessen 500. Todesjahr heuer gedacht wird, sowie Hans Burgkmair d. Ä., die zusammen (mit dem ebenfalls in Augsburg geborenen Holbein d. J.) auch die Künstlersäulen der derzeit im Frankfurter Städel laufenden Ausstellung "Renaissance im Norden" bilden – quasi ein Musstermin für alle historisch interessierten Augsburger.
Vom Großvater bis zu den Enkeln Hans Burgkmairs
Nahezu parallel zu dieser Schau ist nun ein gewichtiger wissenschaftlicher (Fortsetzungs-)Band zu Burgkmair d. Ä. erschienen, veröffentlicht vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München, enthaltend in sechs Beiträgen neue Forschungen zu dem 1473 geborenen und 1531 gestorbenen Augsburger. Annette Kranz, derzeit in der Alten Pinakothek München wissenschaftlich auch beschäftigt mit der venezianischen Malerei der Renaissance, hat darin auf über 300 Seiten den umfangreichsten, breit dokumentierten Beitrag verfasst: "Das Leben des Künstlers nach Archivalien und Selbstzeugnissen". Selbstverständlich greift ihre Grundlagenarbeit – kritisch prüfend – auf ältere Forschungen zurück, etwa jene von Tilman Falk, dem ehemaligen Augsburger Kunstsammlungsdirektor, doch nutzte sie für ihren 160 Jahre überblickenden Beitrag – vom Großvater bis zu den Enkeln Hans Burgkmairs – weitaus mehr Quellen, darunter neben den Steuerbüchern auch die Augsburger Baumeisterbücher, die hinsichtlich Burgkmairs noch einer systematischen Durchforstung harren.
Die wesentlichste Erkenntnis der Forschungen von Annette Kranz betreffen eine künstlerische Tätigkeit Burgkmairs, die bislang vermutet, aber noch nicht breit anhand etlicher Indizien belegt werden konnte: die Tätigkeit des Künstlers für die europaweit gefragte Augsburger Plattnerwerkstatt Helmschmid, die die führenden Fürstenhäuser mit (Prunk-)Harnisch versorgte. Damit wird ein weiteres Aufgabenfeld Burgkmairs offenkundig, der ja neben seiner herausragenden Malerei (Basilikatafeln in der Staatsgalerie, "Vermählung der Heiligen Katharina" in Hannover, Sebastian-Brant-Porträt in Karlsruhe) auch etliche weniger Renommee garantierende Arbeiten übernahm: so kunsthandwerkliche Entwürfe, Schildermalerei, Restaurierung, Bemalung zweier Augsburger Botentaschen.
Hans Burgkmair entwarf besonders edle Rüstungen
Für die Helmschmid-Werkstatt nun, mit der Burgkmair eine – wohl auch verwandtschaftlich bedingte – Freundschaft pflegte, dürfte der Künstler höchster Wahrscheinlichkeit nach besonders edle Rüstungen entworfen haben, wovon im Übrigen noch sein weniger begabter Sohn Burgkmair d. J. profitierte. Dies in plausibler Darlegung durch Annette Kranz nachzulesen und u. a. auch in Bezug zu den Burgkmair-Propaganda-Holzschnitten für Kaiser Maximilian I. gesetzt zu bekommen, ist ebenso spannend wie ihre gelieferten lebensnahen Einblicke in das Augsburger Sozialgefüge rund um 1500.
Gleichfalls faszinierend zu studieren, ist u. a. ein Beitrag, der eine weitere, Burgkmair betreffende Vermutung erhärtet: die eines Italien-Studienaufenthalts des Künstlers. Christoph Bellot, ausgewiesener Kunsthistoriker und Kenner der Augsburger Geschichte, schreibt darüber in "Welsches bei Hans Burkmair". Er terminiert die (kurze) Italienreise Burgkmairs auf den Sommer 1507 – praktisch im Anschluss an Dürers Italien-Rückkehr, die über Augsburg verlief. Zum Paradebeispiel für Burgkmairs Verarbeitung seiner Eindrücke der italienischen, speziell venezianischen Renaissance-Stilistik erhebt Bellot – neben vielen anderen Indizien – die heute im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg beheimatete "Thronende Madonna" von 1509 und darin insbesondere den ornamentalen Lünettenaufsatz am Thron mit Blätterranken und grotesken Mischwesen aus glänzendem Marmor. Bellot folgert nach seinem Indizienprozess: "Etwas wie den Dekor des Throns hätte sich Burgkmair vermutlich nicht aus zweiter Hand aneignen und dann so malen können, zur Form und zur Materialimitation bedurfte es der Vertrautheit mit Originalen."
Augsburgs Stadtschreiber Konrad Peutinger hatte großen Einfluss
Worin sich aber die beiden Forschungen von Kranz und Bellot treffen, dies ist die Einordnung des Einflusses vom Augsburger Stadtschreiber Konrad Peutinger auf Burgkmair. Kranz schildert und dokumentiert, wie Peutinger mehrfach Burgkmair protegierte hinsichtlich von Werkaufträgen – erfolglos übrigens beim Dom-Hochaltar 1509 –; Bellot seinerseits fasst sogar eine Entsendung Burgkmairs nach Italien durch die Humanisten Conrad Celtis und Peutinger ins Auge – und zwar im Interesse aller. Es sollte Burgkmair nicht zum Nachteil gereichen: So konnte er später in Augsburg vornehmlich italienische Vorlieben bedienen, während der Konkurrent Holbein eher für den altniederländischen Geschmack zuständig war.
Hans Burgkmair – Neue Forschungen II, 692 Seiten, Dietmar-Klinger-Verlag, 58 Euro