Spätestens seit Stephen Kings „Es“ gilt der Clown nicht mehr nur als lustig-trauriger Geselle, sondern birgt auch die Option zum Monströsen in sich. Diese Erkenntnis nutzte Christopher Nolans „The Dark Knight“ (2008) und erschuf einen Antagonisten mit verschmiertem Clownsgesicht, der das unkalkulierbare Böse kongenial verkörperte und die Tiefenverunsicherung der amerikanischen Post-Nine-Eleven-Gesellschaft in sich bündelte. Elf Jahre später widmete Regisseur Todd Phillips dem legendären Bösewicht einen eigenen Film.
Der erste „Joker“ wurde zum Milliardenerfolg
Joaquin Phoenix arbeitete sich in die Rolle des Straßenclowns Arthur Fleck, der sich nach einer Reihe von Erniedrigungen emotional radikalisiert und aus dem Leid heraus enorme, aggressive Energien freisetzte. Der Film tauchte tief ein in die gespaltene Seelenstruktur seines Titelhelden, der nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit irgendwann den Demütigungen ein Ende setzt, einen TV-Moderator vor laufender Kamera erschießt und damit zum unfreiwilligen Anstifter einer wütenden Straßenrevolte wird. „Joker“ erwirtschaftete ein Rekord-Einspielergebnis von über einer Milliarde Dollar und polarisierte sein Publikum. Die einen erkannten in dem düsteren Szenario das Psychogramm einer zutiefst gespaltenen US-Gesellschaft der Ära Trump. Andere sahen darin die Rechtfertigung von Aggressionen frustrierter, weißer Incel-Männer und eine Aufwiegelung zur Gewalt.
Fünf Jahre später bringt Todd Phillips nun das mit Spannung erwartete Sequel heraus. Dabei wird früh deutlich, dass er einen gezielten Gegenentwurf zum Vorgängerfilm anstrebt. War „Joker“ als urbanes Sittengemälde im Scorsese-Format angelegt, limitiert der Fortsetzungsfilm das Geschehen nahezu ausschließlich auf zwei Handlungsorte: das psychiatrische Hochsicherheitsgefängnis von Gotham City, in dem Arthur Fleck einsitzt, und den Gerichtssaal, in dem ihm der Prozess gemacht wird. Die Geschworenen sollen über die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten entscheiden. Seine Anwältin Maryanne Stewart (Catherine Keener) betont die gespaltene Persönlichkeit ihres Mandanten, der sich nach traumatischen Kindheitserfahrungen mit Joker ein zweites Ich aufgebaut habe.
Joaquin Phoenix und Lady Gaga spielen in „Joker 2: Folie À Deux“ Seelenverwandte
Aber Arthur Fleck scheint sich im Gefängnis aufgegeben zu haben, lässt sich widerstandslos von seinem Gefängniswärter Jackie Sullivan (Brendan Gleeson) drangsalieren, bis in der Musiktherapieklasse sein Blick auf Lee Quinzel (Lady Gaga) fällt. Lee ist ein echter Fan. Jokers mörderischer TV-Auftritt war für sie ein Erweckungserlebnis. Sie ist sich sicher, in ihm ihren Seelenverwandten gefunden zu haben, und Arthur lässt sich nur zu gern anstecken von ihrem anarchischen Liebes- und Lebenselan.
Zurück im Hochsicherheitstrakt fängt er leise an zu summen, zu singen und schließlich zu tanzen. Denn „Joker: Folie à deux“ ist nicht nur ein Knast- und Gerichtsfilm, sondern auch ein Musical. Immer wieder holt Phillips zu Gesangsnummern aus, in denen Joaquín Phoenix und Lady Gaga romantische Jazz- und Popmelodien intonieren. Die Musicaleinlagen sind zumeist eingebettet in Arthurs Visionen, mit denen er sich aus dem Gefängnis oder dem Gerichtssaal heraus träumt. Lee befeuert diese romantischen Bonnie&Clyde-Fantasien und hat ihre eigene manipulative Agenda. Sie will den Joker in Arthur zu neuem Leben erwecken. Denn wie die sensationslüsterne Presse und die Fans vor dem Gerichtssaal liebt sie vor allem die mediale Projektion des entfesselten Clownsmannes und nicht die verzweifelte Seele, die in ihm steckt.
Regisseur Todd Phillips serviert eine Romanze mit Musicaleinlagen
Unübersehbar sinniert Regisseur Todd Phillips mit dieser Geschichte auch über den Erfolg seines eigenen Filmes, der zu einem Milliardeneinspiel gehypt und im Modus des Massenphänomens in seiner Tiefe nur unvollständig wahrgenommen wurde. Fast schon trotzig versucht Phillips nun, die Zuschauererwartungen in seinem Sequel gezielt zu enttäuschen. Statt einer opulenten Revolte serviert er eine Romanze mit Musical-Einlagen, statt eines Großstadtepos ein Gerichtsdrama, statt heroischer Überhöhung die Entmythologisierung seines Helden. Ein solches Vorgehen ist für einen Film im Blockbusterformat sicherlich mutig, reicht aber als Konzept nicht aus. Denn „Joker: Folie à deux“ gelingt es nicht, die enttäuschten Erwartungen mit etwas Neuem substanziell zu füllen. Das gerichtliche und amouröse Ringen um die gespaltene Persönlichkeit des Titelhelden entwickelt keine psychologische Tiefe.
Die große Liebe will trotz pyromanischer Anstrengungen nie richtig Feuer fangen. Die Musical-Nummern entwickeln nur selten ihre Sogwirkung, weil den Choreografien das notwendige Temperament fehlt. Lady Gaga brilliert stimmlich, bleibt aber schauspielerisch unterfordert. Mit beachtlicher finaler Konsequenz arbeitet Phillips an der Entzauberung seiner Kinoikone - und entzaubert den eigenen Film gleich mit.
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