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Foto: Alamode Film
Foto: Alamode Film

Fanny Ardant als Shauna und Melvil Poupaud als Pierre in dem Film „Im Herzen jung“, der am Donnerstag, 3. August, in die Kinos kommt.

Filmpremiere
02.08.2023

Kino: "Im Herzen jung" ist ein außergewöhnlicher Liebesfilm

Von Martin Schwickert

Regisseurin Celine Tardieu dreht den Spieß um und lässt eine ältere Frau mit einem jüngeren Mann zusammenkommen. Fanny Ardant glänzt darin mit ihrem Charisma.

Es sind nur einige nächtliche Minuten in der leer gefegten Krankenhauskantine, die Shauna (Fanny Ardant) und Pierre (Melvil Poupaud) bei einem Becher Tütensuppe aus dem Automaten miteinander verbringen. Sie besucht ihre im Sterben liegende Freundin Mathilde. Er ist nicht nur der behandelnde Arzt, sondern auch der beste Freund von Mathildes Sohn. Es ist die Nähe von Tod und Verlust, der die beiden ungewöhnlich offen aufeinander zugehen lässt. Die tröstenden Worte, die Pierre findet, sind nicht professioneller, sondern persönlicher Natur. Bald wird der Arzt zu einer anderen Patientin gerufen, und Shauna verschwindet aus dem Krankenhaus, bevor Mathilde stirbt. Zurück bleibt für Pierre auf dem Kantinentisch ein Foto der beiden Freundinnen und die Erinnerung an eine kurze, intensive Begegnung. 

Als er 15 Jahre später Shauna in einem irischen Cottage überraschend wieder trifft, ist in ihm das Gefühl der Nähe sofort wieder da. Auch wenn er ihrer Erinnerung erst auf die Sprünge helfen muss, spürt die siebzigjährige Shauna das Interesse des deutlich jüngeren Mannes an ihr. Es dauert noch einige Treffen, bis die beiden sich ihre Gefühle füreinander eingestehen. Dass Männer sich in fortgeschrittenem Alter zu jüngeren Frauen hingezogen fühlen, wird zwar oft belächelt, ist aber gesellschaftlich weithin akzeptiert. Gerade das französische Kino ist randvoll mit Geschichten, in denen dieses Klischee bedient wird. In ihrem Liebesfilm „Im Herzen jung“ dreht Regisseurin Celine Tardieu das Stereotyp um und lässt das Altersgefälle in umgekehrter Richtung verlaufen. Dabei widersteht sie der Versuchung, die Kraft der Liebe als omnipotentes Verjüngungsmittel zu feiern, wie das nur zu oft in Altersliebesfilmen geschieht. Vielmehr stellt sich „Im Herzen jung“ den vielschichtigen Gefühlen und Problemen, die eine solche Liebe freisetzt.

Fanny Ardant spielt eine Frau, die zu lange in der falschen Beziehung war

Als Architektin stand Shauna mit beiden Beinen im Leben und war zu lange mit einem Mann verheiratet, der ihr nicht guttat. Mit der Liebe hat sie längst abgeschlossen, als Pierre mit aller Leidenschaft und Zärtlichkeit in ihr Leben tritt. Das setzt nicht nur Glückshormone, sondern auch eine tiefe Verunsicherung frei. Pierre wiederum ist seit vielen Jahren mit Jeanne (Cécile de France) verheiratet, die mit ihm im Labor des Krankenhauses eng zusammenarbeitet. Das Paar hat zwei Kinder und vor 15 Jahren ein drittes Kind unter tragischen Umständen verloren. „Du bist der Mann meines Lebens. Ich will mit dir alt werden“, flüstert Jeanne in sein Ohr, als Pierre ihr von seiner Affäre erzählen will. Als sie später vom fortgeschrittenen Alter der Geliebten erfährt, bekommt sie einen bösartigen Lachanfall – realisiert aber bald danach, wie viel ernsthafter diese besondere Liebe ist und wie das ihre Beziehung zu Pierre gefährdet. 

Als Shauna an Parkinson erkrankt, trennt sie sich von Pierre, und zieht sich in ihr irisches Cottage zurück. Aber Pierre kann nicht zurück in seine frühere Existenz und will sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. An der Grenze zum Melodram erzählt Tardieu von einer Liebe, die sich nicht nur gegen gesellschaftliche Normen, sondern auch gegen biologische Fakten stemmt. 

Die Stärke von „Im Herzen jung“ liegt auch in den präzisen Nebenfiguren

Fanny Ardant, die sich mit „Auf Liebe und Tod“ (1983) ihres Ehemannes François Truffaut als Femme fatale in der Filmgeschichte verewigte, hat auch im siebten Lebensjahrzehnt nichts von ihrem Charisma verloren. Sie ist hinreißend in der Rolle der alten Dame, gerade weil sie sowohl die selbstbewusste Contenance als auch die tiefe Verunsicherung ihrer Figur glaubhaft auszuspielen versteht. Ihr gegenüber überzeugt Melvil Poupaud, der ohnehin mit zunehmenden Alter immer besser wird. Sensibel spielt er einen verliebten Mann, der inmitten familiärer und beruflicher Verantwortlichkeiten von den eigenen Gefühlen überrannt wird. 

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Die Stärke von „Im Herzen jung“ besteht darin, dass Tardieu die Nebenfiguren mit der gleichen Genauigkeit zeichnet wie die beiden Zentralcharaktere. Cécile de France ist herausragend in der undankbaren Rolle der betrogenen Ehefrau, die zunächst unscheinbar daherkommt, aber am Ende wahre Größe zeigt. Mit sprühender Differenziertheit spielt Florence Loiret-Caille die widersprüchlichen Gefühle der alleinstehenden Tochter aus, die damit konfrontiert wird, dass ihre 70-jährige Mutter einen jüngeren Geliebten hat, während die eigene Tochter gerade das Nest verlassen hat. Immer wieder öffnet der Film äußerst einfühlsam die Fenster zu den Herzen der Nebenfiguren, wodurch diese Liebesgeschichte von aller romantischen Eindimensionalität befreit und in ihrer ganzen komplexen Dynamik aufgefächert wird.

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