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Filmkritik zu „Mit der Faust in die Welt schlagen“

Kinokritik

Zwei Brüder radikalisieren sich: Kinokritik zu "Mit der Faust in die Welt schlagen"

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    Nach einem Roman von Lukas Rietzschel entstand der Film „Mit der Faust in die Welt schlagen“.
    Nach einem Roman von Lukas Rietzschel entstand der Film „Mit der Faust in die Welt schlagen“. Foto: Flare Film, Across Nations

    Bevor er den Schalter betätigt, lässt der Vater die Kinder einen Countdown zählen. Und dann brennt die erste Glühbirne im neuen Eigenheim. Aber schon bald fängt das Licht an zu flackern und erlischt wieder. Das Haus, das die Familie in Constanze Klaues Langfilmdebüt „Mit der Faust in die Welt schlagen“ bezieht, wird immer ein Provisorium bleiben, an dem ständig herumgebastelt werden muss.

    Constanze Klaue hat Lukas Rietzschels Roman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ verfilmt

    Das unfertige Heim irgendwo in der östlichen Lausitz ist auch ein Symbol für die uneingelösten Sehnsüchte nach einer bürgerlichen Normalität, die in Ostdeutschland der Nachwendezeit für viele nur ein leeres Versprechen blieb. Klaue, die hier den viel beachteten Roman von Lukas Rietzschel fürs Kino adaptiert, reist zurück in das Jahr 2006 und zeigt das Leben in der ostdeutschen Provinz vornehmlich aus der Perspektive des elfjährigen Tobi (Camille Moltzen) und seines älteren Bruder Philipp (Anton Franke).

    Die beiden Jungs sind oft auf sich allein gestellt. Mutter Sabine (Anja Schneider) arbeitet als Krankenschwester im Schichtdienst, Vater Stefan (Christian Näthe) geht unter der Woche als Elektriker auf Montage nach Bayern. Eines Tages ist auf dem Findlingstein vor der Schule ein Hakenkreuz gemalt. „Warum decken Sie das ab?“ fragt Philipp den Hausmeister, der die Schmierereien ungelenk mit einem Lappen zu bedecken versucht. Statt einer Antwort wird er nach seinem Namen gefragt, muss später der Polizei Rede und Antwort stehen und wird auf der Schultoilette von einem älteren Mitschüler in die Mangel genommen. Aber Philipp kann glaubhaft versichern, keinen Verrat begangen zu haben. Und so gerät er, von einer diffusen Faszination getrieben, an eine Gruppe von örtlichen Neonazis, die den unbeholfenen Teenager unter ihre Fittiche nehmen und das Haus eines Türken mit Schweinefleischabfällen bewerfen.

    Tobi leidet unter den zerbrechlichen familiären Verhältnissen

    Derweil zerbrechen für die beiden Brüder die letzten familiären Sicherheiten. Der Großvater stirbt, der Vater wird arbeitslos, fängt wieder an zu trinken und wendet sich der Nachbarin zu, während die Mutter sich im Krankenhaus überarbeitet und zunehmend verbittert. Vor allem der jüngere Tobi leidet unter den zerbrechlichen, familiären Verhältnissen und schreit seine Verzweiflung in die Wälder hinein.

    Wie der Roman so beschreibt auch der Film den Weg zweier Brüder zu rechter Gewalt nicht als linearen Vorgang. Vielmehr taucht der Film tief hinein in die kindlichen und jugendlichen Gefühlswelten, die von familiärer und sozialer Verunsicherung geprägt sind. Klaue entwickelt ein starkes Gespür für die Wahrnehmungen ihrer jungen Protagonisten, die die ehelichen und beruflichen Krisen ihrer Eltern nur bruchstückhaft aufnehmen und intuitiv verarbeiten. Mit abrupten Schnitten, mobiler Handkamera und impressionistischen Naturaufnahmen macht Klaue die emotionale Fragilität visuell greifbar, anstatt sie in aufgesetzten Dialogen durchzutelefonieren. 

    Zwei hervorragende Kinderdarsteller spielen in „Mit der Faust in die Welt schlagen“

    Die gesellschaftliche Perspektivlosigkeit in Ostdeutschland wird hier äußerst wirkungsvoll in den Augen der Kinder und Jugendlichen gespiegelt. Dabei kann die Regisseurin mit Camille Moltzen und Anton Franke auf zwei hervorragende Kinderdarsteller bauen, die die Aufmerksamkeit des Publikums fest an sich binden. Anders als im Roman wird die allmähliche Radikalisierung der Brüder im Film weniger konkret verankert. Klaue konzentriert sich auf die Tiefenverunsicherungen der Kindheit, welche den fruchtbaren Boden für das Abdriften in rechte Gewalt bilden.

    Erst am Ende springt der Film vor ins Jahr 2015 und zeigt, wie die ehemalige Schule der beiden Brüder, die zu einem Asylbewerberheim umgebaut werden soll, in Flammen aufgeht. Ein umso eindringlicheres Bild, weil man durch das Feuer hindurch in die Seele des Brandstifters blickt.

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