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Filmkritik: Neuer Animationsfilm: Pixar sucht die Seele mit "Soul"

Filmkritik

Neuer Animationsfilm: Pixar sucht die Seele mit "Soul"

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    Eine Szene aus dem neuen Animationsfilm „Soul“, der von einem Saxofonspieler erzählt, der unversehens im Jenseits landet.
    Eine Szene aus dem neuen Animationsfilm „Soul“, der von einem Saxofonspieler erzählt, der unversehens im Jenseits landet. Foto: Disney, dpa

    Die "Pixar"-Studios waren immer gut darin, komplexe emotionale, psychologische und philosophische Fragestellungen in Form eines knallbunten, familienfreundlichen Trickfilms zu erörtern. In "Toy Story" wurden die Konzepte von Freundschaft, Treue und Selbstlosigkeit befragt.

    In "Ratatouille" legte eine Ratte die Fesseln ihrer Herkunft ab und wurde zum Gourmetkoch. "Coco" entführte sein Publikum von einem mexikanischen Friedhof hinein in das turbulente Leben nach dem Tod. "Alles steht Kopf" ging im Gehirn eines elfjährigen Mädchens spazieren, wo widerstrebende Emotionen am Schaltpult saßen und mit dem Staubsauger das Langzeitgedächtnis aufgeräumt wurde. Mit dem neuen Film "Soul" geht die Animationsschmiede noch einen Schritt weiter und versucht, die Beschaffenheit der Seele zu erkunden.

    Im Zentrum steht der Musiker Joe Gardner, der sich als Leiter einer Schul-Bigband verdingt, aber immer davon träumte als Jazzpianist groß herauszukommen. Der Endvierziger hat graue Haare und wäscht seine Unterhosen immer noch bei seiner Mutter. Die beherzte Schneiderin hat schon den Jazz-versessenen Vater durchgefüttert und drängt Joe das Angebot der Schule auf eine Festanstellung anzunehmen. Gerade jetzt kommt die Einladung zu einer Audition: Die legendäre Saxophonistin Dorothea Williams sucht einen neuen Pianisten und zeigt sich von Joes Free-Jazz-Improvisationen angetan.

    "Soul" von Pixar: Sturz in ein Kanaldeckelloch

    Freudvoll aufgeregt über die Chance seines Lebens tänzelt Joe durch die verkehrsreichen Straßen von New York – und stürzt in ein geöffnetes Kanaldeckelloch. Fällt und fällt durch die Dunkelheit und findet sich auf einem Fließband wieder, das ihn direkt ins „Große Danach“ bringen soll. Aber mit der Beförderung ins Jenseits will sich Joes Seele nicht abfinden. Mit aller Energie läuft er in die Gegenrichtung und landet folgerichtig im „Großen Davor“ – der Ort, an dem die neuen Seelen auf ihre irdische Existenz vorbereitet werden.

    Wie unbekümmerte Flummis trollen die kleinen Seelen über den Ausbildungscampus. Joe wird als Mentor engagiert, der Seele Nr.22 für ihr Dasein auf der Erde ausbilden soll. Die Liste der Lehrer, die sich in den letzten Jahrtausenden an 22 vergeblich abgearbeitet haben, ist lang: Archimedes, Abraham Lincoln, Marie Antoinette, Muhammad Ali. Sogar Mutter Theresa ist an der desinteressierten Schülerin verzweifelt.

    «Soul» ist der erste Pixar-Spielfilm, der nicht auf der großen Leinwand, sondern per Streaming verfügbar ist.
    «Soul» ist der erste Pixar-Spielfilm, der nicht auf der großen Leinwand, sondern per Streaming verfügbar ist. Foto: Disney, dpa

    Joe, der wieder zurück in sein altes Leben und endlich auf der Bühne bejubelt werden will, stürzt sich mit 22 illegalerweise durch das Portal hinab auf die Erde. Allerdings landet seine Seele in einer Katze, während 22 Joes Körper übernimmt. Der Musiker treibt 22 aus dem Tierkorpus heraus an, den Gig am Abend zu übernehmen, in der Hoffnung bald selbst in das Leben eines erfolgreichen Jazz-Musikers zurückkehren zu können.

    Seele Nr.22 wiederum findet langsam Gefallen an der irdischen Existenz, dem Geschmack von Pizza und der Kraft der Musik. Auf eine wendungs- und erkenntnisreiche Reise zwischen Leben und Tod schickt „Soul“ diese beiden Seelen, die das Dasein aus grundverschiedenen Perspektiven erleben. Daraus entwickelt Pete Docter, der mit „Alles steht Kopf“ und „Oben“ zu den interessantesten Regisseuren bei Pixar gehört, einen intelligenten, lebensphilosophischen Diskurs und gleichzeitig ein äußerst sinnenfreudiges Animationsabenteuer.

    Der Jazz in "Soul" ist nicht nur Untermalung

    Treibende Kraft ist die Musik. Der fantastische Jazz-Soundtrack ist nicht nur Untermalung, sondern die seelische Hardware des Films. Wenn Joe sich ans Klavier setzt und ihn seine Improvisationen davon tragen, wird die Leinwand in ein leuchtendes Blau getaucht, in dem Pianist und Publikum die Welt um sie herum vergessen. Wie ein gutes Jazz-Stück arbeitet auch "Soul" mit bekannten Motiven und Genreversatzstücken und verwandelt sie durch Interpretation in etwas grundlegend Neues.

    Auch wenn der Film die Musik als Kunst feiert, in der Mensch und Seele im Einklang miteinander sind, zeigt er, wie Joes Leidenschaft für die Musik ihn vom eigenen Sein entfremdet hat. Am Ende muss der begnadete Pianist erkennen, dass er einem Traum hinterhergejagt ist, der ihn blind gemacht hat für die eigentlichen Glücksmomente des Lebens.

    Spielerisch räumt „Soul“ mit einem uramerikanischen Mythos auf. Gegen alle Widerstände seinem Traum zu folgen, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und sich selbst zum Triumph zu führen – das ist das Selbstoptimierungsversprechen, das in Hollywood immer wieder exzessiv vorgebetet wurde. Dass große Träume nicht immer großes Glück generieren und die Freuden des Lebens im wachen Blick auf das Alltägliche liegen, ist eine Botschaft, die "Soul" auch visuell überzeugend vermittelt.

    "Soul" passt gerade in das Jahr von Corona

    Ungeheuer detailreich wird das turbulente Treiben auf den Straßen von New York ins Bild gefasst. Auf wundersame Weise passt der Film, in dem eine Nah-Tod-Erfahrung den Blick auf das Dasein schärft, in das Pandemie-Jahr, das viele Menschen anders auf Leben und Tod schauen lässt.

    "Soul" läuft vom 25. Dezember an auf dem Streaming-Dienst Disney+.

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