Mozart bestimmte Anfang und Ende des "Festivals der Nationen" 2023 in Bad Wörishofen; fast war er schon als ein historischer Composer in Residence der Konzertreihe zu bezeichnen, die nunmehr nicht mehr nur mit Star-Solisten glänzt, sondern auch mit Orchestern von Profil. Die Camerata Salzburg (hier geht es zum Konzertbericht), das Kammerorchester und das Rundfunkorchester des Bayerischen Rundfunks, schließlich die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen mit ihrem künstlerischen Anspruch: alles Ensembles, die anhand programmatisch eigenständiger Überzeugungen gezielt musizieren, also weit mehr leisten als die allfällige Begleitung großer Namen.
Zwar musste das Publikum auf einen Programmpunkt verzichten, der für die genannten Ambitionen steht – nämlich auf ein Konzert für Violine, Akkordeon und Orchester der usbekischen Komponistin Aziza Sadikova, das mit Sicherheit Farbe in das traditionsverhaftete Festival-Programm gebracht hätte –, doch wurde dennoch übermächtig deutlich, dass die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter Omer Meir Wellber, dem künftigen Hamburger Generalmusikdirektor, einer Musizierhaltung huldigt, die deutlich vor allem auf eines setzt: Furor.
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen begann mit harten, scharfen Orchesterschlägen
Dies war schon in der "Don Giovanni"-Ouvertüre zum Auftakt nachdrücklich zu vernehmen. Mit harten, scharfen Orchesterschlägen, auch atemlos, musste sie geradezu als ein Appell, als eine dramatische Warnung angesehen werden: Publikum, hör genau her, damit es Dir nicht genau so geht wie diesem Schurken, der in die Hölle fährt! Und auch Schuberts zweite Sinfonie stand später in ihren Ecksätzen unter dem Zeichen Espressivo, Hochdruck, Drall und Drive. Keine Frage, Omer Meir Wellber kann ein Orchester aufladen, kann elektrisieren, was ja grundsätzlich auch ein Sinn von Musik ist. Der Hörer will berechtigt mitgerissen sein. Die Publikumsreaktion in Bad Wörishofen geriet auch entsprechend: Ovationen.
Aber unberücksichtigt bleiben sollte nicht, dass auch die Wiener Klassik noch andere ästhetische Leitbilder kennt: etwa Feinmotorik, ebenmäßige Periodenbildung, Tempi, die technisch bewältigbar sind. Diesbezüglich kamen die Bremer mitunter hart an ihre Grenze. Überschwang, Furor sind gut, aber nicht alles. So viel zur feurigen Rahmenhandlung, zu der auch – durchaus feinnerviger musiziert – Mozarts erste Sinfonie gehörte, neu und frisch vom Orchester gehört. Ein origineller, ja genialer Komponist kündigt sich an ...
Hilary Hahn steht für alles andere als Überwältigung und Überrumpelung
Freilich, im Aufmerksamkeitszentrum des Abends stand Hilary Hahn mit Mozarts Violinkonzert KV 219. Diese US-Geigerin von höchstem Renommee und bestechendster Virtuosität steht nun aber für alles andere als Überwältigung, gar muskulöse Überrumpelung. Ihre Ideale, zu bestaunen auch bei ihrem Wörishofer Debüt, sind – neben musikalischem Schwung – das Filigrane und Exquisite, das Blütenreine und eine gestochene Phrasierung, wie von einer Radiernadel gezogen.
Nun, Hilary Hahn, Wellber und das Orchester trafen sich – ohne dass die Wiedergabe Kompromisscharakter gezeigt hätte. Jetzt wurde Musik auch fein gesponnen – und im Adagio mit langem Atem weitgespannt. Hilary Hahn, die Souveräne, wurde zur Garantin dafür, dass die Aufführung mit allen ästhetischen Wassern der Wiener Klassik gewaschen war und dazu noch Gegenwart anhand dreier eigenkomponierter Kadenzen atmete. Ein Erlebnis, dem Bach-Zugaben folgten: aus der Partita E-Dur und, hoch virtuos, das Finale der zweiten Sonate a-Moll. Ein weiteres Mal kehrte Hahn auf die Bühne zurück, ganz zum Schluss, zu einem reichlich sentimental bearbeiteten Ave Maria von Astor Piazolla für Geige, Akkordeon (Wellber) und Orchester. Riesen-Begeisterung.