Brechts Freundschaften hatten fast immer auch eine künstlerische Dimension. Viele dieser Verbindungen sind umfangreich dargestellt; nicht zuletzt die Beziehungen zu Frauen, wobei man Brecht vielfach der Ausbeutung bezichtigte, sexuell wie beruflich. Oft jedoch war es ein Geben und Nehmen, Brecht nahm Freundinnen wie Freunde in Anspruch, förderte sie aber auch, wenn er konnte.
Ein seit der Zeit der Weimarer Republik enger Vertrauter, gar Verbündeter wurde von der Forschung bislang vernachlässigt: der am 11. Dezember 1902 in München geborene Drehbuchautor und Regisseur Emil Burri. Er und Brecht schliefen zeitweise sogar mit ein und derselben Frau: mit Elisabeth Hauptmann, eine der Geliebten und Mitarbeiterinnen Brechts. Die Gründe für Burris beinahe komplette Ausblendung sind unbekannt. Eine Erklärung wäre, dass er im nationalsozialistischen Staat Karriere als Drehbuchautor von Spielfilmen der Ufa machte; von prominent besetzten Durchhaltekomödien bis hin zu regelrechten NS-Propagandafilmen. Vielleicht erschien es nicht opportun, die vermeintlich sozialistische Ikone Brecht mit Burri allzu deutlich in Verbindung zu bringen.
Brecht bezog Burri in eine Reihe von Projekten mit ein
Burri studierte Sozialwissenschaften und arbeitete zunächst als Journalist. Wie viele andere drängte er in die Metropole Berlin, um sich als Künstler durchzusetzen und Erfolg zu haben. Es zog ihn ans Theater, wo er sich als Autor, Schauspieler und Dramaturg einen Namen machen wollte. Brecht lernte er Anfang 1925 kennen, wobei dessen Affinität zu Kampfsportarten, eine gewisse Parallelisierung von Ringen, Boxen und Theaterspielen, die schon während seiner Augsburger Zeit dokumentiert ist, eine Rolle spielte. Bei Boxkämpfen, die er regelmäßig besuchte, lernte er Burri kennen. Er war es, der Brecht den deutschen Schwergewichtsmeister Paul Samson-Körner vorstellte. Rasch freundete sich Brecht mit Burri an, dessen geradezu zukunftsweisendes literarisches Talent er immer wieder hervorhob. In eine Reihe literarischer Projekte bezog Brecht ihn ein. Gemeinsam mit Elisabeth Hauptmann leistete er umfangreiche Vorarbeiten zum Drama „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“, 1931 übertrug Brecht Burri die Regie seines Stücks „Die Mutter“. Brecht förderte ihn, stand ihm zum Beispiel zur Seite, als es um die Aufführung eines der Stücke Burris an der Jungen Bühne in Berlin ging.
Im Frühjahr 1931 fuhr Brecht mit Burri, mit einem Zwischenaufenthalt in Augsburg, nach Le Levandou, um dort Kurt Weill, Lotte Lenya, Walter Benjamin und Bernard von Brentano, die dort Urlaub machten, zu treffen. Auch Elisabeth Hauptmann war dabei. Seiner Frau Helene Weigel schreibt Brecht, dass Burri und Hauptmann aber nicht mit ihnen im Hotel wohnten, um „Gerede“ zu vermeiden.
Ein rassistischer und volksverhetzender Film
Bald nach der „Machtübernahme“ entdeckte Burri sein Talent als Autor von Filmdrehbüchern. Von den circa 50 Filmen, an denen er beteiligt war, entstand etwa die Hälfte in der NS-Zeit. Darunter fünf sogenannte „P-Filme“, Propagandawerke, die, nach Gerd Albrechts Definition, „mit manifester politischer Funktion ohne Rücksicht auf ihren sonstigen Inhalt und ihre Grundhaltung“ die NS-Ideologie verbreiteten. Einer von diesen, 1940 entstanden mit dem Titel „Feinde“, rechtfertigt und feiert den deutschen Angriff auf Polen vom 1. September 1939, der dann zum Zweiten Weltkrieg führte. Der rassistische und volksverhetzende Film darf heute nur unter strengen Auflagen vorgeführt werden.
Nach dem Krieg gehörte Burri zu den ersten, mit denen Brecht wieder Kontakt aufnehmen und arbeiten wollte. Er schrieb ihm, spricht von neuen Filmprojekten, zum Beispiel zum „Guten Menschen von Sezuan“. Nach seiner Rückkehr nach Europa schlossen Brecht und Burri an ihre alte Freundschaft an. Sie fuhren etwa im Oktober 1950 – Brecht war bei den Münchner Kammerspielen zum Inszenieren – mit dessen Geliebter Ruth Berlau nach Garmisch-Partenkirchen. Während dieses München-Aufenthalts traf sich Brecht in Augsburg konspirativ mit dem ehemaligen Kritiker, Journalisten und rüden Antisemiten Alfred Mühr, der 1933 dem Theater Brechts offen den Kampf angesagt hatte. Mühr sollte in dessen Auftrag ein Theaterensemble in Westdeutschland aufbauen, woraus allerdings nichts wurde. Zu „Mutter Courage und ihre Kinder“ schrieb Burri ein Drehbuch; zu einem Film allerdings kam es nicht.
Brecht äußert Verständnis für Burris Situation
Es sind nur wenige Aussagen Brechts über die NS-Vergangenheit von Kollegen und Freunden, die er zurückgewinnen wollte, überliefert. Eine davon betrifft Burri. Brecht, der Verfolgte und Umhergetriebene, seines künstlerischen Umfelds Beraubte, schreibt ihm 1947, dass er ihn während des Exils sogar geschützt habe: „Nur um Ihnen anzudeuten, daß ich Ihre Situation verstand: in einem Dramenband, der in Prag um 1938 herum erschien [,…] führte ich Ihre Mitarbeit getreulich an, änderte Ihren Namen nur in H. Emmel um, der Nazi wegen.“ Bemerkenswert ist überdies, dass sich hier, trotz des „Sies“, die enge Freundschaft zwischen Burri und Brecht spiegelt, der auf keinen Fall so dastehen möchte, als habe er Burris Zuarbeiten nicht nennen wollen.
Brechts alter Augsburger Freund Capar Neher, in der NS-Zeit ein führender Bühnenbildner; Gustav Gründgens, begnadeter Schauspieler, Generalintendant der Preußischen Staatstheater und Günstling Hermann Görings; Schauspielerlegende Hans Albers; jener Alfred Mühr; Hans Schweikart, Regisseur, förderndes SS-Mitglied, später Intendant der Münchner Kammerspiele; Günter Rennert, Opernregisseur, 1942/43 Leiter des Deutschen Opernhauses in Berlin, dann Berufsverbot, später Intendant der Bayerischen Staatsoper – in diese Reihe fügt sich Emil Burri. Brecht hat nach dem Exil, wenn es ihm und seiner Kunst zuträglich war, ohne zu zögern die Zusammenarbeit mit Künstlerpersönlichkeiten mit zum Teil schwer belastender NS-Vergangenheit gesucht und oft auch gefunden.
Nach Brechts Tod widmete sich Burri wieder stärker der Unterhaltungskunst und schrieb eine Reihe von Drehbüchern für den Bestsellerautor Johannes Mario Simmel. Burri starb am 29. August 1966 in seiner Geburtsstadt München.
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