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Foto: Tom Rider
Foto: Tom Rider

Ed Sheeran: Seine letzte Tour war die erfolgreichste aller Zeiten weltweit.

Konzertkritik
13.09.2022

Ed Sheeran in München: Der doppelt verwässerte Superstar

Von Wolfgang Schütz

Beim ersten von drei Konzerten im Münchner Olympiastadion hält der Regen die Party der 72.000 nur ein bisschen auf – aber es zeigt sich ein veränderter Ed Sheeran.

Die eine Verwässerung stand zu befürchten. Als Ed Sheeran am Samstagabend zum ersten seiner drei Konzerte im Münchner Olympiastadion auf die zentrale Rundbühne tritt, gesellt sich zwar zunächst noch ein malerischer Vollmond am Firmament zu dem britischen Superstar und seinen 72.000 Fans im ausverkauften Riesenoval – über 200.000 Karten sind insgesamt verkauft, bei Preisen übrigens Herr Gabalier, Herr Williams und Frau Fischer, die allesamt unter 100 Euro liegen.

Aber nach rund eineinhalb Stunden setzt dann doch ein kräftiger Regen ein. Der treibt zwar kaum einen in die Flucht, denn die Befürchtung war ja eben schon vorher da, und so sind alle mit bunten Regenponchos grundsätzlich gewappnet und zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon im Sog der Show, die freilich auch Ed selbst nicht abbricht, sondern vielmehr sagt: Alle hier hätten ja gar keine Wahl, als auch im Regen eine gute Zeit zu haben.

Ed Sheeran mit Stromausfall und einem Lied für die gestorbene Queen in München

Aber als er dann nach gut Zweieinviertelstunden zum allerletzten Finale ansetzt, da setzt die durchnässte Bühnentechnik eben doch noch aus. Und der Perfektionist im Zentrum muss schließlich begossen, sowie verstummt wohl schon auch verstimmt einige Runden tatenlos und verzagt auf dem dauerrundlaufenden Bühnenring drehen, mit dessen Hilfe er zuvor automatisch in alle Richtungen seine Performance verbreiten konnte, auf dem manisch ausschreitend er während seiner Ansprachen ans Publikum aber auch ein bisschen wie die Showmaus im Rädchen wirkte. Aber dann kommt der Saft zurück, und der 31-Jährige kann die letzten Minuten von „You Need Me, I Don’t Need You“ noch mal mit voller Wucht bis zum finalen Feuerwerk zelebrieren. Alles gut also?

Beglückt werden die allermeisten der Zuschauer sicher wieder nach Hause gegangen sein, wie bei der letzten Tour schon, als Ed Sheeran hier in München ebenfalls dreimal das Stadion bespielt hatte, als Teil einer zweijährigen Konzertreise, die als die erfolgreichste aller Zeiten gilt, mit weltweit fast 7,5 Millionen Besuchern.

Und doch hat sich seit damals so manches verändert. Natürlich im Leben des Stars, der nicht von ungefähr mit dem Song „Tides“ vom aktuellen Album und wohl abschließenden der „Mathematics“-Serie auf die Bühne tritt – in dem nämlich besingt der inzwischen mit seiner Jugendfreundin Cherry Verheiratete im Kontrast zu vorherigen Lebenszweifeln nun das Glück der Vaterschaft. Und freilich auch aktuell, in der Welt da draußen: „Perfect“ spielt er in Erinnerung an die kürzlich verstorbene Queen – denn eben diesen Song hatte er auf Einladung zu deren letzten Thronjubiläum gespielt, nachdem, so erzählt er, das Konzert zum Elizabeths Ehrentag vor 20 Jahren die Initialzündung seines Wunsches, Musiker zu werden lieferte – als er nämlich am Fernseher erlebte, wie Eric Clapton sein „Layla“ anspielte…

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Die Veränderung ist aber auch eine des Musikers Ed Sheeran selbst, die an diesem Abend sichtbar wird. Und man kann eben auch dies eine Verwässerung nennen. Vor 16 Jahren hat er begonnen, auch das erzählt er an diesem Abend, seine Musik mit einer Loop-Maschine solo direkt einzuspielen – also Spur für Spur, von den auf die Gitarre geschlagenen Bässen über auf den Seiten gespielten Melodien bis zu allen Gesangsschichten, in ein das Gerät live zu speisen und alles über Pedal-Befehle abrufbar zu haben und damit seine Lieder aufzubauen. Das erklärt er auch dem Publikum samt Verweis auf die fünf über die Bühne verteilten Pedal-Stationen an diesem Abend nochmal in aller Kürze, denn tatsächlich stellt das noch immer den Kern seiner Performance dar. Aber in die Essenz dieser staunenswerten Darstellung, in der ein Einzelner auf einer rudimentären Bühne in einer solchen Riesenarena unmittelbar für alles sorgt und damit in voller Unmittelbarkeit wirkt, die wird nun, 2022, eben durch deutlich mehr zusätzliches Spektakel verwaschen.

Das beginnt damit, dass die Bühne selbst nun ein Spektakel ist: sechs wie mit der Spitze versenkte Riesenbohrer erheben sich leicht schräg in die Arena, daran kleine Lichteffektflächen und je eine seitlich angebrachte, größere Leinwand in Form eines Gitarrenplättchen, die fast immer Ed in Großaufnahme zeigen; und im Zentrum dann die Drehbühne mit auch aus dem Boden herausfahrbaren Podien und einem runden Korpus darüber, der heb- und senkbar die Großbildleinwand darstellt – eine verschlankte Version der bis heute vielleicht tollsten Bühne, die je hier aufgebaut wurde, von U2 dereinst nämlich. Samt wiederholten Feuerwerken ist das mehr Bombast denn je bei Ed Sheeran.

Und dann treten gleich zu Beginn des Konzert am Fuße von vier der Bohrer Musiker mit ihm auf, eine Band also, auch das neu und erstmalig, aber nach den Songs des aktuellen Albums „=“, fast schon zu erwarten, so weit haben die sich mitunter vom ursprünglichen Songwriter-Pop entfernt. So liefert Ed Sheeran also jenes „Tides“ und dann auch ziemlich umwerfend seine rockigste Nummer bislang, „BLOW“, die dem während Corona entstandenen Album „Collaborations Nr.6“ und eigentlich mit Bruno Mars und Chris Stapleton knallte.

Im dritten Viertel des Abend wird Ed noch weitere dieser Bandstücke aufführen, auch sein „Galway Girl“ bringt er personell verstärkt und samt Feuerwerk – das macht den Abend zu einem größeren Spektakel vielleicht, aber eben doch nicht eindrucksvoller stärker. Und ähnlich verhält es sich ja auch mit dem Finale, das er zwar wieder allein bestreitet, aber in den Zugaben an seinen ersten, auch erst fünf Jahre alten Superhit „Shape of You“ eben so Effektknaller wie den ziemlich durchschnittlich Dance-Spaß „Bad Habbits“ und jenes „You Need Me…“ hängt, bei dem er ja auch noch rappt und die Loop-Station zur reinen Effektgewitter macht.

Ist ja alles gut gemacht, kommt auch irgendwie alles an, funktioniert alles bis auf den kleinen Regentechnikausfall, wird auch alles in Perfektion aufgeführt von einem inzwischen eben auch wahnsinnig routinierten Ed Sheeran, der so Show für Show performen und durchmoderieren kann, ohne an Grenzen wie ein Robbie Williams noch in seinem Alter zu kommen. Und klar, das macht diesen Star eben auch aus, der keinen Wahn braucht wie Robbie, nicht in die Nähe eines Zeitgeist-Ikonentums kommt wie Harry Styles, weil er in all seiner Professionalität so unverstellt und normal und geerdet wirkt.

Das Erfolgsrezept des Ed Sheeran wirkt – noch? Was kommt als Nächstes?

Man glaubt dem Rothaarstrubbel jedenfalls allzu gerne, wenn er an diesem Abend immer wieder sagt, dass er im Grunde noch immer derjenige ist, der vor an diesem Wochenende vor genau elf Jahren sein erstes Album herausgebracht hat, dass er Songs wie „The A Team“ heute in dieser vollen Arena noch genauso als die Seinen fühle wie damals, als er bei ersten Versuchen in Deutschland in leeren kleinen Clubs auftrat. Und man muss es nicht mal anbiedernd oder blöd finden, dass er zu den Zugaben im Trikot der deutschen Fußball-Nationalmannschaft auf die Bühne kommt – denn das ist wohl ein er, Ed, der darum auch nicht meint, irgendwas zum Ukrainekrieg oder zum Klimawandel vom Künstlerpodium predigen zu müssen…

Aber gerade diese unmittelbareren Konzertmomente, die er schlicht und allein und ohne Gedöns mit seinen Songs bestreitet, zeigen ihn darum ja auch in seiner Meisterschaft. Von „Shivers“ bis „Castle on the Hill“, von „Give me Love“ bis „Sing“ und „Bloodstream“, gerne auch ein mit dem Rap-Klassiker „No Diggity“ angereichertes „Don’t“, und natürlich auch mit der Rückaneignung des von ihm für Justin Bieber verfassten „Love Yourself“… – Ed Sheeran erscheint einfach hinreißend in seinem Element, wenn er als das Ausnahmetalent des Liederschreibens greifbar ist. Unverwässert, unaufgeschäumt, Ed eben. So wie er nur vermeintlich selbstironisch im Film „Yesterday“ zu sehen ist, in einem kleinen Show-Wettkampf im spontanen Songwriting mit der Hauptfigur, der ihn nur deshalb schlagen kann, weil er der einzige ist, der sich an die unsterblichen Pop-Hymnen der Beatles erinnert.

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Foto: Tom Rider, dpa
Foto: Tom Rider, dpa

Ed Sheeran bei einem seiner drei Konzerte im Münchner Olympiastadion: mit eigenem, ortsbezogenen Fan-T-Shirt.

Umso spannender wird zu sehen, was Ed Sheeran fortan daraus machen wird, was auf die „Mathematics“-Alben und diese nun abrundende Tour dazu folgen wird. Womöglich hat er seine größte Zeit als Künstler damit schon hinter sich. Aber offenbar hat er seine glücklichste Zeit als Mensch dafür jetzt. Dass sogar ein Kinderschlafliedchen aufs letzte Album rutschte, könnte man jedenfalls als Indiz für beides sehen…

Aber ja, natürlich, es war ein schöner Konzertabend mit ihm an diesem Samstag in München. So wie es ganz zuverlässig, ob begossen oder nicht, ein eben solcher am Sonntag und am Montag wird. Die zweite Verwässerung jedenfalls scheint Programm. Und nochmal klar, dieser Ed Sheeran mit seinem inzwischen erreichten Status kann machen, was er will, das Publikum im Münchner Olympiastadion, feiert ihn, steht auch vom ersten Song an auf den Sitzplätzen, macht all seine Mitsing-Animationen mit… Bislang hält er auch Balance noch. Aber dass der Super-Normalo-Ed zu einem ganz normalen Spektakel-Superstar wird, das kann doch keiner wollen, oder? Er vielleicht?

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