Kegelbahnen und Indie-Konzerte haben auf den ersten Blick so viel gemein wie der bayerische Ministerpräsident mit veganen Restaurants. Doch der Schauplatz der Augsburger Kegelbahnkonzerte liegt nicht in den Kellern katholischer Gemeindezentren oder alt-bundesrepublikanischen Gasthäusern, in denen ein mäßig gelaunter Wirt den Kegelbrüdern heiße Wiener und Colaweizen serviert. Sondern im Provinoclub, einem der wichtigsten selbstverwalteten Kulturzentren der Stadt. Dort entstand ein von ehrenamtlichen Idealismus und der Liebe zur Livemusik genährtes Format, das seit einer Dekade ein Spiegelbild der Augsburger Bandszene ist.
Im Provinoclub wird immer ein Song für ein Live-Video aufgenommen
„Zu Beginn durften wir noch gar nicht öffentlich veranstalten“, erzählt David Kleinheinrich, der mit Christoph Smija zusammen die ersten Kegelbahnkonzerte realisiert hat, „aber wir wollten den Bands, die bei uns im Keller Proberäume hatten, eine Bühne geben und den Leuten diese besondere Location zeigen.“ Daher gab es die erste Ausgabe nur vor geladenem Publikum. Die Organisatoren waren Fans der im Heimathafen Neukölln aufgezeichneten Livemusik-Sendung TV Noir und die „Bandförderung war auch Teil der Idee“, sagt Anne Gehre-Horváth, die das Format durch die Pandemie brachte und danach wieder mit Publikum aufblühen ließ, „denn wie sonst kommt man als kleine Band an solche High-End-Videos von Liveauftritten?“.
Ein Song der kurzen Konzerte wird mit mehreren Kameras aufgenommen, zu einem Live-Video höchster Qualität geschnitten und auf eigenem Kanal veröffentlicht, was dem Publikum ein Konzerterlebnis der ungewöhnlichen Art beschert, nicht nur, weil man beim Tanzen darauf achten muss, nicht über die hölzerne Kugelrückbringanlagen zu fliegen. Man ist Komparsin und Statist gleichermaßen und wird daher zwangsweise Zeuge langer Soundchecks und hastig neu eingestellter Mikrofone während des Konzerts. Es ist eben nicht einfach, eine neunköpfige Band wie Múkura in aufnahmewürdigen Klang auf Boxen und Monitore zu bekommen.
Die anfängliche Zurückhaltung des Publikums ist nach Sekunden Makulatur
Die aus der erweiterten kolumbianischen Community der Stadt erwachsene Band spielt Cumbia, viel mehr als ein Genre, eher eine Art pan-lateinamerikanischer Lebensrhythmus, der leichtfüßig und wehmütig, melodiös und perkussiv zugleich ist. Unabhängig von der Geschwindigkeit ist die Musik von Múkura immer tanzbar und die anfängliche Zurückhaltung des Publikums bei Konzerten nach wenigen Sekunden Makulatur.
Vincent von Flieger kommen aus Nürnberg, das zeugt von fuggerstädtischer Gastfreundschaft wie von dem guten Ruf, den sich das Format über die Stadtgrenzen hinaus erspielt hat. Die Band könnte aber genauso gut aus Island stammen, denn ihre Musik klingt wie im Glauben an Feen und im Schein der Nordlichter entstanden. Flächige Synthies, Glockenspiel, hypnotische Beats, Hall: Musik mit viel Seele und Zeit.
Die Münchner Opaal haben ordentlich Disco mit der Muttermilch aufgesogen und bauen sie durch funky Popsongs wieder ab. Dabei erhöhen sie die Temperatur im Provino um mindestens drei Grad – menschengemachter Klimawandel so, wie er sein sollte. Besser tanzend Kalorien verbrennen als rasend Diesel. Zum Schluss stehen mit Das Kitsch eine der herausragendsten Livebands der Stadt auf den Brettern, ein Trio aus Bass, Gitarre, Drums und drei Goldkehlen, ein Trio aus Spielfreude, Musikalität und Humor, das die Belanglosigkeit aus dem Pop prügelt und die Rockmusik subtil mit Gefühl und Poesie unterwandert. 44 Bands haben sich schon auf der Kegelbahn verewigt, nun kommen vier weitere hinzu zum besten Mixtape der Stadt.
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