Diese Preisverleihung hätte so nicht stattfinden dürfen. Das Finale der Berlinale wird zur Bühne für antiisraelische Botschaften, Israel wird von Filmschaffenden eine Apartheidpolitik und ein Genozid an den Palästinensern vorgeworfen, das Publikum klatscht dazu, wie es immer klatscht, wenn Preise vergeben werden. Ein Skandal mit Ansage. Spätestens als feststand, dass der Dokumentarfilm "No Other Land" ausgezeichnet wird, hätte man ja damit rechnen können, dass die Bühne vom palästinensischen Regisseur und Aktivisten Basel Adra für eine politische Stellungnahme genutzt wird. Er und weitere Berlinale-Preisträger haben das gemacht.
Es ist beschämend, dass nach der Documenta 2022 in Kassel und ihrem Antisemitismus-Skandal nun mit der Berlinale zum zweiten Mal ein international beachtetes Kultur-Event in Deutschland gekapert wird, um Israel zu diskreditieren. Beide Fälle haben spezifische Auslöser, folgt man den Linien der Verantwortlichkeit, landet man in beiden Fällen auch bei Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Natürlich hat Roth weder die indonesische Künstlergruppe auf die Documenta eingeladen, noch dort kuratorische Verantwortung gehabt, sie hat auch nicht die Filme für die Berlinale ausgesucht und die Preisträger gekürt, aber der Bund unterstützt sowohl die Documenta als auch die Berlinale finanziell. In beiden Fällen heißt es von Roth, sie habe die Verantwortlichen bereits im Vorfeld darauf hingewiesen, sie bedauere die Vorfälle, die Ereignisse würden aufgearbeitet. An der Kunstfreiheit dürfe aber nicht gerüttelt werden. Man könnte auch sagen: Die Muster wiederholen sich und die Kulturpolitik formuliert zwar Appelle an ihre Kuratoren und künstlerischen Leitungen, kann ansonsten aber nichts ausrichten.
Was ist eigentlich los bei der Berlinale?
Allerdings muss man sich auch die Frage stellen, was mit den Documenta-Kuratoren und den Filmfestivalmachern der Berlinale los ist. Die Kunst ist frei. Aber muss auch jede Künstlerin und jeder Künstler eingeladen werden? Wenn die Berlinale-Jury für den besten Dokumentarfilm den palästinensischen Beitrag "No Other Land" auswählt, muss sich niemand wundern, wenn es bei der Preisverleihung zum Eklat kommt. Vier Aktivisten kritisieren im Film von verschiedenen Seiten die israelische Besatzungspolitik im Westjordanland. Die Documenta und die Berlinale sind beide stolz darauf, immer auch politisch zu sein. Aber sowohl der Documenta als auch der Berlinale haben eine Strategie gefehlt, wie sie auf einseitige Israel-Kritik und Antisemitismus reagieren sollen.
Der Versuch, als sich politisch ambitioniertes Filmfestival darzustellen, ist gescheitert
Einmal eingeworfen in diese Debatte: Zum Qualitätskriterium von Kunst gehört es, dass sie die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Welt erfahrbar macht. Wer in der Kunst nach Qualität sucht und dementsprechend auswählt, verringert das Risiko dramatisch, Künstlerinnen und Künstler einzuladen, die einfache Antworten in einer komplexen Welt bevorzugen. Damit würde auch das Risiko sinken, dass Künstlerinnen und Künstler unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit einseitige Israelkritik äußern oder aber antisemitische Parolen verbreiten.
Lange wird schon darüber diskutiert, dass die Strahlkraft der Berlinale gegenüber den Filmfestspielen von Cannes und Venedig nachgelassen hat. Die großen internationalen Namen des Films finden sich bei den anderen beiden. In diesem Jahr ist der Versuch, als das politisch-ambitionierteste europäische Filmfestival zu punkten, krachend gescheitert. Die neue Festivalleiterin Tricia Tuttle, die im April übernimmt, ist als Krisenmanagerin gefordert.