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Die Apokalypsen der Anne Imhof im Kunsthaus Bregenz

Ausstellung

Imhof-Schau in Bregenz: Das Auge sieht Schaurig-Schönes

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    Eines von drei unbetitelten Ölgemälden von Anne Imhof, die einen Atompilz zeigen.
    Eines von drei unbetitelten Ölgemälden von Anne Imhof, die einen Atompilz zeigen. Foto: Roland Rasemann

    Komm schon, wehr dich, schlag zurück! Anne Imhof macht es einem von Beginn an nicht leicht im Kunsthaus Bregenz. In einem großen, düsteren Video im Erdgeschoss boxt sie herausfordernd auf Besucherinnen und Besucher ein. „Maria“ hat sie das filmische Selbstporträt genannt, zu dem Songs aus der "West Side Story" erklingen. Die Künstlerin als wehrhafter, grimmiger Romeo. Und Julia scheint weit weg. 

    Düster ist dieser Prolog zur Ausstellung „Wish you were gay“. Den Gang in den ersten Stock begleiten elektronische Klänge. Oben verhindert zunächst ein mächtiges Absperrgitter mit schwarzen Stahltafeln den Durchgang. Ein paar Glasfenster, in denen sich der Betrachter spiegelt, ermöglichen irritierende Einblicke. An der Seite gibt es dann doch ein Durchkommen. Die Welt, die sich auftut, ist eine rätselhafte, fast menschenfreie, in glühendes Rot getauchte. Das Auge sieht Schaurig-Schönes: drei große Gemälde mit jeweils einem riesigen Atompilz und dramatischen Wolkenformationen. Die Raummitte dominiert ein Glaskäfig mit Stahlboden und Matratze. Auf dem Boden steht ein TV-Monitor: Ein Video flimmert, das den mit Engelsflügeln tätowierten Rücken der Künstlerin und zwei kämpfende Zebras zeigt; dazu gibt’s Metal-Sound. Erster Akt und schon großes Kino. Es bleibt so. 

    Anne Imhof zeigt Gemälde und Skulpturen, Klangcollagen und Videos

    Als kreativ-kompromisslose Performancekünstlerin wurde Anne Imhof bekannt. In Bregenz geht sie jedoch einen anderen Weg, zeigt Gemälde, Skulpturen, Klangcollagen und Videos. Ihre Schau, in der auch ältere, bislang nicht gezeigte Arbeiten erstmals zu sehen sind, ist eine Art persönlicher Bestandsaufnahme, sagt sie. 

    1978 in Gießen geboren, wuchs Anne Imhof in Fulda auf. Mit 20 fing sie zu boxen an, arbeitete später als Türsteherin in einem Techno-Klub, sang in einer Band, wohnte mit Hausbesetzern zusammen. Für ihre Abschlussarbeit an der Frankfurter Städelschule erhielt sie 2012 den Absolventenpreis. Danach ging es für die Künstlerin steil nach oben. Spätestens seit der Biennale 2017 in Venedig, als sie den deutschen Pavillon gestaltete, ist sie ein Fixstern in der Kunstszene. Für ihre Arbeit „Faust“ erhielt sie damals den Goldenen Löwen: Im Gebäude ließ sie einen gläsernen Boden einziehen und dort in niedriger Höhe Menschen sich zu Musik bewegen. Für dieses voyeuristische Schauspiel musste sich das Publikum zuvor an einem Zwinger mit zwei Dobermännern vorbeizwängen. 

    Das Wechselspiel von Macht und Ohnmacht

    Dieses Gefühl von Macht und Ohnmacht, von Ausgesetztsein und Isolation vermittelt Anne Imhof auch in Bregenz, aber auf andere Weise. Im zweiten Stock erinnert sie an ihre Biennale-Arbeit: Wieder gibt es eine Absperrung. Und wieder beherrscht rotes Licht die Szene. Doch etwas ist anders. Imhof hat die Raumdecke öffnen und einen zweiten Boden einbauen lassen. Er verdunkelt den Raum. Getragen wird er von säuberlich angeordneten Stahlstützen. So entsteht ein klaustrophobisches Gefühl. Neugierig, aber auch sorgenvoll geht der Blick nach oben. Ist da was? 

    Der Fokus liegt freilich auf etwas anderem, einem Motorrad, das hinter Glaswand und Geländer auf einem Sockel thront. „My Own Private Idaho“ hat sie die Arbeit augenzwinkernd nach dem Kinoklassiker von Gus Van Sant genannt, der zum Kultfilm der queeren Szene wurde, der auch Imhof angehört. Hinter der Ducati hängt das großformatige Gemälde „Wish you were gay III“, das eine Person zeigt, die sich eine Pistole an die Schläfe hält. Auf der dritten, letzten Etage gibt es drei weitere monumentale Variationen dieses Motivs. Ihr Markenzeichen ist ein Moiré-Effekt: Die unscharfen, schwindelerregenden Ölgemälde wirken wie hochvergrößerte Handybilder. 

    Meisterhaft schafft Imhof Endzeitstimmungen

    Imhof erweist sich im Bregenzer Zumthor-Bau als eine Meisterin im Schaffen von Endzeitstimmungen. Virtuos spielt sie mit Gegenpolen, Licht und Dunkelheit, Innen und Außen, Freiheit und Isolation, Lust und Angst. In ihren Räumen scheint der Mensch weit weg, nur noch erinnerte Vergangenheit zu sein. Davon zeugt etwa ein Readymade (eine Bank mit abgelegtem Sporttrikot) oder auch eine Bronze-Reliefarbeit nach einer Bleistiftzeichnung aus dem Erdgeschoss: Sie zeigt androgyne Gestalten, Heiligenfiguren, teuflische Fratzen und Totenköpfe. 

    Gibt es Hoffnung? Vielleicht. Sechs Videos, in denen die Künstlerin selbst mitwirkt, erzählen dazu Geschichten, skurrile, witzige, verspielte – und feiern im Grunde das Leben. 

    Krieg und Klimawandel, Demokratiemüdigkeit und Ratlosigkeit – die Angst ist aktuell groß, dass wir unsere Welt zugrunde richten. Mit „Wish you were gay“ gewährt Anne Imhof einen beklemmenden und gleichzeitig berauschenden Einblick in die Apokalypse. 

    Bis 22. September. Infos unter www.kunsthaus-bregenz.at

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