In diesen Tagen jährt sich der terroristische Überfall der Hamas auf Israel, das Massaker, das sie am 7. Oktober 2023 an der israelischen Zivilbevölkerung beging. Die militärische Antwort Israels forderte abertausende Opfer auf palästinensischer Seite, ein Krieg entflammte, der seither die Schlagzeilen und auch innerdeutsche politische Konflikte beherrscht. Erneut scheint jede Hoffnung auf eine friedliche Zukunft im Nahen Osten zunichtegemacht und diejenigen Stimmen, die sich um sie bemühten, treten zurück hinter eine Logik der Lagerbildung von klaren Oppositionen mit klaren Identitäten – national, religiös, politisch. Sie verhallen in einem von Tagespolitik dominierten Raum, in dem offenbar nur Einseitigkeiten auf ein großes Echo hoffen dürfen.
Wie soll da ein Gespräch stattfinden? Ein wirkliches Gespräch, in dem die Sprechenden aufeinander eingehen und zugehen können? Ein möglicher Weg führt zum Format des Buchs, das mehr Raum und Zeit lässt für Nuancen, Aushandlungen und die eingehende Beschäftigung mit sich selbst und der Welt. Ein Jahr nach dem 7. Oktober ist der Buchmarkt jetzt voller Veröffentlichungen mit Redebedarf.
Lena Gorelik sucht per Kontaktanzeige die, „die sich nicht zuordnen lassen wollen“
Kaum eine Veröffentlichung hat sich dem Anliegen so sehr verschrieben wie „Trotzdem sprechen“, erschienen im Ullstein Verlag und herausgegeben von Lena Gorelik, Miryam Schellbach und Mirjam Zadoff. Darin versammeln sich Essays, Gespräche und Lyrik von Forschenden, Essayistinnen und politisch Engagierten und nur das verraten auch ihre Kurzbiografien am Ende des Buches über sie. Ob sie nun als Jüdinnen oder Juden, muslimischen Glaubens, Israelis oder anderweitig identifiziert werden könnten, tut hier nichts zur Sache, wenn sie es nicht selbst zur Sprache bringen. Allen gemeinsam ist lediglich, sich nicht instrumentalisieren lassen zu wollen für eine Debatte, die nur Verlierer produziert.
Deren perfide Mechanismen zeigt Lena Gorelik in ihrem eigenen Beitrag: Im ersten Interview nach dem 7. Oktober habe sie trotz der Bitte, keine privaten oder polarisierenden Fragen gestellt zu bekommen, genau das bekommen. Ob sie denn bereit sei, „in dieser Situation“ mit einer Palästinenserin oder einem Palästinenser zu sprechen, hieß es. Die Antwort „Lieber als mit Ihnen“ sei ihr zu spät eingefallen. Ihren Essay will sie ganz im Gegenteil nun als „Kontaktanzeige“ verstanden wissen: „Bin auf der Suche nach jenen, die sich nicht zuordnen lassen wollen.“
Juden und Palästinenserinnen bleiben im Gespräch
Auch Nazih Musharbash verwehrt sich in „Trotzdem sprechen“ der „Entweder-oder-Erwartung“. Als Präsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft beklagt er die Entfremdung, die Bundespräsident Steinmeier bei der palästinensischen Diaspora in Deutschland auslöse, wenn er sie unter Generalverdacht stelle und zur ausdrücklichen Distanzierung von der Hamas auffordere. Zugleich vertritt Musharbash in seinem Essay nicht einfach nur palästinensische Interessen, sondern plädiert für einen Debattenrahmen, in dem differenzierte Meinungsäußerungen möglich sind.
Doch bei allem Konsens zum Dialog, die Beiträge in „Trotzdem sprechen“ verfallen nicht in Einstimmigkeit, sondern bleiben inhaltlich kontrovers. In diesem Sinne benennt Paula-Irene Villa Braslavsky dort als kleinsten gemeinsamen Nenner: „Wenn wir streiten, sind wir verwickelt und aufeinander bezogen. Immerhin.“
Ebenso streitlustig kommen die Texte in der Anthologie „Wir schon wieder“ daher, erschienen im Rowohlt Buchverlag. Wobei hier der Personenkreis etwas enger gezogen ist: Die Autorinnen und Autoren, unter anderem Elfriede Jelinek, Eva Menasse und Maxim Biller, sind ausschließlich solche mit jüdischen Wurzeln. Doch diese Klammer ist nicht unbedingt ein Defizit, sondern nötig, damit ein anderes Gespräch stattfinden kann, ein innerjüdischer Aushandlungsprozess vom Verhältnis zu sich selbst und der deutschen Mehrheitsgesellschaft.
Maxim Biller und Dana von Suffrin kommen im Streit zusammen
Der sichtbarste und zugleich prekärste Moment dieser Aushandlung ist Maxim Billers Beitrag, ein Brief an Herausgeberin Dana von Suffrin, in dem er das Projekt selbst infrage stellt. Als jüdischer Literat eingeladen zu sein, das vollziehe ja bereits die Exotisierung der Juden als „die Anderen“, als die auch für den Buchmarkt gerade wieder besonders interessant gewordenen Sonderfälle. Biller aber sieht sich als deutschen Autor – ist damit das Gespräch hinfällig? Nein, das ist es nicht. Denn die Veröffentlichung des Briefs zeigt auch: Es ist möglich, die Gesprächsbedingungen selbst infrage zu stellen, ohne sich in der Folge anschweigen zu müssen.
Neben diese beiden Sammelbände treten derzeit viele weitere Publikationen mit ähnlichem Anliegen. Da wäre „Wie geht’s – Miteinander sprechen nach dem 7. Oktober“ der französischen Rabbinerin Delphine Horvilleur. In ihrem Heimatland über Wochen auf Platz eins der Bestsellerliste gewesen, erscheint die deutsche Übersetzung nun am 17. September beim Hanser Verlag. Im Vandenhoeck & Ruprecht Verlag erschien vor kurzem der Sammelband „Antisemitismus und Rassismus“, eine zeithistorische Betrachtung und zugleich Kommentar auf den sich darum entspinnenden Diskurs. Im Jüdischen Verlag bei Suhrkamp erschien „Deutsche und Juden – Dokumentation einer Debatte“ als Kommentar und Aktualisierung einer bereits 1966 erschienenen Sammlung.
Für all diese Bücher gilt, wie die Herausgeberinnen von „Trotzdem sprechen“ schreiben, dass sie weder „zur rechten Zeit“ kommen, noch „Lösungen parat“ haben. Wer sie aber liest und sich auf ein Gespräch mit den Texten einlässt, für den werden sie immer zur rechten Zeit kommen. Und nur so, im Gespräch, bleiben Lösungen möglich.
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