Im Berliner Renaissance Theater führt ein deutsch-amerikanisches Kreativteam diesen Sommer ein Musical über die Entstehungsgeschichte des weltweit größten Volksfests auf. Mehrere Hundert Kilometer – Pardon, Meilen – von den kritischen Augen des bajuwarischen Publikums entfernt, sehen die Theatermacher um Filmkomponist Harold Faltermeyer es mit den Fakten dabei nicht so eng.
Die Idee zum Musical hatte der gebürtige Münchner Harold Faltermeyer. Faltermeyer schrieb in der 80er-Jahren mit den Soundtracks zu „Beverly Hills Cop“ und „Top Gun“ Hit-Geschichte. Für seine Idee eines Wiesn-Musicals holte er den US-amerikanischen Drehbuchautoren Philip LaZebnik (unter anderem Disneys „Pocahontas“) mit ins Boot. 2016 fand die Uraufführung von „Oktoberfest: An Almost True Story“ in Los Angeles statt.
Blau-weiße Deko, bayerisches Bier: Ein Berliner Theater feiert Oktoberfest
In veränderter Fassung - aber noch immer mit englischen Songs - nun also zum ersten Mal in Deutschland. Wichtig: Es wird zwar ordentlich über die Bayern und ihre Eigenheiten abgeledert, dabei bleibt die Produktion aber durchweg zugewandt. Das Publikum wird von einem liebevoll blau-weiß dekoriertem Theater empfangen, vor und während der Vorstellung gibt es bayerisches Bier, es soll mitgeschunkelt werden. In das quietschbunte, zweistöckige Jahrmarkt-Bühnenbild (Momme Röhrbein) ist eine vierköpfige Live-Band (unter der Leitung von Johannes Roloff) eingebunden. Die Band rauscht mit viel Verve und Humtata durch den Theaterabend.
Das Musical ist ein sogenanntes Metadrama, ein Stück im Stück. Diese Erzählweise war bei Musicals des letzten Jahrhunderts sehr beliebt, etwa bei Cole Porters „Kiss Me, Kate“ (die Eröffnungsszene des Oktoberfest-Musicals könnte genauso gut mit Porters „Premierenfieber“ unterlegt sein) oder Mel Brooks „The Producers“.
Die „Geschwister Pfister“ tragen mit viel Humor durch das Oktoberfest-Musical
Der Plot in aller Kürze: Eine dilettantische Berliner Theatertruppe möchte ein Musical über die Liebesgeschichte von Ludwig I. von Bayern und Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen aufführen. Eine verklemmte, biedere Theaterproduzentin (einnehmend gespielt von Winnie Böwe) muss davon überzeugt werden. Auf der Bühne stehen zwei Drittel der Show-Koryphäen „Geschwister Pfister“ und bringen notwendige Souveränität ins Stück. Tobias Bonn überzeugt als Ludwig I. mit gutem Comedy-Timing und gesanglichen Glanzmomenten. Christoph Marti vermittelt als Conférencier mit rotem Frack und gezwirbeltem Schnauzbart à la „Cabaret“ zwischen den Handlungsebenen.
Historische Genauigkeit zu dramatischen Zwecken einzubüßen, ist gängige Praxis auf Theaterbühnen. Das Problem der Inszenierung liegt weniger in der Vermischung von Wahrheit und Fiktion, sondern eher im zweiten Part des Deals: der schlüssigen Dramaturgie. So gibt sie beispielsweise auf die Frage, warum eine Berliner Theater-Kompanie überhaupt ein Stück zum Oktoberfest aufführen sollte, nur die sehr verhuschte Antwort, die Produzentin habe königlich-bayerische Wurzeln. Der Plot verfranst sich total, am Ende rotten sich alle Beteiligten zu unnötig hinkonstruierten Liebespaaren zusammen. Übrig bleibt die Darstellerin der Königs-Geliebten Lola Montez, die verwirrender Weise in der falschen Erzählebene steckt und zum zotig-verbitterten Rundumschlag gegen das Disney-Happy End ausholt.
Losgelöst von der Bier-Ernsthaftigkeit der Bayern habe dieses Musical seine Form gefunden, sagte Faltermeyer vor der Berlin-Premiere. Eine Tournee oder gar eine Produktion in München schließt er nicht aus. Ob er beim Münchner Publikum mit seiner klamaukigen und zurecht geschobenen Version der Wiesn-Genese durchkommt, wird also die Zukunft zeigen.
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