Herr Guy, seit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk, haben Sie über eine Million neue Follower gewonnen und einen gewissen Kultstatus erreicht als „the menswear guy“. Sind Sie die eine Person, die jetzt mehr Spaß hat auf X als noch vor drei Jahren?
DEREK GUY: Mit dem Spaß bin ich mir nicht so sicher. Auf der Plattform geht es deutlich feindseliger zu als früher. Ich weiß nicht, ob Musk daran schuld ist, aber er hat die Situation mit einigen seiner Änderungen sicherlich verschlimmert. Dass mein Konto dabei gewachsen ist, freut mich natürlich persönlich, weil ich dadurch auch mehr Schreibaufträge bekommen habe. Das ist der einzige wirkliche materielle Unterschied. Abgesehen davon: Ich wohne immer noch am selben Ort, esse das gleiche und schreibe weiterhin über Klamotten.
Vor ein paar Jahren noch haben Sie für ein kleines Publikum von Mode-Nerds geschrieben. Jetzt, wo Ihr Account so stark gewachsen ist, haben sich Ihre Themen geändert? Was wollen Sie der neu gewonnenen Fangemeinde mitgeben?
GUY: Ich versuche zu vermitteln, dass Kleidung wichtiger ist, als viele annehmen, auch wenn sie sich bestimmt nicht mit der Krebsforschung messen kann. Viele Menschen denken beim Wort „Mode“ an High Fashion, Laufstegmodels und Statussymbole wie Gucci-Taschen. Viel interessanter aber: Kleidung sagt etwas über Identität aus, über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und die Individualität in einer Gruppe. Sie ist eine Art soziale Sprache, an der alle teilhaben. Die Menschen kleiden sich auf eine bestimmte Art und Weise, weil sie sich für ausgefallen oder konservativ halten, sie signalisieren damit etwas über Geschlecht, Klasse und ethnische Zugehörigkeit. Wer das versteht, kann sich besser kleiden.
Bei Ihnen klingt das nach einem harmlosen Hobby. Viele Leute können sich aber doch sehr über Ihre Ansichten aufregen. Woran liegt das?
GUY: Einige sind der Meinung, dass Mode keine Aufmerksamkeit verdient oder einen niedrigen Stellenwert haben sollte. Die sehen sich durch mich herausgefordert. Lange Zeit galt Mode in der westlichen Kultur als etwas Unseriöses, Frivoles. Das zeigt sich gut an „Des Kaisers neue Kleider“, eine Parabel über Eitelkeit und Bestätigungssucht. So wie Mode als frivol galt, galt sie auch als Angelegenheit der von Politik ausgeschlossenen Frauen. Zuletzt wurde ein Faible für Mode als Sache schwuler Männer abgetan, besonders prominent nach den Homosexuellenprozessen gegen Oscar Wilde. Aus all diesen Gründen glauben viele, dass echte Männer sich nicht für Kleidung interessieren sollten. Bei der politischen Linken herrscht dagegen ein Misstrauen gegenüber Mode als einer Art kapitalistischem Trick, der nur dazu da ist, um den Konsum anzukurbeln. Aber nicht nur in kommunistischen, auch in vorkapitalistischen Gesellschaften putzten sich die Menschen heraus, um Identität und Gruppenzugehörigkeit zu signalisieren. Mode kann nicht weggedacht werden. Es ist wie beim Kochen: Man kommt wahrscheinlich mit gekochtem Reis und Bohnen aus, aber es schmeckt besser, wenn man sein Essen würzt.
Hin und wieder äußern Sie sich selbst politisch oder kommentieren die modischen Fehlentscheidungen politischer Persönlichkeiten.
GUY: Wie alles andere in der Gesellschaft kann auch Mode politisch sein. In den Vereinigten Staaten ist die Geschlechterfrage derzeit eines der am heftigsten umstrittenen politischen Themen. Dabei geht es auch um Kleidung, wie schon zu früheren Zeiten. Noch vor wenigen Jahrzehnten setzten Frauen mit Hosen ein politisches Statement. Vor kurzem habe ich auf X darauf hingewiesen, dass rechte Influencer wie Matt Walsh und Andrew Tate Kleidung tragen, die vor 20 Jahren noch als feminin galt. Ich sage nicht, dass sie deshalb weniger männlich oder dass die Kleidungsstücke von Natur aus weiblich sind. Ich will nur sagen, wie ironisch es ist, dass diejenigen, die besonders lautstark traditionelle Geschlechternormen beschwören, sich mit ihren Stilentscheidungen selbst widersprechen. Wenn ich außerdem etwas über gute Passformen, Silhouetten oder Farbkombinationen zeigen will, muss ich auch Negativbeispiele heranziehen. Da liegt es nahe, Personen zu wählen, die ich nicht besonders mag.
Mode hat also eine politische Dimension, aber wie viel Macht kann sie einem geben? Das Rennen um den Einzug ins Weiße Haus ist derart eng, könnte ein Outfit das Zünglein an der Waage sein?
GUY: Kleidung spielt auch in der Spitzenpolitik eine Rolle, aber als Politiker möchte man eigentlich nicht, dass die Leute über Outfits reden, sondern über politische Botschaften. Donald Trump will mit seinen geraden Anzügen mit der stark betonten Schulterpartie vermitteln, dass er ein potenter Geschäftsmann ist. Seit den 80ern ist er sich darin treu. Das ist zwar nicht sonderlich stilvoll, untergräbt aber auch nicht seine politische Botschaft. Tim Walz ist dagegen einer der wenigen Politiker, der es geschafft hat, mit betont legeren Outfits zu punkten. Seit den 1970er Jahren haben Politiker das immer wieder versucht mit oft mäßigem Erfolg. Bill Clinton probierte es einmal mit einem karierten Holzfällerhemd, wirkte damit aber, als wolle er sich anbiedern. Walz dagegen sieht in Carhartt-Jacken, blauen Jeans, Redwing-Stiefeln und Baseballkappen authentisch aus. Im Wahlkampf wird das aktiv genutzt, um ihn als nahbaren Durchschnittstyp aus dem Mittleren Westen darzustellen. Als Walz als Vizepräsidentschaftskandidat angekündigt wurde, machten sie dieses Video, in dem Kamala Harris ihn anrief und er aussah, als würde er gerade seine Garage ausmisten.
Vielleicht sollten wir woanders nach modischer Inspiration suchen. Häufiges Beispiel auf Ihrem Account: Kermit der Frosch. Dem scheint einfach alles zu stehen. Was kann der tatsächliche Durchschnittstyp in Stilfragen von einem Muppet lernen?
GUY: Nun, Kermit hat den Vorteil, dass seine Kleidung maßgeschneidert ist. Jemand hat sie bewusst für eine bestimmte Szene angefertigt; ob er in einem Cowboy-Sketch mit Cowboyhut und Stiefeln auftritt, ein Weihnachtsspecial im Frack moderiert oder im Urlaub mit Aloha-Hemd nach Urlaub aussieht. Kermit ist gut gekleidet, weil er damit etwas über seine Person, seine Tätigkeit, den Ort und dessen Geschichte erzählt. Das heißt aber nicht, dass alles durch den Kontext festgelegt ist und es keinen Raum für Experimente gibt. Kermits Outfits sind durchdacht und trotzdem persönlich, und genau deshalb so stilvoll.
Zur Person
Derek Guy ist auf X, vormals Twitter, einer, der zu einem großen Publikum über Herrenmode schreibt. Als @dieworkwear hat er 1,2 Millionen Follower. Immer wieder schreibt er auch für die großen amerikanischen Zeitungen wie die New York Times, die Washington Post und The Financial Times. Sein Privatleben hält er allerdings aus seinen öffentlichen Auftritten heraus. Deshalb gibt es auch keine Fotos von ihm.
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