Was lässt sich über ein Depeche Mode-Konzert, das die beiden Briten und langjährigen Wahl-Amerikaner David Gahan (Gesang) und Martin Gore (Gitarre, Keyboards) binnen neun Monaten in ihrer „Memento mori“-Tournee am Donnerstag erneut in die Münchner Olympiahalle führte, noch Überraschendes berichten? Über eine Band, die weithin bekannte Musikgeschichte geschrieben hat? Die man ihr, wenn man sie noch Anfang der Achtzigerjahre als softe Synthiepopper im Kielwasser der kurzlebigen New Romantic-Bewegung erstmals gehört hat, damals gar nicht zugetraut hätte?
Das ursprüngliche Quartett, früher noch mit dem seinerzeit ikonischen Vince Clarke, lange dann ein Trio, nach dem viel zu frühen Tod von Andy Fletcher 2022 (mit nur 60 Jahren) nun zum Duo geschrumpft, befindet sich seit zwölf Monaten auf einer Endlos-Welttournee. Und ja: Depeche Mode ist nach wie vor ein grandioser Live-Act. Völlig unbenommen. Aber die Band, die in ihrer langen Zeit einige doch bemerkenswerte stilistische Wechsel vorgenommen hatte, hätte sich vielleicht eben auf dieser so langen Tour einen weiteren solchen Wechsel zumindest als Experiment doch gönnen können. Zumindest live. Wie? Ganz einfach. Gefahr wäre davon nicht ausgegangen.
Depeche Mode in der Olympiahalle 2024: Einmalige Bühnenpräsenz
Denn: David Gahans Bühnenpräsenz ist und bleibt für viele seiner Fans einmalig. Wie auch an diesem Abend in München. Seine typischen Pirouetten gelingen dem 61-Jährigen problemlos, die Stimme ist raumgreifend wie immer, den Mikrofonständer wirbelt er noch immer in der Manier der Rockstars der Siebziger. Stolz präsentiert er dem Münchner Publikum seine weißen Stiefeletten, die dem unvergessenen Motörhead-Boss Lemmy Kilmister früher auch immer gut zu Gesicht standen. Dazu kommen die genialen Kompositionen von Martin Gore, die Band kann sich aus einem Riesenrepertoire aus über vier Jahrzehnten bedienen.
Schon beim dritten Song, „Walking in my shoes“ aus den Neunzigern, hat die Band das Publikum fest im Griff, die weltweite Fangemeinde der Engländer ist seit vielen Jahren für ihre opulente Feierlaune bekannt. Gahan rast hyperaktiv die Bühne von rechts nach links, den Laufsteg ins Publikum vor und zurück. Wenn er die Arme nur ansatzweise zum Animieren hebt, bringt das Publikum sogleich willig den vollen stimmlichen und Körpereinsatz.
Wie zumeist üblich, für zwei Songs, tritt Mastermind Martin Gore selbst ans Mikro („Strangelove“ und „Somebody“) und schlägt sich dort respektabel. Was ja wahrlich kein leichtes Spiel neben der Bühnendominanz von David Gahan ist. Das Publikum entzündet Smartphone-Lichter im weiten Rund der Olympiahalle und feiert den Songschreiber mit Rührung in den Gesichtern. Der Abend wird zusehends einfach zu einer klasse Party – im Endspurt mit „Stripped“, „Enjoy the silence“, „Never let me down again“ und abschließend „Personal Jesus“.
Klassische Rockmusik beherrschen Depeche Mode in München ebenfalls wunderbar
Wie könnte das überhaupt noch getoppt werden? Apropos Lemmy Kilmister, weiße Stiefeletten und vielleicht so: Anfang der Neunziger hatte Martin Gore so richtig zur elektrischen Gitarre gegriffen. Und der Synthie-Band ihren großartigen Wechsel hin zu mehr Rock beschert. Bei „I feel you“ schreddern auch an diesem Abend in München die Gitarrensaiten. Und immer dann, wenn die beiden seit rund 25 Jahren bewährten Gastmusiker, der Wiener Schlagzeuger und Berserker Christian Eigner und der Londoner Peter Gordeno, von Gahan und Gore zum besonders harten Anlangen eingeladen werden, Gordeno den Synthie gar mit dem Bass tauscht, dann wird’s spannend.
Spannend, weil einfach nochmal anders. Dann wird es Rockmusik im klassischen Sinne, die Gore und Gahan wunderbarerweise eben ebenfalls beherrschen. Es ist klar, dass das Publikum Depeche Mode eigentlich nicht zur Rockband mutieren sehen will. Aber live wäre es doch mal ein Spaß, noch einen draufzulegen, oder? Vielleicht beim nächsten Mal? Könnten die beiden Herren sich vielleicht überlegen ...