„Mit 50 hört es auf“, sagt der Chef des TV-Senders, während er die Garnelen in sich hineinschlingt. Der Mann hat die 50 schon vor mehr als zehn Jahren überschritten, aber für ihn scheint im Berufsleben nichts aufgehört zu haben. Allerdings spricht Harvey (Dennis Quaid) ja auch nicht von sich selbst, sondern zu Elisabeth Sparkle (Demi Moore), die er gerade gefeuert hat.
Demi Moore spielt in „The Substance“ einen alternden Star
In jüngeren Jahren war sie ein strahlender Hollywood-Star und wurde sogar mit einem Oscar ausgezeichnet, auch wenn sich heute keiner mehr an den Film erinnern kann. Auf dem „Walk of Fame“ am Hollywood-Boulevard in Los Angeles hat sie ihren goldenen Stern, der von Touristen und Passanten über die Jahrzehnte immer weniger Beachtung findet. Aber immerhin hat sich Elisabeth tapfer mit einer TV-Show über Wasser gehalten, in der sie wie einst Jane Fonda in hautenger Trikotage zur Fitnessgymnastik anleitet. Aber damit ist jetzt Schluss. Der Chef will frisches Blut und Elisabeth wird unfreiwillig in den vorzeitigen Ruhestand geschickt.
In „The Substance“ setzt sich die französische Regisseurin Coralie Fargeat mit Jugend- und Schönheitsnormen auseinander, die Frauen ab einem gewissen Alter offensiv ausgrenzen und unsichtbar machen. Fargeat tut dies nicht in einem braven, gesellschaftskritischen Film, sondern in einem wütenden, cineastischen Schrei, den sie in Form eines Horror-Science-Fiction kompetent ausformuliert.
Coralie Fargeat inszeniert den Horror des Schönheitswahns
Ihre Protagonistin, die Demi Moore mit all ihrer Erfahrung im Hollywoodbetrieb und kraftvoller Verve verkörpert, gerät an jene titelgebende Substanz, welche ihr ein zweites Leben als „bessere Version ihrer selbst“ verspricht. In Großaufnahme wird das neongelbe Präparat in die Vene injiziert und schon beginnt ein martialischer Gebärprozess, bei dem sich eine junge Frau als optimierte Variante ihrer DNA aus Elisabeths geöffneten Rücken herausschält und die Körperhülle der Älteren auf dem Boden zurücklässt.
Für die Verjüngungskur gibt es jedoch klare Regeln. Jüngere und ältere Version müssen einander exakt alle sieben Tage abwechseln und sich gegenseitig durch Nährstoff-Injektionen am Leben halten. Jeden Tag soll sich die junge Frau mit einer Dosis aus dem Rückenmark der älteren stabilisieren. Die Balance müsse in jedem Fall aufrechterhalten werden, mahnt die anonyme Stimme am Telefon und fügt warnend hinzu: „Ihr seid eins“.
Margaret Qualley spielt die junge Mutation von Demi Moore
Aber Sue (Margaret Qualley), wie sich die Jüngere nennt, wird schon bald süchtig nach der eigenen Jugend. Sie übernimmt Elisabeths Job in der TV-Show und beginnt einen kometenhaften Aufstieg. Es dauert nicht lange, bis sie ihre Aufenthalte um Stunden, Tage und Wochen verlängert, was für Elisabeth drastische, irreversible Alterungsprozesse in Gang setzt. Während die junge Sue ihr Leben auf der Überholspur in vollen Zügen genießt, mutiert Elisabeth zu einem furchterregenden Senioren-Monster.
Mit einer klaren und dynamischen visuellen Gestaltung treibt Fargeat ihre feministische Horrorstory voran. Zeitlose, stilisierte Kulissen in grellen Farben erschaffen eine steril-surreale Atmosphäre, die den Fokus auf die dramatische Entwicklung der Protagonistin verstärkt. Die Schnitte sind hart und scharf wie die Klinge eines Samurai-Schwerts. Immer wieder rückt die Kamera von der verfremdenden Froschperspektive lang gezogener Firmengänge in Makro-Nahaufnahmen einzelner Haut- und Körperteile. Im Breitwand-Format bohren sich Kanülen in die Haut. In voyeuristischer Nahaufnahme heftet sich der Kamerablick an die kreisenden Gesäße der Aerobic-Tänzerinnen.
„The Substance“ bietet eine feministische Body-Horror-Satire
Die äußerst agile, visuelle Gestaltung gerät jedoch zunehmend in Widerspruch zu einer erzählerischen Redundanz, mit der Fargeat den Wirtskörper ihrer famosen Grundidee bis auf den letzten Tropfen aussaugt. Dazu gehört auch das Finale, in dem alle Zügel losgelassen werden und eine Silvester-Fernsehshow in ein orgiastisches Blutbad verwandelt wird. Auf einer etwas überdimensionierten Filmlänge von 140 Minuten büßt diese kompromisslose, feministische Bodyhorror-Satire leider einiges von der beabsichtigten Radikalität ein. Dennoch brennen sich die intelligente Metaphorik und die außergewöhnliche Bildsprache genauso ins filmische Gedächtnis wie die furchtlose Performance von Demi Moore, die in Hollywood stets unterschätzt wurde und mit dieser Rolle ihren ersten Oscar verdient hätte.
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