Wenn es bereits in Deutschland so scheint, als braue sich da wieder eine große Kontroverse zusammen: nach den Silvesterangriffen eines Mobs in Berlin auf Polizei und Feuerwehr eine Debatte über die wehrhafte Demokratie samt der Frage, ob speziell in migrantischen Milieus eine Verachtung des Staates keime; dann Streit um die Pläne einer schnelleren Integration von Ausländern und das Aufdecken von Terrorplänen durch Iraner … Ob nicht bald ein erneuter gemeinsamer Auftritt von Thilo Sarrazin und Uwe Tellkamp fällig ist?
Wie Sarrazin und Tellkamp – bloß im Superstarformat
In Frankreich geht es bereits einmal mehr um das ganz große Bedrohungsszenario – und mal wieder mittendrin, der in Prominenz jene beiden deutschen Mahner um Welten überragt und in Vehemenz in nichts nachsteht: Michel Houellebecq, Superstar der Literatur und Großmeister der gesellschaftlichen Kontroverse.
Das Szenario, das er nämlich kürzlich öffentlich im Gespräch mit Philosoph Michel Onfray im von diesem herausgegebenen Magazin Front populaire auf über 40 Seiten hinweg entworfen hat, ist jedenfalls nichts weniger als ein drohender Bürgerkrieg. Als Tatsache sehen die beiden den sogenannten „Großen Austausch“ an, nachdem die muslimisch geprägte Bevölkerung durch die höhere Geburtenrate die Mehrheitsgesellschaft der „richtigen Franzosen“ bzw. der „Urfranzosen“ nach und nach ablöse – zwar nicht etwa als gesteuert, als Verschwörung, aber eben doch von der Politik einfach hingenommen.
Betitelt ist der Artikel mit einer Frage: „Ende des Abendlandes?“ Das spielt nicht gerade subtil auf Oswald Spenglers Weltgeschichtsvision vom „Untergang des Abendlandes“ an und bringt dazu ja irgendjemanden in Stellung, sondern mit Houellebecq einen, der mit seinen literarischen Werken immer wieder als Prophet gefeiert wurde: auch von der Zerstörung der Liebe und der sich natürlich fortpflanzenden Familie etwa in „Elementarteilchen“, aber vor allem von islamistischen Terroranschlägen im „Plattform“, von einer Kapitulation der linksliberalen Politik vor den Muslimen in „Unterwerfung“ – und von der Entladung der Wut derer (vor allem auf dem Lande), die sich abgehängt fühlen, die er in „Serotonin“ beschreibt und sich etwa in der Gelbwesten-Bewegung zeigte.
Houellebecq und die Mixtur für einen Bürgerkrieg
Von Beginn an prophezeite der leidenschaftliche Schopenhauer-Leser und sehr gerne auch klassischen Geschlechterrollen hinterhertrauernde Houellebecq also immer Verfall und Gefahr – und zusehends identifizierte er die Bedrohung, gerne auch äußerst provokativ: „Die bescheuertste Religion ist ja wohl der Islam.“ Was es mitunter schwierig macht, dem Schriftsteller abzunehmen, er äußere ja nur seine Besorgnis. Und dass er sich dabei selbst immer wieder lustvoll als „Populist“ bezeichnet oder, wie aktuell, auch mal launig als „Teilzeit-Islamophober“ entblößt, macht die Sache samt der öffentlichen Aufmerksamkeit, die er zuverlässig erntet, nicht leichter. Die Bürgerkriegsmixtur in seinen Visionen ist nun, mit dem neuen Gespräch, das bald auch als Buch erscheinen soll, jedenfalls komplett.
Besondere Aufmerksamkeit haben zwei Aussagen Houellebecqs erhalten. Die eine spricht vom Widerstand: „Leute bewaffnen sich. Sie beschaffen sich Gewehre und üben an den Schießständen. Und das sind nicht die Hitzköpfe. Wenn ganze Gebiete unter islamischer Kontrolle sein werden, denke ich, dass es Widerstandsakte geben wird. Es wird Attentate und Schießereien geben, in Moscheen, in Cafés, die Muslime besuchen, kurz: umgekehrte Bataclans.“ Anspielend auf einen islamistischen Anschlag auf eine Pariser Konzerthalle dieses Namens vor gut sechs Jahren. Und das zweite Zitat erteilt jeglicher Schlichtung durch gelingende Integration eine Absage: „Der Wunsch der, wie man sagt, urfranzösischen Bevölkerung, ist es nicht, dass die Muslime sich anpassen, sondern dass diese aufhören, sie zu bestehlen und anzugreifen. Oder aber, andere Lösung, dass sie verschwinden.“
Houellebecq polarisiert beim Gespräch in „Front populaire“
Die unmittelbare Folge: Gegen Houellebecq wurde vom Rektor der Großen Moschee in Paris, Chems-Eddine Hafiz, Klage wegen „Aufstachelung zum Hass gegen Muslime“ eingereicht – mal wieder. Die dieser nun vorerst zurückgestellt hat, nach einem persönlichen Schlichtungsgespräch mit dem Autor, moderiert von Frankreichs Oberrabbiner Haïm Korsia – nachdem Houellebecq eingeräumt hatte, einige seiner Aussagen seien sehr vereinfachend gewesen, er würde diese vor Druck des Buches noch überarbeiten. Ob das aber Wesentliches ändern wird?
Denn gerade samt diesem Streit und der Anzeige (die in Reaktionen dann auch gleich mal mit der Fatwa gegen Salman Rushdie verglichen wurde) ist die wuchtige Provokation als das in der Welt, was in allen Kanälen der Gegenwart das Wirkmächtigste ist: Stoff für weitere Polarisierung. Die in der traditionell links wie rechts debattenfreudigen französischen Gesellschaft bereits für eine erhöhte Betriebstemperatur sorgt – und sonst, etwa zur Frage einer Lösung, genau gar nichts beiträgt.
Zurückübertragen auf die deutsche Kontroverse, in der ja bereits die Klischees in alle Richtungen hochkochen und in der man die gegensätzlichen Situationen auf dem Land (im Osten) und in den Großstädten (im Westen) durchaus auch zu einem Sprengsatz zusammendenken könnte, verhieße das nichts Gutes. Das sogenannte Abendland steht auch, aber längst nicht nur als das multikulturelle Einwanderungsland, das es ohne Zweifel ist, vor existenziellen Bewährungsproben. Ohne Nüchternheit im Erkennen der Probleme, aber auch ohne Differenziertheit in deren Lösung wird es nur noch schwieriger – zuallererst mit der Demokratie. Aber Denkern wie Michel Houellebecq ist das ja egal – der findet die eh nicht so besonders.