Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten

Daniel Kehlmann schreibt über Leo Perutz, den Meister der Handlung

Literatur

Zu unrecht vergessen: Was Leo Perutz besonders macht

    • |
    • |
    Der Autor Daniel Kehlmann hat ein Buch über Leo Perutz vorgelegt..
    Der Autor Daniel Kehlmann hat ein Buch über Leo Perutz vorgelegt.. Foto: Hannes P. Albert, dpa

    Wenn Schriftsteller über Schriftsteller schreiben, ist das noch einmal etwas anderes. Es bewertet in diesem Fall nicht jemand aus reiner Leserperspektive heraus. Wenn ein Schriftsteller ins Werk eines Kollegen eintaucht, geht es oft auch darum, wie etwas gemacht ist, wie es gebaut und geschrieben ist. Schreiben heißt ja immer auch, sich für diese eine Geschichte, für diesen Handlungsverlauf und für diese Sätze zu entscheiden. Und die Leute vom Fach sehen, welche Geschichten möglich gewesen wären, wofür sich Kollegin X oder Kollege Y entschieden haben, sie lesen den Möglichkeitsraum mit.

    Für Daniel Kehlmann ist Leo Perutz der Meister der „mehrdeutigen Dramaturgie“

    In der Reihe „Bücher meines Lebens“, herausgegeben vom Literaturkritiker Volker Weidermann, unternimmt nun Daniel Kehlmann eine 100-seitige Entdeckungsreise quer durch das Werk von Leo Perutz. Und dass es sich für Kehlmann dabei um eine Herzensangelegenheit handelt, wird Seite für Seite klar. Das Werk von Leo Perutz, 1882 in Prag geboren, 1957 in Bad Ischl gestorben, ist heute noch zur Gänze lieferbar, anders als das von vielen seiner jüdischen Zeitgenossen, die durch Verbot und Verfolgung der Nationalsozialisten vergessen worden sind. „Dennoch ist Perutz, gemessen an seinem Rang, kaum bekannt“, schreibt Kehlmann. Und das, obwohl er über erstaunliche Fähigkeiten verfügt habe. Nicht so sehr als sprachlicher Stilist oder als Spezialist für historische Romane. Da seien Joseph Roth oder Lion Feuchtwanger weiter gewesen. „Doch kommt keiner der Genannten Perutz in dem gleich, was er am besten kann: die Kunst der mehrdeutigen Dramaturgie“, schreibt Kehlmann.

    Man erfährt bei Kehlmann, dass man kaum etwas von Perutz selbst weiß, dass er fast nichts Autobiografisches hinterlassen hat, dass der Schriftsteller nicht wollte, dass man sich mit ihm beschäftigt. Er stammte aus einer wohlhabenden Familie aus Prag, hat Mathematik in Wien studiert und eine Zeit in der gleichen Versicherungsgesellschaft wie Franz Kafka gearbeitet. Seine Romane „Zwischen neun und neun“ und „Der Marques de Bolibar“ waren so erfolgreich, dass er sich als Schriftsteller komplett aufs Schreiben konzentrieren konnte. Perutz war zweimal verheiratet, er hatte drei Kinder, nach dem Anschluss Österreichs floh Perutz aus Wien zunächst nach Italien, von dort nach Tel Aviv. In Palästina schrieb er sein Meisterwerk „Nachts unter der steinernen Brücke“. Im Sommerurlaub 1957 in Bad Ischl starb Perutz an einem Herzinfarkt.

    Perutz‘ Meisterwerk ist „Nachts unter der steinernen Brücke“

    Weil es so wenig von Perutz über Perutz zu lesen gibt, macht Kehlmann nicht den Versuch, Autor und Werk gemeinsam zu betrachten, sondern beschreibt, was für ihn das Besondere an Perutz‘ Werk ausmacht. „Will man Perutz analysieren, muss man die hochkomplexe und meist vieldeutige Handlung entweder voraussetzen oder man muss sie nacherzählen.“ Kehlmann macht beides beim Hauptwerk von Perutz, bei „Nachts unter der steinernen Brücke“ - für Kehlmann eines „der geheimen Meisterwerke der deutschen Literatur und zugleich Hauptgrund dafür, dass Perutz-Verehrer in ihrer Klage über seine Unbekanntheit oft einen fanatischen Ton bekommen“.

    Gemessen am Umfang kommt der Roman, an dem Perutz mehr als acht Jahre schrieb, bescheiden daher mit gut 260 Seiten. Auf den ersten und zweiten Blick handelt es sich um eine Kurzgeschichtensammlung von 14 Stories, alle abgeschlossen und für sich stehend. Wer genauer hinschaut, aufmerksamer liest, auch ein zweites oder drittes Mal, entdeckt, wie sich die Geschichten berühren, sich ergänzen und dadurch einen Mehrwert bekommen, „der weit über ihre schiere Summe hinausgeht“ - nach Kehlmann ein Romanexperiment, „wie es so nie zuvor und auch danach nicht mehr durchgeführt wurde“. Wer diesen Kehlmann liest, wird dann auch Leo Perutz lesen.

    Daniel Kehlmann: Über Leo Perutz, hrsg. v. Volker Weidermann; Kiepenheuer & Witsch, 106 Seiten, 20 Euro

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden