Herr Lang, Sie haben zuletzt den Film „Führer und Verführer“ über Adolf Hitler und Joseph Goebbels gemacht, nun läuft „Cranko“ über den legendären Stuttgarter Ballettchef John Cranko in den Kinos. Wie kommt es zu der Beschäftigung mit zwei so gegensätzlichen Menschen?
JOACHIM A. LANG: In „Führer und Verführer“ geht es um das, wozu die Menschen im fürchterlichsten Fall in der Lage sind zu tun, die größten Verbrechen der Menschheit; in „Cranko“ geht es um das Gegenteil, um das, was sie an Schönem und Wahrhaftigem schaffen können, um die Kunst. Natürlich gibt es immer Verbindungen in meinen Filmen, so spielt ja auch bei „Cranko“ die Aufarbeitung des Dritten Reichs eine Rolle. Ich habe etwa die Aufführung von Peter Weiß´ Theaterstück „Die Ermittlung“ durch Peter Palitzsch eingebaut. Denn John Cranko hat das sehr beschäftigt, er selbst hat als Südafrikaner mit der Apartheid und der Ächtung wegen seiner Homosexualität auch die Schattenseiten des Lebens kennengelernt. Aber gerade in seinen dunkelsten Stunden hat er große Choreografien geschaffen.
Was hat Sie an diesen Stoff herangeführt, die Figur des charismatischen John Cranko oder die Faszination für den Tanz?
LANG: Ich habe Ballett als Zuschauer des Stuttgarter Balletts kennen und lieben gelernt. Später habe ich beim SWR auch große Ballettproduktionen und Dokus fürs Fernsehen betreut und bin dabei immer wieder auf die Person Cranko und seine Kunst gestoßen. Beides hat mich gleichermaßen interessiert. Cranko ist einer der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts, dem es gelungen ist, die großen Themen des Menschseins aufzugreifen und das klassische Ballett zu erneuern. Wie viele andere Künstlergrößen, die viel zu früh gestorben sind, wie Mozart, Jimi Hendrix oder Amy Winehouse, hat er sein Leben im Zeitraffer gelebt und seine Kunst revolutioniert, aber abseits der Bühne war er wie sie traurig und depressiv, und das ist ein schwieriges, aber auch interessantes Spannungsverhältnis.
Worauf führen Sie es zurück, dass Cranko, der in Swinging London nicht mehr arbeiten konnte, weil sein ausschweifender Lebensstil und seine Homosexualität anstößig waren, im beschaulichen und doch eher konservativen Stuttgart geachtet wurde, ja so etwas wie eine neue Familie und Heimat fand?
LANG: Das ist in der Tat überraschend, und ich dachte zunächst, dass das Thema des Films die Arbeit eines homosexuellen Künstlers in der schwäbischen Provinz in den 1960er Jahren sein könnte. Aber es herrschte eine große Toleranz in Stuttgart, auch in der Person des Intendanten Schäfer, eines humanistisch gebildeten Schwaben, der ihm den Rücken freigehalten hat. Man kann sich das fast nicht vorstellen, wie John Cranko, sein Mitarbeiter Dieter Gräfe und der Tänzer Reid Andersen ab 1969 auf der Solitude, wo die Menschen ihren Sonntagsspaziergang machen, vor aller Augen in einer WG lebten, drei schwule Männer zusammen. Ich glaube, dass Cranko durch die Liebe, die er Stuttgart entgegengebracht hat, die Stadt verändert hat und umgekehrt hat das Stuttgarter Publikum auch Cranko mit seiner Liebe verändert.
Sie zeigen in Ihrem Film auch Szenen, in denen John Cranko seine Tänzer brüskiert und verletzt. Wie ist Cranko heute zu sehen, wo man viel über toxische Arbeitsverhältnisse im Theater spricht?
LANG: Cranko war ein Genie, der alles seiner Kunst untergeordnet hat, aber er war kein Despot, wie wir es von manchem Intendanten wissen. Er war authentisch und dazu gehört, dass man auch mal sauer ist und ehrlich seine Meinung sagt. „Du hast ein weißes Kleid getragen und bist im Licht gestanden, aber ich habe dich nicht gesehen“, hat er zu Marcia Haydee einmal gesagt, oder nach dem Auftritt in New York hat er Heinz Clauss niedergemacht, aber er hat sich später immer entschuldigt. Er hat keine Führungskräfte- und Motivationsseminare besucht, er war ehrlich und authentisch, das ist angekommen. „Er hat nicht mit Angst regiert, sondern mit Liebe“, hat Marcia Haydee einmal gesagt und dazu gehört auch, Auseinandersetzungen zu führen.
Crankos Credo, mit Tanz das zu sagen, was man mit Worten nicht ausdrücken kann, war das vielleicht auch für Sie ein Grund, so viele Tanzszenen in ihren Film einzubauen?
LANG: Zum einen wollte ich einen wirklichen Ballettfilm machen, in dem es um die Tiefe und Emotionalität dieser Kunst geht. Zum anderen zeige ich Tanz, weil es hier einen Sinnzusammenhang gibt. Die Tanzszenen drücken Crankos Seelenzustand aus, seinen Blick auf die Welt, deswegen spielen sie im Film auch nicht auf der Bühne, sondern draußen auf dem Platz vor dem Opernhaus, auf der Solitude, im Neuen Schloss oder auf dem Friedhof, auf dem er begraben ist.
Ist „Cranko“ vor allem ein Film für Menschen, die ein Faible für Ballett haben?
LANG: Ich hoffe, dass es auch über die Ballettgemeinde hinaus Interesse gibt, denn es geht um eine wichtige Künstlerfigur und es geht um die großen Themen des Lebens: die Sehnsucht nach Liebe, das Leben und das Sterben.
Sie haben mit Schauspielern wie Sam Riley und Hanns Zischler gearbeitet, aber auch mit Solisten des aktuellen Stuttgarter Ensembles, die die Rollen der großen Cranko-Stars übernahmen. Welche Idee steckt dahinter?
LANG: Oft werden Tanzfilme mit Schauspielern besetzt, die auch tanzen können, wie z.B. Natalie Portman in „Black Swan“. Aber in solchen Filmen geht es weniger um Ballett und Tanz an sich, sondern um etwas Anderes. Einen wirklichen Ballettfilm – und das war mein Ziel - kann man nur mit richtigen Tänzerinnen und Tänzern drehen. Viele meiner Kollegen haben mir abgeraten und ich selbst war mir auch nicht sicher, ob Tänzerinnen und Tänzer auch die Schauspielszenen meistern können. Aber sie haben es großartig gemacht.
Wie sah die Arbeit mit den Tänzerinnen und Tänzern aus, die es ja weniger gewohnt sind, sich in Dialogen zu äußern?
LANG: Das Ballett von John Cranko hat in besonderem Maße mit Schauspiel zu tun, weil er ja immer gefordert hat, dass seine Tänzerinnen und Tänzer eine Rolle verkörpern. Aber natürlich war die Sprache eine große Herausforderung. Wir haben die Tänzerinnen und Tänzer gecoacht, wir haben sehr viel mit ihnen für die Dialoge gearbeitet, und Tänzer wie Friedemann Vogel oder Tänzerinnen wie Elisa Badenes sind auch einfach Gesamtkünstler, die viele Talente haben. Außerdem hatten wir eine vertrauensvolle und kreative, ich möchte fast sagen magische Stimmung am Set, wofür auch der großartige Sam Riley verantwortlich war, der sehr intensiv auf die Tänzerinnen und Tänzer eingegangen ist. Dass sie so überzeugend wirken, hat auch damit zu tun, dass wir die Unterstützung der realen Vorbilder ihrer Rollen hatten, die mit ihnen zusammengearbeitet haben, also Egon Madsen, Birgit Keil, Reid Andersen und vor allem Marcia Haydee.
Mit diesen „Altstars“ des Balletts gibt es am Schluss des Films eine sehr emotionale Szene am Grab John Crankos.
LANG: Ihr gemeinsamer Auftritt mit den sie darstellenden Tänzerinnen und Tänzern soll zeigen, wie die Tradition Crankos weiterlebt und fortgeführt wird und auch, wie der Geist von damals auf unseren Film übergegangen ist. Aber mehr sollte man zu dieser Szene gar nicht verraten.
Joachim A. Lang, geboren 1959, ist Autor und Regisseur von Spiel- und Dokumentarfilmen wie „Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm“, „Verführer und Führer“ oder „George“. Lang war von 2009 bis 2016 Leiter des Brechtfestivals in Augsburg
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