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Corona-Lockerungen: Liebesszenen mit Maske? Wie jetzt wieder Kultur stattfinden kann

Corona-Lockerungen

Liebesszenen mit Maske? Wie jetzt wieder Kultur stattfinden kann

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    Ja wo spielen sie denn? Der neue Alltag von Kulturschaffenden ist ziemlich gewöhnungsbedürftig.
    Ja wo spielen sie denn? Der neue Alltag von Kulturschaffenden ist ziemlich gewöhnungsbedürftig. Foto: Roland Weihrauch, dpa

    Auf dem Boden ist ein Leitsystem angebracht – ein Weg zu den Sälen, ein anderer wieder hinaus. Die Mitarbeiter im Augsburger Multiplex tragen Mundschutz und Handschuhe in einer der ersten Nachmittagsvorstellungen nach dem Corona-Lockdown. „Wenn Sie Popcorn kaufen, können Sie auch die Maske im Saal abnehmen“, gibt noch jemand mit auf den Weg. Besser kann Popcorn nicht beworben werden. Ansonsten gilt Maskenpflicht in den Kinos, auch während der Vorstellung, in der übrigens nur ein paar Plätze belegt sind. War ja auch klar, es ist nachmittags, das Virus geht noch um, und die Kinos bekommen noch kein frisches Futter. Denn nicht nur deren Betreiber haben während der Corona-Krise das Geschäft eingestellt, auch die Verleiher haben das Erscheinen neuer Filme auf unbestimmt verschoben. Also läuft jetzt das, was vor dem Lockdown zu sehen war: in diesem Saal „Der Unsichtbare“.

    Aber das ist hier und jetzt nicht die Hauptsache, sondern ein Randthema (das wunderbar für den Schluss geeignet ist, also bitte bis zu Ende lesen). Der Kern nämlich ist: Es geht jetzt wieder los, auch in der Kultur, nach Wochen und Monaten des Stillstands, der Improvisation, des Klagens, Forderns und Hoffens.

    Corona hat das Kulturleben ja fast komplett zum Erliegen gebracht. Freie Theater und Ensembles, Kinos und Konzertveranstalter müssen – auch mit den staatlichen Corona-Hilfen – seitdem um ihr Überleben kämpfen. Verheerend stellt sich die Lage auch für soloselbstständige Künstler dar, denen alle Einkünfte weggebrochen sind, die kaum Anspruch auf staatliche Unterstützung haben und damit konfrontiert sind, plötzlich von Hartz IV leben zu müssen. Trotzdem gab es in den Shutdown-Monaten einen Reigen neuer digitaler Kunst-Formate.

    Corona-Krise: Was der große Haken an den neuen Kultur-Formaten ist

    Der große Haken an fast allen ist aber, dass damit fast nichts zu verdienen war. Geld für Auftritte, das gibt es in der analogen Welt. Kein Wunder also, dass die Lockerungen der Maßnahmen sehnsüchtig erwartet worden sind.

    Wenn jetzt im Kino die Werbung läuft, möchte man fast glauben, dass es das Virus nicht gibt – keine Masken in den Clips. Auf der Leinwand hat Corona noch nicht stattgefunden. Nur an ein paar Stellen hakt es: Der neue Disney-Film „Mulan“ wird noch für Frühjahr 2020 angekündigt, das ist schon vorbei.

    Wenn man danach sanft, aber bestimmt von einem Clip dazu aufgefordert wird, das eigene Smartphone doch bitte für die Vorstellung auszuschalten („Zurücklehnen – abschalten – gesund bleiben“ heißt es), fragt man sich, ob die Corona-Warn-App dann noch richtig funktioniert (die Antwort: Nein). Da ist die Kino-Werbung wohl noch nicht richtig mit dem Robert-Koch-Institut abgestimmt …

    Ja, was wäre die Corona-Krise nur gewesen ohne den Film und die Filmkunst? Die großen Streaming-Portale wie Netflix, Amazon und Co. verzeichneten neue Rekorde – Serien, Filme, Altes, Neues, egal, Hauptsache gute Unterhaltung und Corona-Ablenkung. Außerdem gab es da noch diese erstaunliche Renaissance einer nostalgischen Kinoform: Plötzlich entstanden überall im Land Autokinos, als erste Orte, an denen sich wieder mehr Menschen gleichzeitig treffen konnten, kleine Inseln im Meer der Kontaktbeschränkungen. Das Auto, in den 1950er und 1960er Jahre das Symbol für Freiheit und auch Status, diente plötzlich als Schutzkabine vor der Infektion, der virussichere Ort, den jeder selbst mitbringen kann, um Kino zu sehen. Die Plätze sind seit Wochen voll, ob nun in Dillingen, in Gersthofen oder in Augsburg.

    Das Autokino erlebt dank Corona in Deutschland einen nie da gewesenen Boom. Dieses Bild entstand in Gersthofen, als dort mit „Die 1000 Glotzböbbel vom Dr. Mabuse“ die Vorführungen begannen.
    Das Autokino erlebt dank Corona in Deutschland einen nie da gewesenen Boom. Dieses Bild entstand in Gersthofen, als dort mit „Die 1000 Glotzböbbel vom Dr. Mabuse“ die Vorführungen begannen. Foto: Marcus Merk

    Man darf jetzt also wieder im Freistaat – unter Einschränkungen. Aber vielleicht will man im Augenblick ja noch gar nicht. Im Sensemble, einem freien Augsburger Theater, treffen sich Vertreter von schwäbischen Laientheatergruppen. Es geht darum, wie und ob und was jetzt gemacht werden kann. „Wir wollen nicht jammern“, sagt Bezirksheimatpfleger Peter Fassl. Und dann legt Sebastian Seidel, der Leiter des Sensembles, erst einmal los. Er hat sich in den zurückliegenden Wochen immer tiefer in die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (mittlerweile in ihrer sechsten Fassung gültig bis zum 5. Juli) hineingearbeitet. „Die oberste Regel heißt Abstand halten“, sagt Seidel den Vertretern der schwäbischen Amateurtheater. Das gilt nicht nur für das Publikum, sondern genauso für die Darsteller, die sich auf der Bühne nicht näher als anderthalb Meter kommen sollen.

    Wie wäre es mit Plexiglas zwischen den Schauspielern?

    „Abstand. Abstand. Abstand. Deshalb: Am besten Sie verpflichten Paare für Liebesszenen“, sagt Seidel. Paare dürften sich als Mitglieder eines gemeinsamen Haushalts auch auf der Bühne näherkommen. Ansonsten helfe eine technische Lösung: Plexiglasscheiben zwischen den Spielern. Gelächter unter den Anwesenden.

    Abstand halten, Hygienepläne erstellen und dann auch noch die Verantwortung als ehrenamtlicher Veranstalter übernehmen – das dämpft die Spiellust gewaltig. Die meisten Laientheater richten sich gerade auf eine Corona-Saison ein. In vielen Fällen heißt das, dass auf die meist jährlich stattfindenden Aufführungen verzichtet wird. Oder aber etwas komplett anderes wird angegangen, etwa Sketche mit wenigen Darstellern oder gleich etwas Digitales. Denn die Bühnen, auf denen die Laiengruppen auftreten, sind oft nicht groß. Und dahinter wird es im Regelfall noch viel enger.

    Gleichzeitig sollen in den Stücken ja möglichst alle Ensemble-Mitglieder eine Rolle bekommen. Der durch die Abstandsregeln erforderliche Platz fürs Spiel fehlt also an allen Ecken und Enden.

    Eine Erfahrung der vollkommen neuen Art haben auch alle professionellen Theater im Land gemacht. Corona hat die Planung von Jahren fast über Nacht in Makulatur verwandelt. Und niemand konnte Mitte März mit dem Beginn des Lockdown sagen, wie lange das jetzt alles dauert und wann ein eingeschränkter Spielbetrieb wieder möglich sein wird. Ein Nervenspiel für alle Verantwortlichen und Theatermacher im Land.

    Ein bitterer Moment am Augsburger Staatstheater

    Besonders bitter in Augsburg war das zum Beispiel am Staatstheater. Eine Woche vor der Premiere wurden die Proben für Gounods „Faust“-Oper ausgesetzt. Die Inszenierung stand, sie war so gut wie fertig, hätte nur noch den letzten Schliff bekommen sollen und dann ihr Publikum finden können. Dieses muss jetzt allerdings lange warten. Denn während Corona alles durcheinandergewirbelt hat, waren die Pläne für 2020/21 ja längst gefasst, Termine mit Regisseuren, Bühnenbildnern und Gästen vereinbart, also kein Platz da, um die nun komplett ausgesetzte Inszenierung in der kommenden Saison einfach nachzuholen. 2021/22 kommt es erst dazu.

    Seit März sind die Theaterhäuser damit beschäftigt, von dem, was sie vorhatten, zu retten, was zu retten ist. Im Staatstheater heißt das etwa, die Sänger der beiden Musicals, die auf der Freilichtbühne hätten gezeigt werden sollen („Kiss Me Kate“ und „Herz aus Gold“) im Rahmen einer Musical-Gala miteinander auftreten zu lassen. „Das ist auch ein Zeichen und eine Geste an unsere Gastsänger“, sagt Herzog. So kommt ihr Augsburger Engagement in diesem Sommer doch zustande und wird nicht einfach um ein oder zwei Jahre in die Zukunft geschoben. Das Geld fehlt ja jetzt.

    Wie ernst das Theater die Auflagen nimmt, wird schon bei der ersten Probe im Freien deutlich. Alle Sänger tragen Maske, während ihnen die Örtlichkeit gezeigt wird. Weil es in Strömen regnet und nur in einem zu einer Seite hin offenen Zelt gesungen werden kann, darf die Maske auch beim Proben nicht abgenommen werden. Der Stoff im Gesicht nervt die Musiker genauso sehr wie zum Beispiel Fernreisende in einem aufgeheizten Zug der Deutschen Bahn – nämlich gewaltig. „Aber wir sitzen hier doch praktisch im Freien, können wir nicht ohne Maske singen?“, versucht es eine Sängerin – vergeblich.

    Auf der Freilichtbühne in Augsburg ist in diesem Sommer nur ein stark reduziertes Programm möglich.
    Auf der Freilichtbühne in Augsburg ist in diesem Sommer nur ein stark reduziertes Programm möglich. Foto: Ulrich Wagner

    Hinzu kommt für die Veranstalter wie das Staatstheater gerade noch etwas anderes: die Unkalkulierbarkeit der Regelungen. Im Zwei-Wochen-Rhythmus werden gerade Änderungen der bestehenden Corona-Verordnung bekannt gegeben. Als die Musical-Gala „The Show Must Go On“ als Ersatzprogramm für die Freilichtbühne angekündigt wurde, galt für Veranstaltungen im Freien noch die Obergrenze von 100 Zuschauern. Zwei Wochen später wurde diese auf 200 erhöht, mittlerweile hat die Stadt aufgrund der großzügigen Situation der Bühne, die eigentlich Platz für 2000 Besucher bietet, eine Sondergenehmigung für den Betrieb mit 550 Zuschauern bewilligt. Welche neuen Regeln dann im Juli gelten, kann niemand sagen.

    Anders wird sich das Corona-Normal auch fürs Publikum anfühlen – ob im Kino oder auf der Freilichtbühne. Es gilt Maskenpflicht, auf das Catering wird im Theater verzichtet, auf Pausen ebenso. Das Getränk zwischendurch und die Gespräche mit Freunden, Bekannten und Zufallsbegegnungen wird es nur eingeschränkt geben. Abstand! Das werden Besucher nun öfter zu hören bekommen, wahrscheinlich auch dann, wenn sich der Moment gerade anfühlt, als ob es Corona nicht gäbe – mitten im Gespräch alle Distanzregeln vergessend.

    In Österreich ist wieder mehr Kultur möglich

    Aber Abstand ist nicht gleich Abstand, wie ein Blick über die Landesgrenze nach Österreich deutlich macht. Dort heißt es nicht anderthalb Meter, sondern nur ein Meter, der als Mindestdistanz eingehalten werden muss. Wer eine Karte für die Salzburger Festspiele 2020 bekommen hat, die ausgerechnet zum 100. Geburtstag in einer verknappten Corona-Version stattfinden werden, der muss, auf seinem Sitzplatz angekommen, auch keine Maske mehr tragen. In der Schweiz sind mit der neuesten Corona-Verordnung vom 22. Juni wieder Veranstaltungen mit bis zu 1000 Personen möglich. Einzige Voraussetzung: Der Veranstalter muss gewährleisten, dass das Nachverfolgen der Kontakte möglich ist und Besuchergruppen so zusammenfassen, dass nur maximal 300 Personen miteinander in Kontakt kommen können. Von Maske keine Rede dort.

    So verändert sich das also. Suchen die Menschen in den Künsten immer auch die individuelle Botschaft, den Blick des Einzelnen auf das Ganze, schaut der Staat auf die Kunst (und natürlich auch auf alle anderen öffentlichen Veranstaltungen) unter einer Seuchen-praktischen Perspektive: Wo kann sich wer wie wahrscheinlich anstecken?

    Ein Multiplex-Kino versucht sich eben in einen Nicht-Begegnungsparcours zu verwandeln, in dem alle in ausreichendem Abstand aneinander vorbeigeleitet werden. Und auf der Leinwand in diesem ersten Film? Dort geht es um eine Frau (gespielt von der wieder einmal brillanten Elisabeth Moss), die von ihrer Umwelt langsam für verrückt erklärt wird, weil sie von einem Unsichtbaren verfolgt wird. In diesem Vor-Corona-Film handelt es sich dabei um kein Virus, sondern ihren sadistischen Ex-Mann. Mehr darf jetzt nicht verraten werden. Nur so viel: Es ist kein Liebesfilm.

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