"22. März 2020: Liebes Tagebuch, heute kam in den Nachrichten, dass die Schule erst mal geschlossen bleibt. Kaum zu glauben, dass die Matheklausur morgen ausfällt …" Rückblickend hätte ich, glaube ich, lieber die Matheklausur geschrieben, anstatt die nächsten zwei Jahre meiner Jugend größtenteils in meinem Kinderzimmer zu verbringen. Ich habe mir unter meiner Jugend immer spontane Reisen, Zelten auf endlosem Festivalgelände und nächtelanges Tanzen vorgestellt. Doch daraus konnte ich die letzten Jahre nur Sandschlösser bauen. Denn aus den anfänglichen "Corona-Ferien" und der angenehmen Langeweile entwickelte sich eine Endlosschleife immer gleicher Tage.
Inzwischen ist die Pandemie zum Glück vorbei und das Leben hat wieder seine normale Form angenommen. Ich trank sogar schon aus dem gleichen Glas wie meine Freunde, feierte Nächte durch und genoss am Ende der Welt meine grenzenlose Freiheit. Trotzdem bleiben Fragen: Wie hätte sich mein Leben, meine Jugend ohne Corona angefühlt? Habe ich etwas unwiederbringlich verpasst, etwas, das ich jetzt, weil ich älter geworden bin, nicht mehr nachholen kann? Das sind Fragen, die sich wahrscheinlich viele – Achtung Ironie – heldenhafte Jugendliche schon einmal gestellt haben, die zu Hause Teile ihrer Jugend solidarisch geopfert haben.
Die Zeit der großen Meilensteine stand an, dann kam Corona
Als sich Corona in unser Leben hineinschlich, war ich 17 Jahre alt. Ich dachte damals, dass da ein paar wunderbare Jahre voller erster Momente und erster Erfahrungen vor mir lagen – die Zeit der großen Meilensteine im Leben. Einer dieser Meilensteine sollte beispielsweise mein Abitur sein, der Abschluss der langen Schulzeit. Aber den Stoff für die Prüfungen lernte ich größtenteils in meinem Bett über Online-Unterricht, bei dem die Technik mal mehr, mal weniger versagte. Manche Lehrer sorgten sich um uns und versuchten, den Stoff so gut es geht zu vermitteln, von anderen erhielt man nur alle zwei Wochen ein Lebenszeichen; dafür kursierten Gerüchte von Exkursionen ans Meer über sie.
Wenn ich nicht in meinem Bett in einen Bildschirm starrte, verbrachte ich den anderen Teil meiner Oberstufen-Zeit in der Schule mit Maske, Sicherheitsabstand und Winterjacke. Dabei wusste ich nie genau, ob mir am Morgen ein überfüllter Bus oder doch ein Tag im Schlafanzug bevorstand. Auch über dem Abitur hing ein großes Fragezeichen. Wo, wann und wie soll es stattfinden? Findet es überhaupt statt?
Schule während Corona: Bei uns stand außer Lernen nichts im Terminkalender
Die Zeit in der Oberstufe steht für die Vorbereitung auf das Abitur, aber auch für viele tolle Events. Doch bei uns stand außer Lernen nicht viel im Terminkalender. Keine Seminar-Abgabeparty, kein Abiball und keine Abifahrt. Die Zeugnisverleihung durfte nur mit einem Elternteil stattfinden und wurde auf zwei Turnhallen aufgeteilt. Gegen Ende tröpfelte die Schulzeit also einfach ohne eine richtige Verabschiedung an uns vorbei, ein Ende ohne richtige Markierung.
Das, was aber am meisten fehlte, waren die Begegnungen, die sozialen Kontakte. Meine Freunde und ich tranken des Lockdowns zwar weiterhin gemeinsam den täglichen Kaffee und trafen uns Freitagabend auf ein Glas Wein. Doch das alles über Chaträume im Netz im Schatten meiner Jalousie.
Der 18. Geburtstag wurde bei vielen heimlich mit den engsten Freunden bei geschlossenem Rollladen gefeiert oder "halt einfach nächstes Jahr" – unser geflügeltes Wort. Von den meisten Clubs hörten wir nur, weil sie schließen mussten. So habe ich mir meine neue Freiheit nicht vorgestellt. Und ich weine jetzt nicht nur dem Partyleben hinterher. Was auf den ersten Blick als reine Vergnügungsphase erscheint, auf die man ohne Weiteres verzichten kann, entpuppt sich auf den zweiten dann doch als mehr. Man lernt in dieser Phase neue Menschen kennen, knüpft Freundschaften, probiert sich aus und lernt seine Grenzen kennen. Es hätte eine Zeit voller Erlebnisse sein sollen, die dann ja auch zu Lebenserfahrung führen.
Ausland oder Studium: Die Träume zerplatzten reihenweise
Gerade die Zeit nach dem Abitur steht dafür wie keine andere, da geht es doch auch um Persönlichkeitsentwicklung, wenn die meisten den Wunsch in sich tragen, erst einmal hinaus in die Welt zu gehen. Manche suchten zwei Jahre nach Gastfamilien und organisierten Jugend-Events, nur um letzten Endes Absagen zu bekommen. Auslandsjahr in den USA? Drei Monate Kanada? Work and Travel in Australien? Diese Träume zerplatzten reihenweise nach dem Abitur. Andere kamen früher von ihrem Auslandsjahr zurück, weil es immer schwieriger wurde, neue Leute kennenzulernen, oder brachen ihr Studium deshalb ab oder blieben gleich daheim. Jeder von uns nahm die Pandemie anders wahr, für manche war es schlimmer, für andere weniger schlimm. Aber allen von uns raubte Corona ein Stück der jugendlichen Freiheit.
Corona hat uns stark betroffen, dabei wurden wir wenig beachtet. Bei all der Rücksicht und Solidarität, die wir aufbringen mussten und aufgebracht haben, hat es sich nicht so angefühlt, als würde uns die Politik sehen oder gar berücksichtigen. Für Studenten, die ihren Minijob von einem auf den anderen Tag verloren haben, für andere, die plötzlich ohne Praktikumsplatz dastanden, oder jene, die keine Lehrstelle fanden, hatte die Politik keine Lösungen im Angebot. Dazu kamen immer wieder neue Regeln und Beschränkungen und dabei keine Aussicht auf Besserung. Über allem stand die Frage: Wie lang soll das noch so weitergehen?
Wir haben unsere eigenen Wege gefunden
Schaue ich auf mein Umfeld, standen wir zwar nicht in vollen Clubs oder Konzerthallen, aber wir haben wenigstens unsere eigenen Wege gefunden, uns zu treffen. Ob das nun in den Chaträumen war oder in kleinen getesteten Grüppchen in Schrebergärten oder abseits der Stadt. Wir mussten lernen, aus den Umständen das Beste zu machen und dabei sowohl auf andere zu achten als auch uns selbst nicht zu vergessen.
Die Krise mag jetzt vorbei sein. Für uns lässt sich die Zeit aber nicht mehr zurückdrehen. Mit 20 schaue ich inzwischen dem Erwachsenenleben ins Auge, obwohl ich gefühlt gestern noch 17 Jahre alt war. In der Zeit dazwischen liegt eine Menge geplatzter Träume. Vielleicht gelingt es uns ja, später aus diesen drei Jahren doch auch spannende Geschichten zu machen, die wir dann zu erzählen haben, von der Jugend in Zeiten der Pandemie. Ich hoffe, dass wir alle in Zukunft noch jede Menge Tagebucheinträge voller Spannung und Leben zu schreiben haben.
Franziska Kollmann ist 20 Jahre alt und lebt in Augsburg. Als die Pandemie ausbrach, war sie 17 und ging gerade in die Oberstufe. Sie machte 2021 Abitur und besuchte dann die Kunstschule Offenburg.