Er sitzt auf der Bühne, wischt sich den Schweiß von der Stirn und singt vom Paradies. Konfetti rieselt herab, gigantische Luftballons schweben übers Publikum, das Stadion leuchtet in Regenbogenfarben. Klingt nach einem perfekten Ende, doch Coldplay haben gerade mal zwei Songs gespielt, als Sänger Chris Martin kurz verschnauft, um die Fans zu begrüßen. „Ich bin glücklich, mit euch allen hier zu sein“, sagt er in entzückend gebrochenem Deutsch und hüpft auch schon wieder weiter über die Bühne. Von Null auf Hundert in drei Songs.
Coldplay begeistern am Donnerstagabend die Fans im ausverkauften Olympiastadion mit einer farbenfrohen Lichtshow und exzellentem Sound. Da schweben leuchtende Riesenplaneten durchs Stadion, Flammen schießen in die Höhe, die LED-Armbänder, die Fans am Eingang bekommen, wechseln im Sekundentakt die Farbe. In vier Akten präsentieren die britischen Pop-Rocker Chris Martin (Gesang), Jonny Buckland (Gitarre), Will Champion (Schlagzeug) und Guy Berryman (Bass) eine Auswahl ihrer größten Hits. Neue Songs wie „Higher Power“ oder „My Universe“ sind Teil der zweistündigen Show, aber auch Klassiker wie „Yellow“, „The Scientist“ oder „Clocks“. Das Lied „feelslikeimfallinginlove“, das mit dem neuen Album Anfang Oktober erscheint, steht ebenfalls auf der Set-List.
Coldplay im Münchner Olympiastadion: Eine Feelgood-Show
Coldplay liefern eine Feelgood-Show, bei der sich alle wohl und willkommen fühlen sollen. Frontman Chris Martin dankt den Sicherheitsleuten ebenso wie den Barkeepern und Gebärden-Dolmetscherinnen, die die Songs für Gehörlose übersetzen. Er freut sich über die tausenden Fans, die keine Tickets mehr bekommen haben – alle drei Konzerte in München sind ausverkauft – und wie bei Taylor Swift vom Olympiaberg aus zuhören. Er schwärmt von München, wie schön es sei, im Eisbach zu schwimmen und überhaupt seien hierzulande alle so nett zueinander. Als Zeichen der Verbundenheit klebt ein Brezen-Sticker auf dem Schlagzeug und die Band stimmt Nenas „99 Luftballons“ an.
Eröffnet wird die Show aber erst mal mit einem „Servus“ von zwei Menschen, die vermutlich Fans, Klima-Aktivisten oder beides sind und einen kurzen Videobeitrag ankündigen. Zu sehen ist, was zuvor schon in Dauerschleife über die Bildschirme lief: Dass das hier alles nachhaltig ist. Mit jedem verkauften Ticket werde ein Baum gepflanzt, ein Artenschutzprojekt unterstützt oder Plastikmüll aus dem Meer gefischt. Die LED-Armbänder der Fans sollen nach der Show wieder abgegeben werden, in Helsinki und Japan seien 97 Prozent recycelt worden, ein bisschen Druck darf schon sein beim Klimaschutz. Draußen können Fans auf Fahrrädern Strom generieren, im Stadion ist ein spezieller Boden verlegt, mit dem sich Energie produzieren lässt, sobald Menschen sich auf ihm bewegen. Tanzen und nebenbei das Klima retten, wäre ja schön.
Frontman Chris Martin träumt schon lange von einer besseren Welt und setzt sich seit Jahren für Umweltschutz ein. Er wolle erst wieder touren, wenn dies nachhaltiger möglich sei, sagte der Sänger 2019 in einem Interview. Coldplays aktuell laufende Tour „Music of the Spheres“ soll einen geringeren CO₂-Fußabdruck haben als die vergangene Tour 2016. Kein leichtes Unterfangen angesichts der aufwendigen Technik und all der Energie, die für die Lichtshow benötigt wird. Da müssten die Fans ordentlich tanzen, um das reinzuholen, aber immerhin: Die Band will etwas verändern, nicht nur in Bezug auf Klimaschutz, sondern auch im menschlichen Miteinander.
Chris Martin holt Fan auf die Bühne und spielt einen alten Song
„Lasst uns für zwei Stunden eine Familie sein“, sagt Sänger Chris Martin, läuft in Trainingshose und ärmellosem Shirt über die Bühne und zeigt sich gleich mal solidarisch mit einem anderen Superstar, der gerade in München gastiert: Sängerin Adele, die an diesem Abend nicht auftritt, wohl auch, um Coldplay nicht die Show zu stehlen. Als Dank stimmt Martin ihren Hit „Someone like you“ an. Nur eine von mehreren netten Gesten an diesem Abend. Die Fans sind Teil der Show, nicht nur wegen der LED-Armbänder. Mal hüpfen sie auf Zuruf in die Höhe, mal heben sie die Hände zur La-Ola-Welle. Einzelne Gäste werden auf die Leinwand gezoomt und Martin dichtet spontan einen Vers für sie. Einem Mann im Regenbogenfarben-Shirt dankt er für seinen Mut, ein LGBT-Shirt zu tragen, einem anderen Fan mit pinkfarbenem Fischerhut fürs Flower-Power-Flair.
Schön auch der Moment, als Martin Plakate von Fans vorliest. Sechs Jahre ohne Angstzustände, steht auf einem. Darunter der Wunsch, Coldplay möge den Song „Don’t Panic“ spielen. Und prompt bittet Martin das Mädchen mit dem Poster auf die Bühne. „Einfach winken“, rät er ihr, „Popstar sein ist eigentlich ganz einfach.“ Dann setzt er sich ans Klavier und singt: „We live in a beautiful world“, die Welt ist schön in diesem Stadion voller Liebe.
Man möchte die Handykamera draufhalten, auch wenn man das sonst nie machen würde, weil sich die besten Momente ohnehin nicht einfangen lassen. Martin bittet die Fans, wenigstens für ein Lied die Handys in der Tasche zu lassen - vergeblich. Man will Fotos an Freunde verschicken, mit denen man vor 20 Jahren zu Coldplay-Songs die Nächte durchgequatscht hat, weil es so schön war damals. Und heute? Ist es immer noch einfach schön, wie diese Band als eine der letzten ihrer Art einen gigantischen Sound liefert und damit ein Stadion füllt. Das gelingt eigentlich nur noch älteren Rockern wie AC/DC oder Metallica oder Solo-Künstlerinnen wie Taylor Swift und Adele.
Mit 3D-Brillen bekommen Coldplay-Fans Herzen in Regenbogenfarben ins Visier gezaubert
Coldplay hatten ihren Höhepunkt Mitte der 2000er, einige ihrer Songs sind zeitlos groß. Sie sind sich ihrem verträumten, melancholischen Sound treu geblieben, haben ihn aber auch weiterentwickelt. Manche neuen Lieder klingen poppiger und tanzbarer, das mag nicht jedem gefallen, aber dadurch wirkt die Band modern. Um jüngere Fans zu überzeugen, haben sie mit der K-Pop Band BTS oder Sängerin Selena Gomez zusammengearbeitet. Beim Konzert in München holen sie dann auch einen Überraschungsgast für jüngere Fans auf die Bühne: Den Song „Fix You“ spielen sie mit dem kanadischen Sänger Shawn Mendes.
Die LED-Armbänder der Besuchenden wechseln mal von grün auf weiß, dann wieder formen sie rote Herzen auf den Tribünen. Und weil man von Liebe nicht genug haben kann, gibt es noch 3D-Brillen, die einem bunte Herzen ins Visier zaubern. Martin schwenkt eine Regenbogenflagge, tänzelt unterm Konfettiregen, bis ihm die Glitzerschnipsel im Gesicht kleben. Und dann noch mal alle Hände nach oben. „Sendet all die gute Energie hinaus in die Welt“, ruft Martin. Ein Feuerwerk knallt am Himmel. Mehr Liebe geht nicht.
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