Pure Lebendigkeit und selbstbewusste Erotik treffen auf Abschied und Tod: Mit zwei absolut gegensätzlichen Choreografien startet das Ballett am Ulm, die Ballettchefin des Ulmer Hauses, Annett Göhre, setzt ein bewusst nicht als Handlungsballett choreografiertes „Requiem“ als Uraufführung dagegen.
in die Spielzeit. Der Londoner Choreograf Ihsan Rustem zeigt sein Handlungsballett „Carmen“ als europäische Erstaufführung inDie Ulmer Ballett-Compagnie wächst in „Carmen_Requiem“ über sich hinaus
An diesem Abend wächst die Ulmer Compagnie über sich hinaus: Nicht nur präzise tanzend, sondern auch Rad schlagend, schauspielernd oder - wie ineinander verwachsen - im zweiten Teil Fabelwesen bildend begeistert sie in diesem so gegensätzlichen Doppel. Und welch eine Rolle für Seungah Park, die als begehrende und begehrte, erotisch selbst- und machtbewusste Carmen die Männer um den Finger wickelt und die jungen Frauen in der amerikanischen Kleinstadt Pleasantville eifersüchtig macht.
Ilsan Rustem interpretiert den „Carmen“-Stoff zur auf Bizets gleichnamige Oper zurückgehende „Carmen“-Suite von Radion Schtschedrin mit Esprit, Ironie und ungeheuer viel prallem Leben, lehnt die Figuren des Stoffes an Filmstars der 1950er Jahre an und trennt den Beauty-Salon der Mädels in Rosa und Sonnengelb vom coolen Barbershop der Jungs in Schwarz und Weiß. Kein Stierkampf, nein, sondern Popcorn mampfende junge Frauen, die aufs Date mit dem Freund warten. Silke von Patays Kostüme stylen diese fast noch jugendlichen Frauen in naives Weiß - eine harmlose Welt, die Carmen in schwarzem Kunstleder und mit verrucht transparentem Oberteil mächtig aufmischt. Carmen nimmt, wen und was sie will. Da werden die jungen Männer - deren Kostüme unterschiedliche Anteile an Schwarz und Weiß haben - zu Gockeln. So tragisch die Dreiecksbeziehung zwischen Carmen und den beiden Männern DJ (Gabriel Mathéo Bellucci) und Eli (Magnum Phillipy) enden muss - fürs Publikum hält Ihsan Rustem jede Menge liebenswerter Details und amüsanter Szenen bereit, und getanzt wird großartig.
Im zweiten Teil wird es am Theater Ulm düster und existenziell
Das Lachen bleibt für den Teil vor der Pause reserviert. Im zweiten Teil wird es düster und existenziell. Annett Göhres „Requiem“-Choreografie setzt stark auf zwei Totenmessenkompositionen, verflicht die jeweils gleichnamigen Teile aus Mozarts „Requiem“ mit denen von György Ligetis „ Requiem“, was spannende Klangbilder erzeugt. Die optischen Bilder seelischer Zustände von Trauer und Abschied entwickelt Göhre in einer Art Gruft. Das Licht lässt Annett Hungers Kostüme, die sich ebenfalls mit Bändern ineinander verflechten können, und die Haut der Tänzerinnen und Tänzer leichenfahl erscheinen.
Tänzerisch ist da auch viel Ruhe: Symbolkräftige Bilder bauen sich aus den Menschen auf und fallen wieder ineinander zusammen. Diese Menschen gehen ein Stück weit ihres Weges - und werden dann von einer unsichtbaren Macht gestoppt und zu Fall gebracht. Leuchtende Buchstaben auf der Bühne spiegeln Seelenzustände, Furcht und Liebe - und den Tod, wobei es Annett Göhre auch um die kleinen Abschiede geht, die für einen Neubeginn notwendig sein können. Denn ein Licht der Ewigkeit lässt Hoffnung in das Dunkel hineinschimmern.
Info: Die nächsten Aufführungen am Theater Ulm sind am 24. Oktober sowie am 3., 8., 16. und 20. November
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