Ta-Nehisi Coates: Warnung an seinen Sohn
Die strukturelle Gewalt gegen Schwarze in den Vereinigten Staaten ist in unzähligen Romanen und Sachbüchern beschrieben, besonders eindringlich und zugleich bestechend brillant analysiert aber von Ta-Nehisi Coates in seinem Manifest „Zwischen mir und der Welt“. In dem schmalen Buch, das die Nobelpreisträgerin Toni Morrison bei Erscheinen vor neun Jahren zur Pflichtlektüre ausrief, beschreibt der Journalist in Form eines Briefes an seinen damals 14-jährigen Sohn die USA als eine gespaltene Nation, in deren Identität der Rassismus eingewoben ist und deren Reichtum auf der Ausbeutung schwarzer Körper fußt.
Coates, eine der wichtigsten Stimmen des schwarzen Amerikas, listet zahlreiche Fälle auf, in denen junge schwarze Männer Opfer von Polizeigewalt wurden. Er formuliert eine Zusammenfassung der schwarzen Leidensgeschichte seit der Sklaverei und eine bittere Anklage, und zugleich eine fast flehende Warnung an seinen Sohn: Nämlich achtzugeben auf seinen jungen Körper und nicht zu verzweifeln an den Umständen und den Ungerechtigkeiten: „Sohn, du wirst deinen Frieden mit diesem Chaos machen müssen.“
Ta-Nehisi Coates: Zwischen mir und der Welt. Übersetzt von Miriam Mandelkow. S.Fischer, 240 Seiten, 13 Euro
Percival Everett: Erschütterung
Nicht nur Europa diskutiert über die Einwanderung und den richtigen Umgang damit, auch in den USA bestimmt die Grenze zu Mexiko und die vielen Migranten, die dort ins Land kommen, den Präsidentschaftswahlkampf. Einer der Bundesstaaten, der direkt an Mexiko angrenzt, ist New-Mexico, einer der US-Wüstenstaaten. Dort spielt Percival Everetts Roman „Erschütterung“.
Everetts Hauptfigur ist ein Paläontologe, der in die Wüste flieht, um mit seinem schwierigen Familien- und Elternschicksal klarzukommen. Dort allerdings entdeckt er eine mysteriöse Botschaft in einer Second-Hand-Jacke. Und die wiederum setzt ihn auf die Fährte von mexikanischen Arbeitssklaven, die es zwar über die Grenze geschafft haben, dort aber nicht das Glück, den Wohlstand und die Freiheit finden, sondern das genaue Gegenteil davon.
Percival Everett: Erschütterung. Übersetzt von Nikolaus Stingl, Hanser, 288 Seiten, 23 Euro
Emma Cline: Die Einladung
Um unüberwindbare Standesunterschiede geht es in Emma Clines Roman „Die Einladung“. Um nicht ausgesprochene Codes verschiedener Lebenswelten. Schon mit den ersten Zeilen setzt Emma Cline den Ton, wenn sie Alex im Meer hinausschwimmen lässt und feststellt: „Im Wasser war sie wie alle anderen. Nichts Ungewöhnliches an einer jungen Frau, die allein im Meer schwamm. Unmöglich zu sagen, ob sie hierher gehörte oder nicht“. Die 22-jährige Alex führt in New York ein wackliges Leben als eine Art Escortgirl und hat sich gleichzeitig in eine ziemlich verfahrene Situation geschnorrt.
Die Schulden sind hoch, kein Job in Sicht und auch kein Retter in Not, oder? In einer Bar lernt sie Simon, einen gut erhaltenen Mittfünfziger, kennen. Nach ein paar Drinks und Dates lädt er Alex ein, den Sommer gemeinsam in seinem Haus in den Hamptons zu verbringen. Nichts wie weg und hinein in diese verheißungsvolle Parallelwelt. Doch die Hamptons werden für die junge Frau zum Albtraum. In ihrer Verzweiflung zieht Alex geradezu eine Schneise der Zerstörung durch höchst gediegene Sommersitze.
Emma Cline: Die Einladung. Übersetzt von Monika Baark, Carl Hanser, 320 Seiten, 26 Euro
Jessica Bruder: Nomaden der Arbeit
Mit dem Wohnmobil durch die USA zu reisen klingt wie der wahr gewordene, amerikanische Traum von Freiheit, Wohlstand und Abenteuer. Doch für viele ist das Unterwegssein bittere Realität, denn das Leben im Wohnwagen ist der einzige Weg, um nicht auf der Straße zu landen. Vor allem ältere Menschen aus der Mittelschicht, die einst normale Jobs hatten, übernachten auf Parkplätzen und fahren hunderte Meilen, um als Wanderarbeiter auf Plantagen, am Fließband oder auf Ölfeldern zu schuften, weil die Rente nicht reicht oder das Ersparte in der Finanzkrise verloren ging.
Die US-amerikanische Journalistin Jessica Bruder hat diese „Nomaden der Arbeit“ monatelang begleitet und ein eindrückliches Buch geschrieben - über Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden in einem Land, das viel verspricht, aber wenig bereithält an sozialer Sicherheit. Im Zentrum steht Linda May, Mitte sechzig, zweifache Mutter, die auf Campingplätzen arbeitet und vom Leben gezeichnet ist, ihren für die USA so typischen Optimismus und Pragmatismus dennoch nicht verliert. Das Buch, wunderbar verfilmt mit Oscar-Preisträgerin Frances McDormand in der Hauptrolle, zeigt, wie begrenzt die Möglichkeiten in den USA in Wirklichkeit oft sind.
Jessica Bruder: Nomaden der Arbeit - Überleben in den USA im 21. Jahrhundert. Übersetzt von Teja Schwaner, Blessing, 384 Seiten, 22 Euro
Ibram X. Kendi: Gebrandmarkt
Die Wahrscheinlichkeit, im Gefängnis zu landen, ist für schwarze US-Amerikaner fünfmal höher als für weiße. Die Wahrscheinlichkeit, von der Polizei erschossen zu werden, 21 Mal höher. Rassismus ist in den USA tief verwurzelt. Anhand von fünf Persönlichkeiten, darunter Thomas Jefferson, Verfasser der Unabhängigkeitserklärung, sowie Angela Davis, Philosophin und schwarze Bürgerrechtsaktivistin, erzählt Ibram X. Kendi die Geschichte rassistischer Ideen - von ihren Ursprüngen im Europa des 15. Jahrhunderts über die Puritaner, die sie nach Amerika brachten bis zu gegenwärtigen Debatten über Polizeigewalt, Masseninhaftierung und ungleiche Vermögensverhältnisse.
„Es war mir nicht vollständig klar, dass das Einzige, was an weißen Menschen besonders ist, ihr Glaube ist, dass etwas an weißen Menschen besonders sei“, schreibt Kendi. Rassistische Absichten entstehen nicht nur aus Hass und Unwissenheit, sondern werden gezielt verschleiert oder politisch forciert im Interesse führender Eliten. Kendi zählt zu den renommiertesten Rassismus-Historikern weltweit, er leitet das „Center for Antiracist Research“ an der Boston University, das Time-Magazin listete ihn 2020 unter die hundert einflussreichsten Persönlichkeiten. Sein Sachbuch „Gebrandmarkt“ diente als Grundlage für die gleichnamige Netflix-Dokumentation. Ein bitteres wie brillantes Buch mit einer klaren Botschaft: Jeder Mensch kann rassistische Ideen fabrizieren, über sie nachdenken und ihnen etwas entgegensetzen.
Ibram X. Kendi: Gebrandmarkt: Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika. Übersetzt von Susanne Röckel und Heike Schlatterer. C. H. Beck, 604 Seiten, 34 Euro
Samantha Power: The Education of an Idealist
Kriegsberichterstatterin, Beraterin von Präsident Barack Obama, US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen: Samantha Power gewährt in ihrer Biografie „The Education of an Idealist“ einen Einblick in ihr Leben und damit den Maschinenraum der amerikanischen Politik. Power, die als Kind von Irland in die USA kam und an den Eliteuniversitäten des Landes studierte, nimmt die Lesenden mit in ein Amerika, das sich von der Rolle der Weltpolizei im Laufe der vergangenen 30 Jahre immer weiter verabschiedet. Erst als Journalistin in Jugoslawien und dann als Beraterin von Präsident Obama berichtet Power eindrücklich, wie ihre Ideale und ihre Vision von einer besseren Welt im Laufe ihrer Karriere mit der politischen Realität und den nationalen Interessen der USA kollidierten.
Ihren vom eigenen Idealismus getriebenen Aktivismus muss Power als hochrangige Beamtin Stück für Stück hinter sich lassen. Das Buch ist eine tiefgründige Reflexion über persönliche Überzeugungen und die USA in einer wandelnden Welt.
Samantha Power: The Education of an Idealist. Auf Englisch. Harper Collins Publ. USA, 592 Seiten, 13 Euro
Alan Gratz: Amy und die geheime Bibliothek
Jedes Jahr werden in den USA Tausende Kinderbücher aus Bibliotheken und Schulen verbannt, weil befürchtet wird, dass sie einen schlechten Einfluss - etwa den mangelnden Respekt gegenüber Erwachsenen - auf die jungen Lesenden haben. Im zweiten Halbjahr 2024 waren es nach Angaben des amerikanischen PEN mehr als 4000, darunter solche pornografischen Inhalts, aber auch auffallend viele, die queere Themen behandeln. Und schon länger verboten sind in manchen Schulen und Bibliotheken Bücher wie die Harry-Potter-Romane, „Huckleberry Finn“ und Conelia Funkes „Gespensterjäger“.
Bücher, die auch auf der Liste der zwölfjährigen Amy stehen. Alan Gratz erzählt in seinem Kinderbuch „Amy und die geheime Bibliothek“ von einem Mädchen, das nicht akzeptieren will, dass man ihr vorschreibt, welche Bücher sie lesen darf und welche nicht. Mit einigen Freunden gründet sie eine „geheime Schließfach-Bibliothek“, für die sie mit viel Einsatz verbotene Bücher organisiert und an ihre Mitschülerinnen und Mitschüler verleiht. Ein witzig geschriebenes und originelles Buch über den Mut, seine Stimme zu erheben gegen willkürliche Regeln und ein mitreißendes Plädoyer dafür, dass aus Kindern, die mit Lese- und Denkverboten belegt werden, selten Erwachsene werden, die mit Meinungsvielfalt umgehen können.
Alan Gratz: Amy und die geheime Bibliothek. dtv, 320 Seiten, 9,95 Euro - ab 10 Jahre
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