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Buchrezension: Skurrile Satire: So liest sich "Drifter" von Ulrike Sterblich

Buchrezension

Skurrile Satire: So liest sich "Drifter" von Ulrike Sterblich

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    Ulrike Sterblich zeichnete schon Comics für das Satiremagazin Titanic. Jetzt hat sie mit "Drifter" ihren zweiten Roman geschrieben.
    Ulrike Sterblich zeichnete schon Comics für das Satiremagazin Titanic. Jetzt hat sie mit "Drifter" ihren zweiten Roman geschrieben. Foto: Dorothea Tuch, Rowohlt Verlag

    Die Berliner Politologin Ulrike Sterblich liefert mit „Drifter“ einen satirischen Kommentar auf die Gegenwart und eine Hommage an die Freundschaft. Worum es konkret geht? Unmöglich zu beschreiben, denn Sterblich verwebt reale Bezüge mit fantastischen Elementen, entwirft Verschwörungsszenarien und seziert den Wahnsinn des Internetalltags. 

    Aber von vorn: Eine Begegnung in der S-Bahn stellt das Leben von Wenzel auf den Kopf. Der Ich-Erzähler sitzt einer Frau im goldenen Kleid gegenüber, die das neue Werk seines Lieblingsautoren Drifter liest. Er recherchiert im Netz, aber findet nichts. Woher hat die Frau das Buch? Und warum wird Wenzels bester Freund Killer kurz darauf vom Blitz getroffen und ist völlig wesensverändert?

    Damit beginnt ein skurriler Ritt durch die Medienwelt, durch Kommentarspalten und Social-Media-Kanäle. Denn die Frau im goldenen Kleid betreibt eine Firma, die peppige Web-Videos mit versteckter Anlageberatung produziert und Smart-Watches verhökert, die das Gedächtnis ihrer Träger anzapfen. So weit, so abgedreht. 

    Ulrike Sterblich hat schon für das Satiremagazin Titanic Comics gezeichnet

    Deutlich greifbarer wirkt dagegen die innige Freundschaft, die Wenzel und Killer von Kindheit an verbindet. Später, da arbeitet der eine schon als PR-Chef und der andere betreut Social-Media-Kommentare bei einem TV-Sender, sitzen sie abends oft zusammen, zocken oder trinken Bier. Doch der Blitzeinschlag verändert die Dynamik. Killer kündigt den Job, zertrümmert sein Handy und zieht in den Wohnblock ihrer Kindheit zurück. Er hat zwar noch alle Tassen im Schrank, aber das Geschirr neu sortiert, resümiert Wenzel. Die anfängliche Verwirrung wandelt sich im Laufe des Romans in gegenseitiges Verständnis. Sie lassen die Veränderung zu, begegnen sich neu und wachsen daran. 

    Mit ihrem Roman "Drifter" ist Ulrike Sterblich eine von sechs  Nominierten für den Deutschen Buchpreis.
    Mit ihrem Roman "Drifter" ist Ulrike Sterblich eine von sechs Nominierten für den Deutschen Buchpreis. Foto: Rowohlt Verlag

    Sterblich, die für das Satiremagazin Titanic Comics zeichnete und mit „The German Girl“ 2021 ihren ersten Roman vorlegte, hat einen wunderbaren Sprachstil. Die Dialoge klingen authentisch, der lockere Ton erinnert an Wolfgang Herrendorfs „Tschick“. Bei Sterblich werden Listen von ungelesenen Büchern zu „Mahnmalen eines schockierenden Missverhältnisses zwischen Lebenszeit und Wissensdrang“ und ein Krawall-Johnny, der von nichts eine Ahnung, aber zu allem eine Meinung hat, wird zum Destillat der bundesweiten Kommentarspalten-Gesellschaft. 

    Die Effekthascherei der Medien, der Hass im Netz, die Welt der Influencer, die mit fröhlicher Fassade sich selbst und sinnlose Produkte vermarkten – all das kritisiert Sterblich. Trotzdem kommt ihre Erzählung nie verbittert, sondern liebevoll daher, getragen von der tiefen Freundschaft zwischen Wenzel und Killer. Sterblich macht klar, was den Menschen im Zeitalter der unerklärlichen Merkwürdigkeiten Halt gibt: Ein warmherziges, soziales Miteinander. 

    Am Ende scheint auch das Geheimnis um Drifter gelüftet. Hinter dem Pseudonym steckt ein abgehalfterter Autor, der sein eigenes Werk als albernen Quatsch abtut und sich um mediale Aufmerksamkeit einen feuchten Kehricht schert. Die Rechte an seinem neuen Roman wurden an die Social-Media-Firma der mysteriösen Frau verkauft, die es mit einem billigen PR-Gag pompös zu vermarkten weiß. Ein satirischer Kommentar auch auf den Literaturbetrieb. 

    Ulrike Sterblichs Romans „Drifter“ sei „eine meisterhafte Geschichte über das große Nichts“, urteilte die Jury. Tatsächlich weiß man am Ende nicht, was man da gerade gelesen hat. Nur so viel: es hat unheimlich Spaß gemacht. Der Ich-Erzähler und sein vom Blitz getroffener Freund bleiben in Erinnerung. Und auch so schöne Sätze wie: „Der Makel liegt nicht in der lädierten Vollkommenheit, der Makel liegt darin, Vollkommenheit zu wollen.“ Man muss die Fantasie nicht zu erklären versuchen, man kann sich einfach daran erfreuen. Das Englische „drift“ bedeutet so viel wie sich treiben lassen. Einfach mal in andere Welten abschweifen und der Realität entkommen, wer wünscht sich das nicht.

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