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Buchpräsentation: Thilo Sarrazin stellt sein neues Buch vor – und Uwe Tellkamp ist mit dabei

Buchpräsentation

Thilo Sarrazin stellt sein neues Buch vor – und Uwe Tellkamp ist mit dabei

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    Der eine kühl, der andere hitzköpfig: der Ex-Politiker und Publizist Thilo Sarrazin (links) und der Schriftsteller Uwe Tellkamp bei der Präsentation des neuen Sarrazin-Buchs in Berlin.
    Der eine kühl, der andere hitzköpfig: der Ex-Politiker und Publizist Thilo Sarrazin (links) und der Schriftsteller Uwe Tellkamp bei der Präsentation des neuen Sarrazin-Buchs in Berlin. Foto: dpa / Monika Skolimowska

    Mehr Provokation als Sarrazin und Tellkamp im Doppelpack geht nicht im deutschen Literaturbetrieb. Beide eint, dass sie – einst hoch angesehen – mittlerweile am rechten politischen Rand verortet werden. Thilo Sarrazin traf der Bannstrahl für seine umstrittenen Thesen über die Abschaffung Deutschlands und die Folgen der Zuwanderung aus muslimischen Ländern. Tellkamp für seine Kritik an der Flüchtlingspolitik Angela Merkels und seine Abscheu gegen die Corona-Politik.

    Nun sitzen beide nebeneinander in einem nüchternen Raum in der Mitte Berlins und Tellkamp hält, was er verspricht. In einer sarkastischen „Laudatio auf einen Unbequemen“, so Tellkamp über Sarrazin, arbeitet er sich an den führenden Köpfen der Ampelregierung ab, die Deutschland in seinen Augen in den Abgrund führt. Er nennt Kanzler und Minister nicht direkt beim Namen, sondern bildet Verben aus ihnen. Habecken heißt, den Winter ohne Gas, Strom und Heizung zu überstehen und für den Frieden zu verzichten. Lauterbachen bedeutet, die Pandemie zu definieren. „Wer lauterbachte wusste, wer die Schwurbler waren und wer nicht.“ Scholzen meint, ohne Rückgrat und Führung ein Land zu regieren. Baerbocken bezeichnet den Export der grünen Klimapolitik in die Welt mit einem „Ministerium für Wind und Sonne WiSo“.

    Uwe Tellkamp ist bei der Verachtung der Parteiendemokratie angekommen

    In der Krise kehrt der Volkswitz zurück, sagt Tellkamp. Es sind böse Witze, Galgenhumor, die der Schriftsteller aus Dresden vorträgt. In ihm brodelt es wie in einem Vulkan, der beim kleinsten Riss in der Hülle ausbricht. Tellkamp wütet und zürnt, dass es einem angst wird, angst um ihn. Wie hält er das jeden Tag aus, diesen Hass auf die Verhältnisse?

    Frage: Herr Tellkamp, warum sind Sie so zornig? Gegenfrage Tellkamp: Warum sind Sie so ruhig? Er erzählt dann, dass er versucht, Vorsorge für den Winter ohne Gas zu treffen, es aber in seiner Wohnung keine Feuerstelle gibt. Für ihn trifft Deutschland jetzt folgerichtig das Elend einer falschen Energiepolitik, die Atom- und Kohlekraftwerke abgeschaltet hat. Der einst von Medien und Politik gefeierte Autor hat mit beiden abgerechnet. Er ist schon bei der Verachtung der Parteiendemokratie angekommen, wenn er von einem Staatsschauspiel spricht. Der 53-Jährige sieht links-grüne Weltenretter am Werk, die bar jeder Vernunft die Nation lenken. Wer das wie er infrage stelle, werde gebrandmarkt und ausgeschlossen. „Alles ist wieder da, Heilige, Priester, Hohepriester, Ketzer.“

    Hier ist Anknüpfpunkt für das neue Buch Sarrazins. Der frühere Politiker hört sich den Furor seines Laudators äußerlich gelassen an. „Das ist der Unterschied zwischen Kunst und Handwerk“, kommentiert er die Hinführung Tellkamps. Sein neues Buch ist eine Rechtfertigungsschrift für sein Tun in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten. Es ist eine Mischung aus Autobiografie, intellektueller Selbstverortung und politischen Forderungen. Im Jahr 2008 hatte Sarrazin das erste Mal die Debatten bestimmt, als er Hartz-IV-Empfängern empfahl, im Winter in der Wohnung einen warmen Pullover zu tragen. Zum Enfant terrible seiner Partei und des Justemilieu machte er sich mit der These, dass Deutschland durch die Zuwanderung schlecht ausgebildeter Migranten aus muslimischen Ländern dümmer werde.

    Thilo Sarrazin wendet sich gegen die Weltanschauungspolitik

    Heute wird in Deutschland wieder darüber diskutiert, ob im nächsten Winter ein oder zwei Pullover reichen werden, wenn die Heizung kalt bleibt. Sein Buch heißt „Die Vernunft und ihre Feinde“ und wendet sich gegen die von ihm beklagte Weltanschauungspolitik – komme sie von links, rechts oder aus der Religion. Es gebe natürlich keine politische Meinung ohne Weltanschauung. Doch eigener Standpunkt müsse stets an der kühlen Schärfe der Vernunft geprüft und, wenn nötig, geändert werden. „Ich versuche mich immer an der Wirklichkeit nach bestem Wissen und Gewissen rückzuversichern.“ Der regierenden Ampelkoalition attestiert er große Defizite im Hinterfragen der eigenen Positionen und widmet dem in seiner Warte illusorischen Koalitionsvertrag das letzte Kapitel. Energiewende, Migrationspolitik, das Ziel eines europäischen Superstaats seien nicht durch die Realität gedeckt.

    Sarrazin und Tellkamp leiden beide daran, dass sie im hitzigen Meinungskampf in der rechten Ecke stecken, die in Deutschland die dunkle ist. Er wisse schon, was morgen wieder über den Schwurbler Tellkamp in der Zeitung stehe, sagt er. Tellkamp gibt ein Beispiel: Er gelte als Impfskeptiker, weil er den Corona-Impfstoff wegen seiner Schwächen kritisch sehe. Aber dabei stehe er voll und ganz hinter dem Impfen gegen Kinderlähmung und Masern. „Ich will gerne weg von diesen allzu platten, billigen Zuschreibungen“, sagte er. Er sieht einen Bekenntniszwang am Werk, wie er ihn aus der DDR kennt. „Das ist das, was die Leute auf die Straße treibt. Sie machen sich auch Gedanken.“ Zum Abschied sagt er fast versöhnlich, die Hitzköpfigkeit „war schon immer mein Problem“.

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