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Buchkritik: Sacha Naspini sieht in die Abgründe eines Dorfes

Buchkritik

Sacha Naspini sieht in die Abgründe eines Dorfes

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    "Hinter verschlossenen Türen" spielt sich in Sacha Naspinis gleichnamigem Roman Wesentliches ab.
    "Hinter verschlossenen Türen" spielt sich in Sacha Naspinis gleichnamigem Roman Wesentliches ab. Foto: Alessandra Fuccillo

    Hinter verschlossenen Türen, so auch der Titel des Romans von Sacha Naspini, passiert so einiges, was das Licht der Öffentlichkeit scheut. Der Autor, der selbst aus dem toskanischen Grosseto kommt, öffnet die Türen des fiktiven Dorfes Le Case in der Maremma für eine staunende und immer wieder auch schockierte Leserschaft. Naspini hat ein vielstimmiges Porträt eines sterbenden Ortes geschrieben, rau und rücksichtslos.

    Im Zentrum des Geschehens steht Samuele, der Waisenjunge, der Le Case den Rücken gekehrt hatte und nach einer Mordanklage zurückgekommen war. Um ihn ranken sich viele der Geschichten. Lügenmärchen, Erinnerungen, Verleumdungen. Samuele ist so etwas wie der rote Faden in diesem vielstimmigen, oft bösartigen Chor. Dass er anders war als die wenigen gleichaltrigen Jungs im Dorf, erfährt man, dass er Schach geliebt hat, und wohl auch seine Großmutter, bei der er nach dem Verschwinden seiner Mutter aufgewachsen ist.

    Grausame Rache an der Dorfschönheit

    Wer Samuele wirklich war, darf er selbst erzählen, kurz bevor alles zu Ende ist, das Buch und auch das Dorf Le Case. Doch davor konfrontiert Sacha Naspini die Leser mit der ganzen Boshaftigkeit der Dorfbewohner – und mit Geschichten vom Überleben. Wie der des deutschen Soldaten, den eine Mutter aus Le Case bei sich aufnahm, um aus ihm einen Wiedergänger ihres gefallenen Sohnes zu machen. Oder die Geschichte der wenig ansehnlichen Graziella, die sich auf grausame Art an der Dorfschönheit rächt. Oder die des Mannes, der seinen schwulen Zwilling erschlagen hat und als ebendieser weiterleben muss.

    Es ist das Dorf selbst, das diese Bösartigkeit hervorbringt. „In Le Case herrscht Schweigen. Hinter jeder Tür stecken Zimmer, aus denen die Einsamkeit quillt, die üble, die dich fassungslos macht.“ Das inzwischen geschlossene Bergwerk hat Väter und Brüder verschlungen und der kollektive Verlust die Menschlichkeit. Sacha Naspini nimmt kein Blatt vor den Mund, um die Abgründe der Dörfler zu beschreiben.

    Sacha Naspini gelingt mit dem Buch ein großer Wurf

    Die Aufgabe der Zeitzeugen überträgt der Autor den kleinwüchsigen tauben Zwillingen. Die geheimen Aufzeichnungen der Schwester, die zum internationalen Bestseller avancieren, sind so etwas wie ein Buch im Buch. Die Zwillinge, die durch einen Blitzschlag vom Fluch der Taubheit befreit wurden, profitieren davon, von allen übersehen zu werden, aber selbst alles zu sehen: „Le Case bringt dich zur Welt, und dann vernichtet es dich. Wenn es nicht von allein klappt, kommt ein Doktor, um dir zur Ermunterung auf die Schulter zu klopfen. Was uns betrifft, so haben wir es einem Blitz zu verdanken, dass uns noch kein Fläschchen ins Jenseits katapultiert hat. Ebenso wie diese Komödie aus Schweigen und Lügen, bei der sogar die Toten nicht das sind, was sie scheinen.“

    Le Case ist mitleid- und würdelos, ein verkommenes Kaff, das sich an der Heuchelei seiner Einwohner mästet. Insofern ist sein Untergang nur folgerichtig. Die fast 600 Seiten bis zum bitteren Ende sind von einer fiebrigen Intensität, die niemanden kaltlässt. Mit „Hinter verschlossenen Türen“ ist Sacha Naspini ein großer Wurf geglückt.

    Sacha Naspini. Hinter verschlossenen Türen. Aus dem Italienischen von Mirjam Bitter und Henrieke Markert, Kein & Aber, 576 S., 26 €.

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