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Buchkritik: "Queer" von Benno Gammerl: Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute

Buchkritik

"Queer" von Benno Gammerl: Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute

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    Feiern für queere Vielfalt auf einem Schiff auf der Spree.
    Feiern für queere Vielfalt auf einem Schiff auf der Spree. Foto: Fabian Sommer, dpa, Archiv

    War früher alles besser? Oder doch eher heute, wo man so viele verschiedene Lebensentwürfe in der Öffentlichkeit sehen kann wie noch nie? Tatsächlich gibt es da – wenig überraschend – keine simple Antwort. Auch nicht, wenn man die Geschichte aus einem queeren Blickwinkel betrachtet. 

    Das macht der Historiker Benno Gammerl in seinem Sachbuch "Queer – Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute" eindrücklich klar. In sieben Kapiteln zeichnet Gammerl nach, was schwulen, lesbischen und allen anderen Menschen, die nicht der heterosexuellen Norm entsprechen, in gut 150 Jahren deutscher Geschichte angetan wurde. Aber auch, wie sie trotz Strafverfolgung und weitverbreiteter Homofeindlichkeit für ihre Rechte kämpften, dass es immer auch Momente gab, in denen sie ihr "Anderssein" dennoch zeigen und ausleben konnten. 

    In den 1920ern feierten queere Menschen in Bars in Berlin

    Auf 233 Seiten schüttelt der Autor ein wenig den Staub vom deutschen Kaiserreich – ohne diese Zeit zu verklären. Und dann beschreibt er die Zeit der 1920er, als es einige Zeitschriften für Schwule, Lesben und Transmenschen gab, die ersten geschlechtsangleichenden Operationen und als – vor allem in Berlin – Veranstaltungen und Bars für queere Menschen florierten. 

    Er zeigt bedrückend, wie grausam das NS-Regime mit Homosexuellen umging, die schon ab den späten 1930ern immer öfter in die Konzentrationslager transportiert wurden. Nicht einmal der SA-Führer Ernst Röhm – dessen Homosexualität laut Gammerl "ein mehr oder weniger offenes Geheimnis war" – überlebte diese Zeit: Er wurde im Sommer 1934 mit mindestens 90 anderen SA-Mitgliedern ermordet, sein "annormales Leben", wie es der Reichsführer der SS Heinrich Himmler ausdrückte, wurde also "ausgelöscht".

    Gammerl gelingt es, bei diesem Streifzug durch die Geschichte zu zeigen, dass sich die Argumente gegen queere Menschen über die Jahrzehnte hinweg immer wieder erstaunlich ähneln. Dass Homo- und Transfeindlichkeit nie verschwunden ist. Dass gerade die Diversität verschiedener queerer Lebensentwürfe und Perspektiven beim Kampf um Gleichberechtigung entscheidend geholfen haben.

    Kurzum: dass auch in der queeren deutschen Geschichte nie alles ganz schwarz oder weiß war. Oder in Gammerls Worten: "Zu keinem Zeitpunkt war die queere Vergangenheit ein reines Wohlgefallen. Es war aber auch nie ganz stockfinster."

    Benno Gammerl: Queer – Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute, Carl Hanser, 272 Seiten, 24 Euro.

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