Bücher setzen Emotionen frei: Lesende müssen lachen, weinen, vielleicht ärgern sie sich auch. Aber was, wenn das nicht mehr geht, weil Bücher fehlen? Ein schier undenkbares Szenario und doch nicht aus der Luft gegriffen, denn derzeit gibt es einen Papiermangel. Das liegt unter anderem am Krieg in der Ukraine.
„Der Papiermangel trifft alle, die grafische Papiere verwenden“, sagt Nadja Kneissler, Vorsitzende des Ausschusses für Verlage im Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Grafische Papiere werden beispielsweise für Zeitungen, Zeitschriften oder Bücher verwendet. Nicht betroffen seien die Verpackungssparte und die Produktion von Hygienepapieren. Unter anderem, weil viele Papierfabriken in der Pandemie auf Verpackungsproduktion umgestellt hätten, gebe es jetzt in der Verlagsbranche einen Mangel.
Früher sei der Papiereinkauf in der Buchbranche quasi kein Thema gewesen, sagt Kneissler, die Leiterin des Delius Klasing Verlags ist. Nun müssten über 70 Prozent der Druckereien aber schon teilweise Aufträge ablehnen, da sie einfach kein passendes Papier mehr bekämen. Weil Nachdrucken nicht mehr so einfach möglich ist, müssen die Verlage von vornherein größere Auflagen planen und haben daher ein höheres wirtschaftliches Risiko zu tragen. Und die Verlage müssen mit einem Zeitversatz beim Nachdrucken rechnen. Zudem seien die Unternehmen manchmal dazu gezwungen, Papiere zu nehmen, die nicht ihren Qualitätswünschen entsprächen und beispielsweise schneller vergilbten. Prinzipiell sind alle Verlage betroffen, besonders schwer sei es derzeit, Schuber oder beispielsweise dicke Pappen für Kinderbücher zu ordern.
Die Preisspirale ist für die Branche bedrohlich
Die Kosten seien enorm in die Höhe gestiegen, so Kneissler. Verschärft werde die Situation durch hohe Energiepreise und die steigenden Preise in der Logistikbranche. Gleichzeitig könne aber der Preis für Bücher nicht ins Unendliche steigen. Die Unternehmen erleben eine bedrohliche Preisspirale. Weder beim Buchhandel noch bei den Verlagen seien die Margen besonders groß, sagt Kneissler. Für manche kleineren Verlage könne die Situation schnell existenzbedrohend werden.
Momentan spürt Kurt Idrizovic, der seine Buchhandlung am Augsburger Obstmarkt hat, noch wenige Auswirkungen. Aber es könnte eng werden, wenn die Verlage weniger drucken, so Idrizovic. Denn der Verlag muss immer miteinkalkulieren, dass es dauert, bis ein Buch wieder in den Regalen stehen kann. Der Buchhändler sagt: „Im Moment sehen wir das mit Sorge.“ Der Mangel an Papier schlage sich auf dem Buchmarkt nieder. Der Händler sagt, dass wegen dieser Knappheit eventuell die Wartezeiten bei Neuauflagen von Bestsellern länger werden können.
Nur ein oder zwei Titel sieht Idrizovic derzeit als gefährdet an. Er schätzt aber, dass sich die Knappheit erst fürs Herbstgeschäft in den Geschäften bemerkbar macht. Allerdings rechnet er mit etwa einem oder zwei Euro mehr auf das einzelne Buch. Die Mehrkosten aus der Produktion müssen auf sie umgelegt werden.
Oh Schreck, plötzlich Bestseller
Der Papiermangel macht sich für die Verlage in verschiedenen Bereichen bemerkbar, berichtet Christina Knecht vom Hanser Verlag. Die Lieferketten funktionierten einfach nicht mehr so reibungslos wie früher, vieles habe sich verteuert. Die Kalkulation von Auflagen und schnelles Nachdrucken seien schwerer, besonders bei Spezialpapieren. Der Verlag versucht gegenzusteuern, indem noch genauer kalkuliert wird und noch genauer Einschätzungen getroffen werden, berichtet Knecht. Mitunter aber kommen äußere Faktoren hinzu, auf die die Verlage wenig Einfluss haben – wenn sich zum Beispiel ein Buch schnell besser entwickelt als erwartet und rasch nachgedruckt werden muss. Aber was machen die Verlage dann? Sie versuchen, sich mit Papier zu bevorraten, das kann erhöhte Lagerkosten verursachen. Und es bleibt die Ungewissheit, ob und wie lange der Erfolg anhält.
Christina Knecht sagt, dass seit Anfang des Jahres in der Druck- und Papierbranche eine Teuerung zwischen 30 und 60 Prozent eingetreten ist. Diese betrifft unterschiedliche Bereiche, und die Tendenz für die Preise ist auch eher steigend. Früher, erzählt Knecht, habe man längerfristige Verträge mit den Druckereien machen und Festpreise aushandeln können. Aber mit den momentanen Preissteigerungen sei das nicht mehr möglich.
Längerfristig würden Bücher wohl teurer, mutmaßt Christina Knecht, vielleicht müsse man auch an Sonderausstattungen sparen. Der Hanser Verlag hat viele Bücher, die mit Standardpapier gefertigt werden. Aber die Reihe der Hanser-Klassiker oder besonders dicke Bücher, für die spezielles Dünndruckpapier verwendet wird, könnten schlimmstenfalls auch einmal etwas länger vergriffen bleiben.
Einige Papiere haben Lieferzeiten von bis zu sechs Monaten, weiß Florian Enns vom Rowohlt-Verlag zu berichten. „Für uns Verlage sind die Auswirkungen des Papiermangels allgegenwärtig.“ Die Energiekosten seien in die Höhe geschnellt und hätten vermutlich ihren Zenit noch nicht erreicht. Daher war der Verlag gezwungen, die Preise seiner Bücher zum ersten April anzuheben. „Allerdings lassen sich die Kostensteigerungen dadurch nur teilweise kompensieren“, sagt Enns.
Ein Vorteil, wenn man die Kunden kennt
„In meinem Alltag ist der Papiermangel nicht wirklich angekommen“, sagt dagegen Daniela Haberkorn von der Buchhandlung Lesezeichen in Kempten. Wenn überhaupt, dann gab es Schwierigkeiten bei einzelnen Bestellungen oder bei kleineren Verlagen. Hinsichtlich des Preises rechnet aber auch sie damit, dass sich die Papierknappheit bemerkbar macht. Noch sei dies aber nicht bei den Buchhandlungen angekommen. Haberkorn erzählt, dass es seitens der Verlage eine Vorwarnung vor dem Weihnachtsgeschäft gab – sie habe sich aber nicht daran gehalten und trotzdem keine Buch-Engpässe erlebt. Für ihre eher kleinere Buchhandlung ist es von Vorteil, dass sie ihre Kundinnen und Kunden kennt und so einschätzen kann, was gerne gekauft wird.
Einer der Verlage, der von dem Papiermangel betroffen ist, ist der Reprodukt Verlag. Dieser hat sogar eine Crowdfunding-Aktion gestartet, um das Herbstprogramm zu sichern. Daniel Rehm ist Herausgeber des Berliner Verlages und sagt, dass die Situation sehr schwer einzuschätzen sei – man wisse nicht, wie es weitergeht. Aber am Ende bleibt von den Büchern eine geringere Marge übrig.
Dabei unterliegt der Markt unterschiedlichen Faktoren. Dazu gehört die russische Invasion in der Ukraine: Aus Russland kommt kein Holz zur Papierproduktion mehr. Ein anderer Faktor sind die Frachtengpässe aufgrund der Corona-Lage in China.
Im Reprodukt Verlag werden Comics und Graphic Novels produziert. Meist in enger Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern. Heraus kommen dann Bücher, die mehr wie ein Kunstwerk erscheinen, so Rehm, weil sie zum Beispiel auf besonderem Papier gedruckt sind. Doch der kleine Reprodukt Verlag kann nicht in so großen Margen einkaufen, wie die großen Verlagshäuser das können. Wie geht man um mit der aktuellen Situation? Daniel Rehm sagt: „Versuchen, weiter Bücher zu produzieren“.