Schneidig, wie er da oben auf der Bühne steht. Menschen, die nicht mit der Gnade der frühen Geburt behaftet sind, denken vermutlich, dass er mit seinem Kurzhaarschnitt und dem passenden Undercut auf die Welt gekommen ist. Schließlich kennt man ihn in den letzten 40 Jahren kaum anders. Locker und luftig, mit weißer Jeans und seinem weißen T-Shirt, grinst er ins Publikum und präsentiert weit über zwei Stunden mit seiner Stimme, die ihm Gott gegeben hat, die Leichtigkeit des Seins. Bryan Adams ist ein Menschenfänger. Einer, der die Massen im Nullkommanichts im Griff hat. Einer, der mit nur einem Akkord die Olympiahalle in München in ein Tollhaus verwandelt und der aus ansonsten seriösen Bürgerinnen und Bürgern, ein Volk zusammenschweißt, das an nichts anderes mehr denkt, als nur an Party zu machen.
Bryan-Adams-Fans flippen in München komplett aus
Nach einem Drittel des Konzerts flippt ein großer Teil der 11.500 Fans komplett aus. Der Rock’n‘Roll-Kracher „You Belong to Me“ aus seinem Album „Get Up“ (2015) erschüttert die Halle in ihren Grundfesten. Plötzlich reißen sich hunderte Frauen und Männer ihre T-Shirts vom Leib und lassen es dazu im Takt durch die Gegend schwingen. Auf den Sitzplätzen stehen die Menschen fast alle. Eine Frau, etwa um die 70 Jahre alt, lässt dabei ihre Hüften kreisen und küsst ihrem sitzenden, älteren Partner auf die Glatze. Die Kamera, die das Geschehen auf die Bühne überträgt, fängt gnadenlos die Bilder ein. Auch die zwei Frauen, die oben nur noch einen BH tragen, sind komisch berührt, als sie sich selbst auf der Leinwand sehen.
Während des ganzen Abends hat es allerdings den Anschein, als gäbe es ein stilles Abkommen zwischen Adams und den Massen in der Halle. So nach dem Motto: Ihr tragt mich durch den Abend und ich dafür euch. Wenn man dem Kanadier, der am Tag nach dem Auftritt seinen 65. Geburtstag feierte, überhaupt etwas vorwerfen kann, dann dass alles zu professionell, zu glatt wirkt. Seine Songs kommen rüber wie frisch aus der Plattenpresse. Die Show durchgestylt von der ersten bis zur letzten Minute.
Keith Scott unterstützt Bryan Adams in der Olympiahalle
Viel für diesen reibungslosen Ablauf macht dabei auch Keith Scott. Der Gitarrist neben Adams ist schon seit 1981 fester Bestandteil seiner dreiköpfigen Begleitband. Scott zaubert an der Gitarre und folgt Adams während der gesamten Zeit wie ein Schatten. Er liefert sich mit seinem Boss ein Gitarrenduell nach dem anderen und hat das Publikum ebenso schnell auf seiner Seite wie der Meister selbst. Für Adams ein Glücksgriff. „Zu meinen Konzerten kommen ja ab und zu auch berühmte Kollegen. Mick Ronson, Eddie Van Halen oder Jeff Beck haben schon vorbeigeschaut. Die kommen aber nicht meinetwegen, sondern wegen Keith“, sagte Adams mal in einem Interview.
In München beginnt Bryan Adams, dem man nachsagt, dass er als Fotograf ebenso begnadet sei wie als Sänger, mit dem rotzig-frechen „Kick-Ass“. Ein Auftakt, wie man ihn von ihm kennt. Riesengroße Bälle fliegen durch die Halle. Adams verpasst dem ersten gleich einen Tritt, dass er ins Publikum fliegt. Mit „Can‘t Stop This Thing We Started“, „Somebody“ und „18 till I die“ bringt er die Halle auf hohe Betriebstemperatur, ehe er sie mit „Please forgive me“ wieder etwas abkühlen lässt. Adams, der Poet. Oder Adams, den man sicher auch vergleichen kann mit einem Bänkelsänger aus dem Mittelalter. Vielleicht ist er sogar der letzte Überlebende dieser Art, der dem umstehenden Volk Balladen vorträgt. Und Balladen hat er etliche aus dem Ärmel geschüttelt. Wie „All for Love“, der Soundtrack zu dem Blockbuster „Die drei Musketiere“, „Straight From the Heart“, „Everything I Do“ aus „Robin Hood – König der Diebe“ oder „Heaven“, um nur einige zu nennen.
In München singt Adams natürlich auch „Summer of ‘69“
Er präsentiert Hits wie „It‘s Only Love“, „When You‘re Gone“ oder „When the Night Comes“, die er früher im Duett mit Weltstars wie Tina Turner, Mel C oder Joe Cocker gesungen hat. Und logisch „Back to You“, „Run to You“ und „Summer of ‘69“. In 40 Jahren hat er 100 Millionen Tonträger verkauft, da kommt schon Soundmaterial zusammen. Richtig witzig „So Happy It Hurts“ aus dem Jahr 2022. Wenn er im Video mit seiner Mutter Elizabeth und dem Hund mit einer alten Karre über die Straßen donnert und ihnen lauter merkwürdige Gestalten über den Weg laufen. Doch nach zweieinhalb Stunden ist alles vorbei. Die Band verneigt sich und noch einmal werden kräftig Hände am Bühnenrand geschüttelt. Bryan Adams hat geliefert – das Publikum allerdings auch.
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