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Suhrkamp bekommt neuen Eigentümer: Das sagt Unselds Lehrbetrieb in Ulm

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Der Name Unseld verschwindet beim Suhrkamp-Verlag

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    Die schlichten, regenbogenfarbigen Bände und viele andere Bücher haben jahrzehntelang das gesellschaftliche Klima in Deutschland geprägt und zieren bis heute die Universitätsbuchhandlungen.
    Die schlichten, regenbogenfarbigen Bände und viele andere Bücher haben jahrzehntelang das gesellschaftliche Klima in Deutschland geprägt und zieren bis heute die Universitätsbuchhandlungen. Foto: dpa

    Die Bücher von Suhrkamp-Autorinnen und Autoren sind fester Teil des geisteswissenschaftlichen Kanons an deutschen Universitäten. Adorno, Marcuse, Habermas gehören zu den großen Namen des Verlags. Die schlichten, regenbogenfarbigen Bände und viele andere Bücher haben jahrzehntelang das gesellschaftliche Klima in Deutschland geprägt und zieren bis heute die Regale der Buchhandlungen.

    Suhrkamp verlegt allerdings nicht nur die großen Sozialphilosophen, auch Bertolt Brecht, Hermann Hesse und Ingeborg Bachmann fanden ihre geistige Heimat bei Suhrkamp. Die Liste berühmter Autorinnen und Autoren kann lang weitergeführt werden: Thomas Bernhard, Robert Walser, Max Frisch, Peter Handke und Nobelpreisträgerin Annie Ernaux. Doch die großen Namen allein reichen nicht mehr aus.

    Brecht, Hesse und Bernhard fanden bei Suhrkamp ihre geistige Heimat

    Der Suhrkamp-Verlag befindet sich in der wirtschaftlichen Krise. Einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge habe der Verlag im Jahr 2022 einen Jahresfehlbetrag von 270.000 Euro eingefahren. In den darauffolgenden Jahren hat sich laut Informationen der SZ die finanzielle Situation verschlechtert. Die Villa in Frankfurt am Main von Siegfried Unseld wurde nach 15 Jahren Leerstand nun verkauft.

    Jetzt verschwindet der Name Unseld aus dem Suhrkamp-Verlag. Der Unternehmer Dirk Möhrle übernimmt ab November sämtliche Anteile. Er wird damit alleiniger Inhaber des Verlags. Der Berliner Unternehmer verdiente sein Geld einst mit der familieneigenen Baumarktkette Max Bahr. Seit 2015 hält er bereits 39 Prozent des Traditionsverlags. Es ehre ihn, dass unter den Aktionären Konsens herrsche, ihm „diese gewichtige Aufgabe zu überantworten“, betonte Möhrle in einer Pressemitteilung. Zum Ende des Monats Oktober zieht sich damit Ulla Unseld-Berkéwicz und die Familie Ströher als Aktionäre zurück.

    Verleger Siegfried Unseld machte seine Lehre in Ulm

    Siegfried Unseld war als Verleger fester Bestandteil der deutschen Kulturlandschaft des 20. Jahrhunderts. Geboren wurde Unseld 1924 in Ulm. Dort beim Aegis Verlag absolvierte er auch seine Lehre.

    Rasmus Schöll ist heute Inhaber der Buchhandlung in der Nähe des Ulmer Münsters. Unseld hat bis heute eine große Bedeutung für Aegis. Anlässlich des 100. Geburtstags des Suhrkamp-Verlegers fand vor wenigen Wochen auch hier Feierlichkeiten statt. Siegfried Unseld sei zeit seines Lebens eng mit seinem Lehrbetrieb verbunden gewesen, sagt Schöll.

    Bruch mit Tradition: Eigentümer keine Verleger mehr

    Der Ulmer Unseld war von 1959 bis zu seinem Tod 2002 alleiniger Verleger des Traditionshauses Suhrkamp. „Der Suhrkamp-Verlag verlegt keine Bücher, sondern Autoren“, ist einer der markanten Grundsätze von Unseld.

    Unseld bestimmte in seiner Funktion den öffentlichen Diskurs mit. Das Buch war in Zeiten vor digitalen Medien Leitmedium und Unseld einer der mächtigsten und bedeutesten „Gatekeeper“ des Buchmarkts. Der Verleger setzte auch auf Autoren, die betriebswirtschaftlich eine Katastrophe waren, wie Rasmus Schöll weiß. Beispielsweise bezahlte Unseld Schriftsteller wie Uwe Johnson, auch wenn die Werke nur wenig Geld einbrachten. Auch Habermas und Adorno wurden nicht aus betriebswirtschaftlichen Gründen verlegt, so Schöll. Die Zahlen hatte Unseld dennoch im Blick. „Siegfried Unseld war Schwabe“, betont Schöll. Wenn manche Werke auch nur ein Nischenpublikum ansprechen, legt er im Gegenzug dafür den Steppenwolf von Hermann Hesse in einer Sonderauflage auf, erklärt der Ulmer Buchhändler.

    Dass nun ein Unternehmer ohne Kontakt zum Verlagswesen Eigentümer von Suhrkamp ist, beschreibt Schöll als Bruch. Mit der Witwe Ulla Unseld-Berkéwicz geht die letzte Eigentümerin, die noch „Programm machte“, sagt Schöll.

    Suhrkamp in der Krise: Autoren, die Umsatz bringen, fehlen

    Als Unseld vor 22 Jahren starb, wurde seine Witwe Kopf des Hauses. Wenig später lieferte Suhrkamp nicht nur ein Buch-Programm, sondern auch den spektakulärsten Verlagsstreit der deutschen Nachkriegsgeschichte.

    Gegen den erklärten Willen von Unseld-Berkéwicz übernahm der Medienunternehmer Hans Barlach im Jahr 2006 Anteile. Neun Jahre lang überzogen sich die beteiligten Parteien mit einer schier unüberschaubaren Zahl juristischer Verfahren.

    Nur Soziologie Steffen Mau in der Bestsellerliste

    Zu den Ergebnissen zählten der Umzug von Frankfurt nach Berlin, die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft und die damit verbundene Entmachtung Barlachs. Danach kehrte Ruhe im Hause ein, auch mit dem Einstieg des Unternehmers Möhrle.

    In der Bestsellerliste: Das Buch des Soziologen Steffen Mau „Ungleich vereint“.
    In der Bestsellerliste: Das Buch des Soziologen Steffen Mau „Ungleich vereint“. Foto: Suhrkamp

    Die Frankfurter Allgemeine Zeitung betitelte den Vorgang, Dirk Möhrle zum Alleineigentümer zu machen, als „Befreiungsschlag“. Ob es für den Verlag zur Befreiung wird, wird die Zukunft zeigen. Geschäftsführer und Verleger von Suhrkamp bleibt weiterhin Jonathan Landgrebe. Derzeit hat Suhrkamp nur zwei Titel des Soziologen Steffen Mau auf der Spiegel-Bestsellerliste. Der Ulmer Rasmus Schöll betont aber, dass Suhrkamp immer noch ein „extrem gutes Programm“ hat.

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