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Bob Dylan 2024 in Nürnberg: Frischer als mancher junge Musiker

Konzert

Bob Dylan bleibt auch in Nürnberg der alte Schelm

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    Auch in Nürnberg hat Bob Dylan keine Fotografen geduldet. Diese Archiv-Aufnahme stammt aus dem 2012 von Dylans Konzert in Benicassim in Spanien.
    Auch in Nürnberg hat Bob Dylan keine Fotografen geduldet. Diese Archiv-Aufnahme stammt aus dem 2012 von Dylans Konzert in Benicassim in Spanien. Foto: Domenech Castello/EFE / EPA FILE/dpa (Archivbild)

    Im Sommer des Jahres 1978 erschien er leibhaftig. Bob Dylan! In Deutschland! Das erste Mal! Höhepunkt der kurzen Tournee war ein Open-Air-Konzert in Nürnberg, vor 80.000 Besuchern. 80.000 begeisterte Fans? Naja. Eher 80.000 ziemlich irritierte Zuschauer.

    Bob Dylan, damals schon eine Legende, ein Mythos, trat nicht mehr als der einsame Protestsänger mit Klampfe und Mundharmonika auf. Auch nicht als der konvertierte Rocker, auch nicht als Country-Beseelter. 1978, da befand sich in einer Art Las-Vegas-Phase. Die Begleitband aufstockt auf Orchester-Dimension. Mit Blechbläsern und Background-Sängerinnen. Die Songs – aufgeblasen auf Breitwand-Sound. Ein bisschen Reggae, ein bisschen Soul. Anders als von den Platten gewohnt, anders als erwartet.

    Allein in Nürnberg hat Bob Dylan seit 1978 fünfmal vorbeigeschaut

    Im Lauf der Jahre und Jahrzehnte war Bob Dylan oft in Deutschland unterwegs, allein in Nürnberg schaute er seit 1978 fünfmal vorbei. Jetzt zum sechsten Mal. Und? Wieder alles anders? Wieder ein neuer Sound? Wieder verstörte Konzertbesucher?

    Nein. The-Times-They-Are-A-Changin‘ – stimmt mehr denn je. Der späte Dylan aber hat zu einer gewissen Konstanz gefunden. Die Zeit der radikalen Richtungswechsel liegt hinter ihm. Seit vielen Jahren lässt sich Dylan von einer Band in der klassischen Rock-n-Roll-Aufstellung unterstützen. Bass (seit Ewigkeiten in den Händen von Tony Garnier), Schlagzeug (seit neuestem besetzt von Session-Legende Jim Keltner) und zwei Gitarristen (zur Zeit Bob Britt und Doug Lancio). Der Meister selbst hat sich ans Klavier zurückgezogen, welches er wenig virtuos, aber vehement bedient.

    Die Hälfte der Songs, die Bob Dylan spielt, stammen vom neuen Album

    Bob Dylan spielt auch in der voll besetzten Frankenhalle die 17 Songs, die er schon in Prag, Erfurt und Berlin, den bisherigen Stationen der Europa-Tour des Herbstes 2014, im Programm hatte. Mehr als die Hälfte stammt von seiner letzten Platte „Rough And Rowdy Ways“. Die anderen Songs: eine wilde Mischung. Klassiker, Semiklassiker, Raritäten. Die Bühnenshow … Welche Show? Die Beleuchtung schummrig, auf Bordell-Bar-Niveau abgedimmt. Fotoapparate würden hier wohl versagen - wären sie denn erlaubt.

    Auch in Nürnberg müssen die Besucher ihre Handys in Täschchen stecken lassen, die erst nach dem Konzert wieder vom Hallenpersonal geöffnet werden. Das Prozedere klappt problemlos. Die meisten Gäste kennen wohl ihren Bob, lassen das Handy präventiv draußen im Auto. Drinnen in der Halle ist die Stimmung andachtsvoll, aufmerksam.  Ein verirrter Klingelton, ein versehentliches Blitzlicht würde wohl Konzert-Abbruch und Lynchjustiz nach sich ziehen. Mindestens.

    Auch in Nürnberg interpretiert Bob Dylan nach Laune seine Songs

    Im Internet kursieren natürlich dennoch insgeheim gefertigte Audio-Aufzeichnungen. Man muss kein erfahrener Dylan-Deuter sein um rauszuhören: Variationen und teils drastische Neudeutungen sind die Norm. Die Darbietung jedes Songs unterliegt des Meisters Launen und Ideen. Letzthin hat er mal kurz einen Schraubenschlüssel als Rhythmus-Instrument ins Spiel gebracht. Der kam in Nürnberg nicht zum Einsatz. Dafür hörten die erstaunten Fans ein schwungvolles „Desolation Row“, das an Buddy Hollys „Peggy Sue“ erinnerte. „It’s All Over Now, Baby Blue“ kam ziemlich poppig rüber. Ganz schräg: „When I Paint My Masterpiece”. Dass der Song auch mit Rumba-Feeling funktioniert – auf die Idee kommt keiner. Außer Bob, der alte Schelm. Der am Ende fast unhörbar „Thank You“ murmelt und sich mit einem bewegenden, majestätischen „Every Grain Of Sand” verabschiedet.

    Seine 83 Lebensjahre sieht man Bob Dylan inzwischen deutlich an. Meist steht oder sitzt er am Klavier, stützt sich ab. Wenn er mal ein paar Schritte vom Instrument wegtapst, hält man den Atem an, möchte man ein „Vorsicht!“ ausrufen. Ja, er mag nun alt sein. Aber er ist immer noch abenteuerlustiger, frischer, wagemutiger als viele junge Künstler. Und wer den „gewohnten“ Dylan hören will: Vor der Halle steht auch in Nürnberg ein Straßenmusikant mit Gitarre, Mundharmonika und Greatest-Hits-Programm. Erfahrene Dylan-Besucher haben ihn bereits an anderen Tour-Stationen gesehen und gehört. Keine Überraschung also.

    Die bleiben Bob Dylan vorbehalten. Auf seinem Social-Media-Kanal, der sich meist durch gesammeltes Schweigen auszeichnet, tauchte letzthin unvermittelt dieser Gruß auf: „Happy Birthday Mary Jo! See you in Frankfort“. Jetzt rätseln die Dylanologen, wer diese Mary Jo denn sei. Und ob mit „Frankfort“ das deutsche Frankfurt gemeint sein könnte. Da tritt Dylan jetzt dreimal auf. Eine Antwort auf diese drängenden Fragen sollte sich das dortige Publikum eher nicht erhoffen.

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    1 Kommentar
    Günther Franz

    Sehr geehrter Herr Neuhäuser, schön von jemanden zu lesen, der am 01.07.1978 Bob Dylan auf dem Reichsparteitagsgelände gesehen hat. Es ist korrekt das Dylan damals mehrere Musiker als früher auf der Bühne hatte, nur verzichtete er selbst auf "g`spinnertes" Outfit, sondern kam mit einer schlichten Lederjacke auf die Bühne und die Musi hatte nicht viel von Breitwand-Sound, sondern ging ziemlich knackig voran, da vor ihm Eric Clapton ein sehr gutes Konzert abgeliefert hatte, aber das wissen Sie, und das sich Clapton und Dylan bei den Zugaben noch einmal steigerten. Sein Klavierspiel gestern Abend als wenig virtuos zu beschreiben kann man vielleicht durchgehen lassen, aber das Bühnenlicht als "Bordell-Bar-Niveau" zu bezeichnen ist eine Frechheit. Fotoapparate mit Objektiven die eine ordentliche Lichtstärke haben und ein entsprechend lichtempfindlicher Film würden selbstverständlich nicht versagen. Das hätten Sie bei der Rückkehr in die analoge Welt berücksichtigen können. Nichts für ungut.

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