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Biografie: Hannah Arendt – was noch nicht erzählt wurde

Biografie

Hannah Arendt – was noch nicht erzählt wurde

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    Eine neue Biografie zeichnet ein neues Bild der Philosophin Hannah Arendt.
    Eine neue Biografie zeichnet ein neues Bild der Philosophin Hannah Arendt. Foto: DPA

    Aus dem Stand katapultierte sich innerhalb weniger Tage die Biografie „Hannah Arendt“ des Münchner Philosophieprofessors Thomas Meyer auf Platz eins der Sachbuch-Bestenliste von ZEIT/ZDF/DLF. Schon gibt es Lieferfristen für das Buch. Es ist eine Sensation. Nachdem alles über die amerikanische Jüdin aus Deutschland gesagt schien, jetzt also aus bisher nicht bekannten oder erstmals ausgewerteten Quellen ein anderes Bild! Der Autor gibt die Studienausgabe der Schriften Hannah Arendts heraus, er hat für diese Biografie auch bisher unbekannte biografische Details erschlossen. Wenn es ihm auf das Neue ankam, dann musste er das allzu Bekannte aus Hannah Arendts Leben und Werk eher nebenbei erwähnen und andere Schwerpunkte setzen: Die jüdische Königsberger Familie, das dortige, eher liberale Umfeld, haben die Kindheit und Jugend Arendts stärker geprägt als bisher beschrieben. Ihr Engagement im Pariser Exil für die Vorbereitung der Einwanderung von jüdischen Kindern und Jugendlichen nach Palästina und deren Realisierung wirft ein neues, ganz eigenes Bild auf ihre Beziehung zum Zionismus, zu der Zukunft eines jüdischen Staates und zum künftigen gemeinsamen Leben von Juden und Arabern in diesem Staat. Meyer beschreibt minutiös die jahrelangen Bemühungen Arendts gegenüber den französischen Behörden, der britischen Mandatsmacht über Palästina, mit Personen in Jerusalem und auch mit Stellen in Osteuropa, weil sie sich eben auch um Jugendliche aus der Tschechoslowakei oder aus Polen kümmerte.

    Meyer zeigt die Entwicklung Arendts hin zur politischen Aktivistin

    Die Studienzeit in Marburg und in Heidelberg beschreibt der Biograf vor einem kenntnisreichen Panorama der wissenschaftlichen und kulturellen Intensität, die Arendts weitere Entwicklung bestimmte. Wenngleich Arendt immer die Philosophin und Schülerin Heideggers und Jaspers‘ blieb, vollzog sich in Heidelberg unter dem Einfluss von Karl Mannheim ihre Hinwendung zur Soziologie. Meyer zeichnet diese Entwicklung weiter, bis Arendt „das Politische“ als das Eigentliche feststellt, aus dem sie ihre Kernthesen zu Imperialismus, Antisemitismus und Totalitarismus entwickelt. Sie würde immer als Jüdin schreiben, als eine Jüdin eigener Persönlichkeit. In der keinen Leser überfordernden Sprache der Biografie wird die gedankliche Entwicklung zu dem frühen Hauptwerk „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“ deutlich. Wenngleich hierin der Nationalsozialismus und der Bolschewismus als zwei Endpunkte des Totalitarismus feststehen, macht der Biograf schlüssig klar, dass Arendt beide mörderische Regime nicht etwa gleichsetzte. Sie habe früh erkannt, dass der Verweis auf Stalin in erster Linie dazu diente, die deutsche Schuld zu entlasten. Die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis war für Arendt so offensichtlich einzigartig, dass sie das dafür allgemein verwendete Schlüsselwort „Singularität“ gar nicht gebrauchte.

    Neben allen neuen Gesichtspunkten weicht die Biografie nicht den bekannten Themen aus Arendts Leben und Werk aus – das Buch „Eichmann in Jerusalem“ mit dem geflügelten Verdikt Arendts „die Banalität des Bösen“ wird in seiner kontroversen Rezeption gestreift, das überwältigende Gaus-Interview im ZDF dagegen breit gewürdigt. 

    Thomas Meyer: Hannah Arendt. Die Biografie. Piper, 528 Seiten, 28 Euro.

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