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Bayreuther Festspiele: Der neue Tristan sorgt für Kontroversen

Premierenkritik

Bayreuther Festspiele: Nacht über Tristan und Isolde

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    So viel Stoff zu bewältigen: Camilla Nylund und Andreas Schager als Protagonistenpaar in "Tristan und Isolde" bei den Bayreuther Festspielen.
    So viel Stoff zu bewältigen: Camilla Nylund und Andreas Schager als Protagonistenpaar in "Tristan und Isolde" bei den Bayreuther Festspielen. Foto: Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

    Warum eigentlich, mag man sich fragen, ein neuer „Tristan“ in Bayreuth, wo die letzte Neuinszenierung doch vor gerade mal zwei Jahren aus der Taufe gehoben und überhaupt nur wenige Male gespielt wurde? Weil, so der lapidare Grund, der damalige, von Roland Schwab besorgte „Tristan“ von vornherein als Corona geschuldeter Spontangeburt gedacht war, während der jetzt aktuelle, von Thorleifur Örn Arnarsson szenisch eingerichtete, von langer Hand im Spielplan der Wagner-Festspiele eingepflegt war. Einer geht, ein anderer kommt, und wie so oft ist das Neuere nicht automatisch das Bessere.

    Arnarsson, so hat er seiner Version von „Tristan und Isolde“ im Programmheft mit auf den Weg gegeben - allein szenografisch erschlösse es sich nicht -, Arnarsson entwirft Richard Wagners Musikdrama als Studie zweier Menschen, die sich entfremdet fühlen in ihrer Existenz. Tristan ist tief innerlich kein Held; Isolde will kein fremdbestimmtes Prinzessinnenleben führen. Jener eine, vor dem Bühnengeschehen liegende Moment, wo die beiden sich als Gleichgesinnt-Suchende erkannten, kristallisiert in Isoldes Erinnerungswort „er sah mir in die Augen“, diesen Augen-Blick wollen beide wiederhaben: als Liebende. Denen doch nur die Heimlichkeit der Nacht vorbehalten sein kann.

    Bayreuths "Tristan und Isolde": Eine Neudeutung durch Arnarsson

    Nachtschwarzes Dunkel im Hintergrund ist denn auch wesentlicher Bestandteil des Bühnenbilds von Vytautas Narbutas. Davor, knapp angedeutet durch herabhängende Taue, im ersten Aufzug die Szenerie des Schiffes, mit dem Tristan Isolde zu König Marke bringt. Isolde selbst inmitten eines überdimensionalen brautschleierhaften Stoffgebausches sitzend, oder besser: verfangen. Denn dass dieser Tristan, mit dem sie jenen unauslöschlichen Blick tauschte, sie nun einem fremden König zuführt, an diesem starken Stoff hat sie innerlich zu arbeiten.

    Es sind zunächst die nordisch inspirierten Schauwerte dieser Inszenierung, neben der Bühne die stilisiert archaischen Kostüme von Sibylle Wallum, die in Beschlag nehmen. Gerade auch dort, wo sie sich von Wagners szenischen Angaben entfernen wie im zweiten Aufzug, der nicht im Garten von König Markes Burg, sondern im Bauch eines Schiffes situiert ist – ein merkwürdiger Liebes-Rückzugsort in seiner Mischung aus Rumpelkammer und Kuriositätenkabinett. Doch wenn der visuelle Neuigkeitswert verbraucht ist, macht sich zunehmend szenische Lähmung breit, weil Thorleifur Örn Arnarsson auf die lange Strecke es nicht vermag, die innere Spannung des Protagonistenpaars in äußere szenische Vorgänge zu übertragen. Ja, man muss sagen: So wenig Leidenschaft war selten in einem „Tristan“.

    Da helfen auch nicht die wenigen Momente, in denen Arnarsson neue Akzente setzt. So spielt bei ihm auch noch im zweiten Aufzug der Trank eine markante Rolle. Diesmal ganz offensichtlich der „richtige“, der Todestrank, denn nach dessen Konsum haut es Tristan buchstäblich um, der Verräter Melot muss gar nicht mehr mit dem Schwert ausholen. Kann vielmehr gerade noch verhindern, dass Isolde das Fläschchen vollends leert. Ein weiteres und letztes Mal, im dritten Aufzug vor ihrem Liebestod, setzt Isolde den Trank an die Lippen, und diesmal mit Erfolg.

    Die Geschichte schleppt sich zähflüssig ihrem tragischen Ende entgegen

    Doch solch kleinformatige Inventionen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschichte ziemlich zähflüssig sich ihrem tragischen Ende entgegenschleppt. Was da in den Seelen vorgeht, gerade im Hinblick auf Arnarssons eingangs erwähnte psychosoziale Behauptung, das vermag kaum einmal den Bühnenrand zu überspringen. Was auch an der schnöden Tatsache liegt, dass diese Neuproduktion es mit der Textverständlichkeit nicht so genau nimmt. Ein Sänger- (weniger Sängerinnen-)Problem, aber auch eines, das zu Lasten von Semyon Bychkov geht. Wo das Orchester der Festspiele sich frei entfalten kann wie in den Vorspielen, ist Bychkov ein feinsinniger Klangregisseur selbst noch der Pausen – die beiden lang gehaltenen nach den ikonischen orchestralen Gesten der Werkeröffnung werden bei diesem Dirigenten zu wohlbedachten Resonanzräumen sinnenden Miterlebens. Doch in den Augenblicken ekstatischen Außer-sich-Seins der Protagonisten, wenn auch Wagners Motivgeflecht sich zusammentürmt, lässt Bychkov das Orchester zu voluminös agieren, da hilft auch die Deckelung des Klangs im Festspielhaus nichts.

    Der Bauch des Schiffes als Liebesnest: Szene aus dem zweiten Aufzug der Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“.
    Der Bauch des Schiffes als Liebesnest: Szene aus dem zweiten Aufzug der Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“. Foto: Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

    Rein sängerisch gibt Camilla Nylund eine bemerkenswerte Isolde. Ihre volle, bestens fokussierte Stimme erhält sich den warmen Schimmer auch noch in den mühelos angesetzten Spitzen. Vorzüglich zudem die lyrischen Qualitäten der Sopranistin nicht nur in den Duetten des zweiten Aufzugs, sondern auch im finalen „Mild und leise“, das Nylund als großen Bogen spannt bis zum Abendlicht der letzten Worte. Christa Mayer ist auch in diesem Bayreuther Sommer der souveräne Mezzo vom Dienst, ihre Brangäne präzise gestaltet in der anhaltenden Sorge um die Herrin, die leuchtenden „Habet Acht“-Warnungen nur leider durch Kulissen verdeckt.

    König Marke ist hier mehr in seinem Mannsein als in seinem Treueglauben verletzt, so kernig, wie er von Günther Groissböck gegeben wird. Olafur Sigurdarson kommt mit Kurwenal nicht zurecht, zu einseitig kantig statt emotional empathisch gerät ihm die Gestalt des Tristan-Getreuen insbesondere im dritten Aufzug.

    Andreas Schager im Tongebirge des dritten Aufzugs

    Dieses Finale, gefürchtetes Tongebirge für jeden Sänger des Tristan: Andreas Schager verströmt hier in der weit ausgerollten Hellsichts- und Sterbeszene rücksichtslos sein Kraftorgan. Nicht zuletzt zum eigenen Nachteil, denn nach etlichen Aufschwüngen, die anbrandenden Orchesterfluten immer wieder übertrumpfend, ist die Stimme merklich angeknackst, die Vokalisation verwaschen, jeder Sprung in die Spitze eine weitere Stemmübung. Schade, denn zu Beginn der Aufführung, im ersten Aufzug, stellt Schager sich dar als einer, der sehr wohl klangschön Wagnersches Tenor-Melos darzubieten vermag.

    „Tristan“, das kapitale Werk, man hat es schon besser gehört und gesehen in Bayreuth. Chronistenpflicht muss noch vermerken, dass es für die Sänger und den Dirigenten ungetrübten Jubel gab, für das Regieteam lautstarke Ablehnung.

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