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Bayerischer Buchpreis: Ausblick auf den Bayerischen Buchpreis: Ewald Fries "Ein Hof und elf Geschwister"

Bayerischer Buchpreis

Ausblick auf den Bayerischen Buchpreis: Ewald Fries "Ein Hof und elf Geschwister"

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    Ewald Frie, gewann den Deutschen Sachbuchpreis für "Ein Hof und elf Geschwister. Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben in Deutschland" (Verlag C.H.Beck).
    Ewald Frie, gewann den Deutschen Sachbuchpreis für "Ein Hof und elf Geschwister. Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben in Deutschland" (Verlag C.H.Beck). Foto: Christian Charisius

    Den Deutschen Sachbuchpreis hat der Historiker Ewald Frie bereits gewonnen – und viel Anerkennung der Kritik dazu. Nun ist sein Buch "Ein Hof und elf Geschwister – Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben" auch für den Bayerischen Buchpreis nominiert, erstaunlicherweise allerdings nicht im Genre Sachbuch, sondern für den Publikumspreis, um den er mit Werken wie Dörte Hansens "Zur See" und Robert Seethalers "Café ohne Namen" konkurriert. Der Professor für Neuere Geschichte an der Universität Tübingen und selbst ein Bauernkind beschäftigt sich darin mit dem Wandel der Landwirtschaft.

    Die Veränderung der Landwirtschaft hat Autor Ewald Frie selbst miterlebt

    Frie stammt aus dem westfälischen Münsterland und ist das neunte der im Titel erscheinenden großen Kinderschar eines Rinderzüchters und seiner Frau. Aufgewachsen auf dem Bauernhof im Umfeld eines Dorfes, als Teil der Bauernfamilie, die Produktionsgemeinschaft, aber auch kulturelle und soziale Einheit war, hat er am eigenen Leben und dem seiner Geschwister die enorme Veränderung seit dem 1950er-Jahren miterlebt, und er erzählt diese Geschichte in einer Mischung aus (historischer und soziologischer) Wissenschaft und persönlichem Erleben, gestützt auf statistische Daten, auf eigene Erinnerungen und Interviews mit seinen Geschwistern. Zweifellos ein gewagter Grenzgang, aber gerade deshalb spannend zu lesen und überaus erhellend. 

    Zu den frühesten Erinnerungen zählen die Sonntagsbesuche der Verwandten, bei denen Vater und die großen Jungen den Brüdern und Onkeln in Stall und auf der Wiese die Kühe, Pferde und Schweine herzeigten, während die Mutter ihre Schwägerinnen und Schwestern durch den Garten und in den Keller führte, wo Anzahl und Qualität der Einmachgläser begutachtet wurden. Der Stolz auf Landbesitz, die eigene Arbeit und deren Produkte hatte freilich einen hohen Preis: dauernde Arbeit auch der Kinder. Bauernkinder wurden auf dem Hof übermäßig beansprucht, sodass sie nicht selten in der Schule einschliefen. Das galt umso mehr, als immer weniger Knechte und Mägde zur Verfügung standen – sie fanden ab den 1950er-Jahren besser bezahlte Arbeit in der Fabrik. Bildung und

    "Ein Hof und elf Geschwister": Für die Familienmitglieder ergeben sich neue Perspektiven

    Das änderte sich erstens mit dem Einsatz von Maschinen und zweitens mit staatlicher Sozial- und Agrarpolitik. Aus der personalintensiven Produktionseinheit Bauernfamilie wurde der kapitalintensive Betrieb mit landwirtschaftlicher Technik. Die Arbeit war jetzt nicht mehr ganz so hart, etwa die Ernte, bei der zuvor jeder, der nicht bettlägerig war, mithelfen musste, aber es fehlte dann auch das gemeinsame Feiern, das Singen, die alten Bräuche. Und man brauchte Geld, um in Maschinen zu investieren. Da traf es sich gut, dass die Bauern einen "mächtigen Freund" hatten – den Staat. Ein Bauernhof musste jetzt nicht mehr die ganze Großfamilie ernähren und nachhaltig absichern, es gab Subventionen für Fuhrpark und Aus- bzw. Neubauten, es gab landwirtschaftliche Altershilfe und Kindergeld, und es gab das BAföG. Das alles führte dazu, dass Höfe modernisiert werden konnten, dass der Lebensstandard stieg und sich für die Familienmitglieder neue Perspektiven ergaben. 

    Dabei brachte gerade das BAföG den Bauernkindern mehr Freiheit. Jetzt konnten auch die Töchter eine Ausbildung machen und sich entscheiden, ob die für die Landwirtschaft oder für ein anderes Berufsfeld gut sein sollte. Ewald Frie zeigt es am Beispiel seiner Schwestern, wie sie, unterstützt von der Mutter, alle den Weg hinaus aus dem Bauernhof machten und pädagogische Berufe ergriffen. Und auch die Brüder suchten sich, bis auf den Ältesten, den Hoferben, Berufe, die ihren Neigungen entsprachen. Ewald Frie und seine Geschwister gingen in eine Zukunft, in der eine "andere Währung" galt als bei der Eltern-Generation, nicht mehr Viehbestand und Landbesitz, sondern Bildung. 

    Ewald Frie erzählt eine Bildungsgeschichte

    Klar, dass der Autor aufgrund seines eigenen Lebenswegs diesen Wandel positiv wertet. Frie erzählt die Geschichte vom Wandel des bäuerlichen Lebens als Bildungsgeschichte, die das Tor zu Selbstbestimmung und Chancengleichheit öffnet. Womit er sich nicht befasst, das sind die negativen Folgen des Abschieds vom tradierten bäuerlichen Leben – die Dominanz der Technik auf dem Bauernhof von heute, die industrielle Produktion mit fehlender Rücksicht auf Tierwohl und Umwelt. 

    Ewald Frie: Ein Hof und elf Geschwister. Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben. Beck-Verlag, 200 Seiten, 23 Euro

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