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Ausstellung: Viktor & Rolf: Mode jenseits der neuesten Mode

Ausstellung

Viktor & Rolf: Mode jenseits der neuesten Mode

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    Kunst, am Körper zu tragen: aus Viktor & Rolfs Wearable Art Haute Couture Collection, 2015–16
Viktor und Rolf.
    Kunst, am Körper zu tragen: aus Viktor & Rolfs Wearable Art Haute Couture Collection, 2015–16 Viktor und Rolf. Foto: Philip Riches, Kunsthalle München

    Die Finanzkrise hat kapitale Löcher in die aufgebauschten Ballkleider gefräst. Mit Nadel und Faden ist bei diesen Einschnitten nichts mehr auszurichten. Und dann gibt es noch ein bewusst zur Schau gestelltes Upcycling, also das Verarbeiten bereits vorhandener Kreationen, von Vintage-Materialien und Stoffproben. Zwischendurch mit goldenem Lurexband zusammengefasst, wie die Japaner zerbrochenes Porzellan mit golddurchmischter Spachtelmasse reparieren. Das sind auch schon die größten Zugeständnisse an den Zeitgeist. Viktor & Rolf haben keine Lust, mit der Mode zu gehen. Ausgerechnet.

    Zwei kreative Köpfe mit ganz eigenen Vorstellungen, was Mode zu sein hat: Viktor Horsting und Rolf Snoeren.
    Zwei kreative Köpfe mit ganz eigenen Vorstellungen, was Mode zu sein hat: Viktor Horsting und Rolf Snoeren. Foto: Inez Vinoodh, Kunsthalle München

    Aber genau diese Weigerung, auf aktuellen Wellen zu reiten, ließ die Niederländer zur Marke werden. Und wo sich in plastischen Lettern ein riesiges „NO“ aus dem schmalen Mantel erhebt, stecken Viktor & Rolf dahinter. Ob das dann passt, steht auf einem anderen Blatt. Die Idee sei nicht das Tragbare, erklärt Viktor Horsting mit einem verbindlichen Lächeln – und ist sich nicht nur in dieser Hinsicht mit seinem Label-Partner Rolf Snoeren völlig einig.

    Lässiger geht es kaum als bei Viktor & Rolf

    Ganz so cool, wie sich die zwei Absolventen der Kunst- und Designakademie Arnheim auf Fotos geben, sind sie dann doch nicht. Im Gegenteil. Lässiger geht es kaum in der von Eitelkeit und Egozentrik dominierten Branche. Zumal den "Fashion Artists", wie sie sich nennen, in der Kunsthalle München eine höchst aufwendige Retrospektive ausgerichtet ist. Die erste umfassende überhaupt, zudem kongenial wie pointiert von Thierry-Maxime Loriot und Franziska Stöhr kuratiert.

    Das ändert freilich nichts an einer fundamentalen Renitenz. Die Schwerkraft? Ist da, um ausgehebelt zu werden. Deshalb beginnt die Ausstellung mit einer Robe, die kopfüber steht. Kein Saum fällt nach unten, die Falten ragen steil nach oben. Die Kleider dieser jüngsten Kollektion „Late Stage Capitalism Waltz“ von 2023 dürfen aber auch quer zum Körper stehen oder eher schweben? In gebührlichem Abstand zur Trägerin. Das ist praktisch, so etwas wird zumindest im optisch auffälligen „Vorbau“ einfach nicht zu eng.

    Die Nähe zur Kunst ist nicht zu übersehen

    In erster Linie demonstrieren diese irritierenden Aufzüge, dass Viktor & Rolf nie die gewohnten Perspektiven einnehmen und Mode ein Statement sein soll, etwas, das zum Nachdenken anregt, besser noch zum Diskurs. Die Nähe zur Kunst ist unübersehbar, und wenn Viktor & Rolf ihre ersten Entwürfe in Galerien und Kunsträumen präsentiert haben, dann war das nicht nur ihren klammen Kassen, sondern fast mehr noch ihrem Selbstverständnis geschuldet.

    Kunst muss ja auch nicht, Kunst kann, sofern sie überhaupt mag. Die ist in den Kollektionen „Wearable Art“ – gleich mit Bilderrahmen ausgestattet – und „Performance of Sculptures“ eigenwillig geformt und auf den Leib geschneidert. Mit Abstrichen, versteht sich, bequem kann das nicht sein. Und bevor etwas droht, zu „kleidsam“ und elegant zu werden wie die Tüllausschweifungen im „High Society“-Stil von Grace Kelly, pappt ein fettes „Fuck Yourself“ auf dem Rock oder ein flammenzüngelndes „Go to Hell“ (Fahr zur Hölle) mit Totenkopf. Selbst den Royals dieser Welt werden neue Dresscodes anempfohlen: Der gute alte Hermelin ist durch Kunstfasern in der Art von Cheergirl-Püscheln ersetzt, Krönchen und Diademe durch Trash-Klunker wie aus dem Kaugummi-Automaten.

    Eine Schleife? Nein, 264 Stück müssen es sein bei Viktor & Rolf

    Diese unterhaltsame Widerborstigkeit hat Viktor & Rolf nicht daran gehindert, für eine echte königliche Hochzeit geradezu konservativ zu werden: Vor 20 Jahren bat Mabel Wisse Smit, die Verlobte von Prinz Friso von Oranien-Nassau, das Duo um ein Brautkleid. Dank der 264 Schleifen wurde dieser Traum in Weiß doch noch ein bisschen extravagant und blieb im Gedächtnis der Fernsehzuschauer. 

    Ähnlich könnte es den Operngängern in Baden-Baden ergangen sein, als Robert Wilson 2009 Carl Maria von Webers „Freischütz“ inszenierte. Viktor & Rolf steckten den Jägerburschen Max – Berufswunsch Förster – in ein Blätterkostüm, die Sopranistin Juliane Banse mutierte als Agathe zum Blumenbouquet und hatte sage und schreibe elf Kilogramm Blüten über die Bühne zu schleppen. 

    Céline Dion und Madonna, Lady Gaga und Jennifer Lopez brauchen sich nicht gar so zu quälen, wenn sie sich von Viktor & Rolf einhüllen lassen. Die Berühmtheiten sind scharf auf deren Outfits und würden sich womöglich sogar rote Teppiche umlegen. So wie vor zehn Jahren, als die Niederländer unbekannte Models in „Red Carpets“ wickelten, um den Starkult gnadenlos auf die Schippe zu nehmen. Wer es in den Fashion-Olymp geschafft hat, darf alles. Auch den Spiegel vorhalten.

    Viktor & Rolf. Fashion Statements. Bis 6. Oktober in der Kunsthalle München, täglich von 10 bis 20 Uhr. Der Katalog (Hirmer) kostet 45 Euro in der Kunsthalle.

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