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Außenpolitik: Herfried Münkler: Alles eine Frage der Macht

Außenpolitik

Herfried Münkler: Alles eine Frage der Macht

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    Herfried Münkler, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität und Autor vieler Bücher.
    Herfried Münkler, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität und Autor vieler Bücher. Foto: Soeren Stache

    Es war kurz vor Silvester, Ende des so was von vergangenem Jahrzehnts, als es im Gespräch mit Herfried Münkler darum ging, was das Kommende wohl bereithalten würde. Für Deutschland, Europa, die Welt. Es war – zum Abschluss der Dekade – so ein bisschen um das große Ganze gegangen. Auf Deutschland, sagte der Politikwissenschaftler mit ziemlich ausgeprägter Expertise für Machtfragen, kämen Herausforderungen zu, die unvergleichlich seien gegenüber der "Ruhe und Behäbigkeit, mit der man die nun zu Ende gehende zweite Dekade durchschritten" habe.

    Die Kanzlerin – erstaunlich wie weit zurück das zu liegen scheint – hieß noch Angela Merkel, aus russischen Pipelines floss noch sehr viel günstiges Gas Richtung Westen und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte kurz zuvor davon gesprochen, dass Europa die „Sprache der Macht“ erlernen müsse. Das ging zu diesem Zeitpunkt vor allem Richtung China. Münkler, auch als Berater der politischen Szene aktiv, sah sich bestätigt. Er kommentierte das im Gespräch so: "Als ich vor Langem angefangen habe, Macht als eine Größe herauszustellen, die auch in Zukunft wieder eine Rolle spielt, war das nicht leicht, diesem Gedanken Geltung zu verschaffen. Es wurde gesagt: Wie schrecklich und grausam, wir haben doch unsere Werte. Diese Bonbon-Lutscher, die dachten, das alles gehe von selber."

    "Aufruhr" von Herfried Münkler: Das Buch der Stunde, der Tage und vermutlich auch der kommenden Jahre

    Seit Putin im Februar 2022 seinen Truppen befahl, die Ukraine zu überfallen, werden weniger Bonbons gelutscht. Eine "Zeitenwende" später beginnt der zweite Kriegswinter, Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius spricht davon, dass Deutschland "kriegstüchtig" werden müsse. Und vormalige Kriegsdienstverweigerer arrangieren sich mühsam mit der notwendigerweise abzuschließenden Innenrevision ihres von der Friedensdividende geprägten Normengefüges. Zu akzeptieren ist: Sehr viel weniger geht von selbst. 

    "Welt in Aufruhr" heißt das neue Werk von Münkler nicht umsonst. Er umreißt darin – es geht tatsächlich ums ganz große Ganze – die "Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert". Es ist damit – auch weil es geschrieben ist, wie es geschrieben ist – das Buch der Stunde, dieser Tage und vermutlich auch der kommenden Jahre. Bewehrt mit seinem prall gefüllten Gelehrtenfundus sortiert der 72-Jährige die Weltläufte. Sein Blick richtet sich darauf, wie sich die Welt nach 1945 bipolar aufstellte, wie sie durch den Kalten Krieg die folgenden Jahrzehnte gefror, wie "frappierend unspektakulär" das 1989 einsetzende Tauwetter den Ost-West-Konflikt zunächst beendete, warum Russland und Putin später begannen, sich dem Revisionismus hinzugeben, wo und warum die zunächst einzig verbliebene Supermacht USA fehlte, warum die Vereinten Nationen sich in die Selbstblockade manövrierten (und darin verharren), wohin China strebt, wie Europa außenpolitisch noch immer ziemlich unmündig (weil vergleichsweise machtlos) dasteht. Und wohin das alles führen könnte. 

    Herfried Münkler erklärt auch, warum der Ukraine-Krieg höchstwahrscheinlich noch dauern wird

    Münkler, der sich mit einer Arbeit über Niccolò Machiavelli – den florentinischen Theoretiker der Macht – promoviert hat, zeigt dann auf, warum es wohl auf eine "Weltordnung der großen Fünf" hinausläuft. Diese These, nach der die entscheidenden Einflusszonen um die USA, China, Russland, die EU und Indien entstehen, vertritt der vielfach ausgezeichnete Autor schon länger. Auf über 500 Seiten fundiert er diese – gewiss nicht nur für ein Fachpublikum geschrieben – mit einem theoretischen Unterbau über die Chancen und Risiken verschiedener Modelle von Friedensordnungen. Wobei die sich auftuenden Abgründe des Scheiterns in ihrer Tiefe hinreichend vermessen werden. Dabei erklärt er – in einem besonders interessanten Kapitel – nicht nur den Einfluss des umstrittenen Staatsrechtlers, NSDAP-Mitglieds und Parlamentarismuskritikers Carl Schmitt auf den Neo-Eurasismus eines Alexander Dugin und die russische Position. Er schlussfolgert allzu nachvollziehbar, warum der Ukraine-Krieg noch "einige Zeit fortdauern" wird.

    Die Welt, die kommt, wird noch gefährlicher. Oder wie Münkler schreibt: "Die Ära des 'westlichen Wertimperialismus', wie der Normuniversalismus des Westens in denunziatorischer Absicht bezeichnet worden ist, ist jedenfalls vorbei, und die Rekurse auf das Völkerrecht stehen unter dem Vorbehalt, dass es mächtiger Akteure bedarf, die es durchsetzen." Wer Münkler liest, bekommt virtuos hergeleitet, warum Deutschland und die EU für ihre Rolle in dieser heraufziehenden Welt nicht vorbereitet sind. Auch deshalb ist es Pflichtlektüre!

    Info: Herfried Münkler: "Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert", Rowohlt Berlin, 527 Seiten, 30 Euro. 

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