Es summt das Cello, es zirpt die Harfe, es säuselt die Flöte: Ist das schon, ist das noch Jazz? Über Rebecca Trescher und ihr Tentett zu berichten, kann nicht funktionieren ohne den einen oder anderen Rückgriff auf die klassische Musik und die Musik der klassischen Moderne. Das fängt bei den Notenpulten an, deren Leporello-Auflagen nicht selten höchste Konzentration erfordern - und das hört noch lange nicht auf bei den eingesetzten Instrumenten wie eben Cello, Harfe, Flöte. Sie kommen auch im Jazz vor, gewiss, aber seine Hauptsprachrohre sind sie nicht. Nicht einmal die Klarinette, die doch praktisch im Zentrum dieses hochseriösen Abends am Rosenpavillon im Botanischen Garten steht - trotz Benny Goodman, trotz Woody Herman. Und erst recht nicht die Bassklarinette, auf der Rebecca Trescher, Bandleaderin und Komponistin auch, den Auftritt eröffnet und in einer Zugabe beschließt. Keine zwei Stunden währte pausenlos das Konzert. Aber diese zwei Stunden besaßen geballte musikalische Substanz.
Rebecca Treschers Kompositionen sind nicht laut, schnell, hitzköpfig
Was sind Rebeccas ältere und jüngere Kompositionen, was sind sie nicht? Nun, sie sind nicht „hot“, sie treiben den Swing, den Drive, den Groove und deren Hörer nicht zum Beinzucken und zum Fingerschnippen. Sie sind nicht laut, schnell, hitzköpfig. Sie wollen nicht mit Effekten und Ego-Erregung überwältigen. Das potenziell Raue im Jazz, gar das Räudige, ist ihnen weitgehend fremd - und auch das betont Extrovertierte.
Und so wiederholt sich die Frage: Ist das schon, ist das noch Jazz? Oh ja, das ist Jazz. Reflektiert mit den erprobten, für gut befundenen Mitteln der Musikgeschichte. Dem Ausschlussverfahren oben muss eine Skizze starker Charaktermerkmale folgen: Rebecca Treschers Werke entfalten sich in aller Regel behutsam, kontemplativ.
Sie setzen mit Intellekt vor allem auf das Kollektiv und dessen Zusammenspiel mit allen Wassern; sie sind ausgetüftelt und ausgezirkelt; das transparente kammermusikalische Klangbild ist auch Teil eines häufig verhaltenen, in sich gekehrten Musizierens. Mit einem Wort: Rebecca Trescher schreibt „composer jazz“, feinsinnig, gebildet, klug. Im Hause von Vater Jazz gibt es viele Wohnungen. Auch eine für Mitglieder der Akademie des schönen Jazz.
Zauberhafter, atmosphärischer Jazz im Botanischen Garten
Nun gilt es aber, einem möglichen Missverständnis vorzubeugen. Dem, dass hier womöglich eine papierne, protokollhafte Spielart des Jazz vorliege. So ist es weiß Gott nicht. Beweis sind die zwei wohl schönsten Titel dieses Abends, dem Tröpfeln und leichter Regen nichts anhaben konnten. Sie hießen „Verborgen im Wald“ und „Nacht“, Werke jeweils aus der älteren CD-Produktion „Paris Zyklus“ und der jüngsten Trescher-Aufnahme „Character Pieces“, die zusammen im Mittelpunkt des Konzerts standen.
„Verborgen im Wald“ lässt fast einen Choral ertönen, jedenfalls einen geheimnisvoll dunklen, homophon geführten Satz der Bläser in vorderster Tentett-Front. Und daraus erwächst dann eines der eindringlichen, intensiven Klarinetten-Soli Rebecca Treschers, dem sich Attribute wie „narkotisierend“ und „beschwörend“ beigeben lassen, vor allem dann, wenn sie zusätzlich noch gewunden orientalisch tönen wie in „High Altitude Air“.
Und „Nacht“, das ist ein zauberhaftes, atmosphärisches Stück, eingeleitet von der Harfe, die phantasiert, wie es das 19. und frühe 20. Jahrhundert nicht schöner hätte tun können. Anton Mangold, auch er ein Multiinstrumentalist, wird romantisch... Um später auf Julian Hesse und seine Trompete zu übergeben, ins Dunkle geblasen mit wundervoll patiniertem, verhangenem Ton. Roland Neffe wiederum, der Vibraphonist, hatte den Nukleus, den Zell- und Nervenkern zu dieser Komposition „Nacht“ gelegt - so, wie für die CD „Character Pieces“ jeder der neun Mitstreiter Rebecca Treschers eine skizzierte Eizelle einbrachte. Woraus Trescher dann voll ausgearbeitete Werke fast schon symphonisches Ausmaße machte. Hinreißend.
In Augsburg lässt Rebecca Trescher auch Bach anklingen
Nicht verwundern dabei können besagte Rückgriffe auf die Musikgeschichte. Ob das der Impressionismus ist mit seinem exquisit ausgesuchten Klangkolorit, ob das parallel geführte Melodielinien sind wie in Ravels Bolero, ob das Cello (Juri Kannheiser) in einem Intermezzo zeigt, dass es Bach und seine Gambenmusik kennt, ob Schwebungen wie von der Orgel ins Spiel kommen oder Patterns wie aus der Minimal Music: Das alles ist beziehungsreich in das Oeuvre der 1986 in Reutlingen geborenen und studierten Komponistin Trescher eingebaut - wie andersherum auch kleine Ausflüge in den Freejazz, in die Naturmusik mit „Windgeräuschen“ der Blasinstrumente sowie die Arrangierkunst Gil Evans, der manchmal um die Ecke lugt.
Dass hier eine gescheite Frau einem Männerhaufen von Könnern vorsteht, bleibe an dieser Stelle einfach mal unkommentiert ...
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