i
Foto: Picture Alliance/dpa
Foto: Picture Alliance/dpa

Unter den tourenden Rockbands trieben es Led Zeppelin hinter der Bühne besonders wüst. Unser Bild zeigt Schlagzeuger John Bonham und Sänger Robert Plant.

Musikszene
13.06.2023

Der Rock 'n' Roll, die Groupies und der Sex - eine orgiastische Geschichte

Von Ronald Hinzpeter

Die Rammstein-Debatte hat das Thema Groupies auf die Tagesordnung gebracht. Beim Blick zurück zeigt sich: Geschichte wiederholt sich auch in der Rockmusik.

Warum spielt jemand in einer Band? Wegen der Kunst? Unsinn. Einem Gutteil der Rockmusiker ging es immer um das eine. Wer in einer Band die Gitarre richtig rum halten kann, wirkt cooler als der picklige Rest der Konkurrenten im Kampf um das weibliche Geschlecht. Keith Richards pflegt zu diesem Thema eine sehr professionelle Sichtweise: "Ich habe nicht mit der Musik angefangen, um mit jemandem im Bett zu landen. Aber es ist Teil von meinem Job", sagte er einmal in einem Interview. Etwas drastischer formulierte es der mittlerweile verstorbene Chef von Motörhead, Lemmy Kilmister: "You get more pussy when you're in a band." Freundlich ausgedrückt: Als Musiker kommst du an mehr Frauen ran. 

Die Rammstein-Debatte wirft ein neues Schlaglicht auf das Thema Groupies, also jene Frauen, die mit Musikern abhängen und sich mit ihnen vergnügen - oder vielmehr umgekehrt. Dabei taucht immer wieder die Frage auf, ob die Frauen denn nicht wissen konnten, was manche Bands hinter der Bühne treiben. Wobei die andere Frage ja die ist: Wie kommt man eigentlich auf die Annahme, dass in der Row Zero sich zig junge Frauen nur deshalb tummeln, um Sex mit dem Sänger zu haben? Und warum sollte irgendeine von ihnen mit Gewalt und Missbrauch rechnen? Das sind jedenfalls die noch unbewiesenen Vorwürfe im Fall Rammstein. Die Geschichten über die Beziehung zwischen Bands und Groupies und über das, was nach der Show hinter Kulissen passiert, mit Zustimmung, ohne Zustimmung, sind jedenfalls älter als die Popkultur. Ein Blick zurück. 

Die Exzesse der Rolling Stones - Filmmaterial für den Giftschrank

Schon Frank Sinatra wurde von weiblichen Fans in den 40er Jahren heftig umlagert. Kein Wunder: Während die Männer im Pazifik und in Europa kämpften, war "Ol’ Blue Eyes" ein toller "Ersatz", ein Kerl zum Anschwärmen. Elvis und die Beatles wirkten auf viele junge Frauen wie das Licht auf die Nachtfalter und sie nahmen das Angebot dankend an. Lamar Fike, einer aus der Entourage des King of Rock 'n' Roll, erzählte es in einem Interview mal so: "Elvis hat mehr Ärsche gesehen als ein Toilettensitz." 

In den späten 60er Jahren ging es dann richtig ab. Die Rolling Stones galten lange als "Richtgröße" in Sachen Dekadenz, Drogenkonsum und vor allem Groupieverschleiß. Von ihrer berüchtigten 1972er-Tournee durch die USA existiert ein Film, der sämtliche Exzesse ungefiltert auf Zelluloid bannt. Das Material von "Cocksucker Blues" war so deftig, dass es umgehend in den Giftschrank gepackt wurde. Einige wilde Bilder davon vagabundieren durchs Internet. 

Besonders gut dokumentiert ist der berüchtigte Rockstar-Lebensstil von Led Zeppelin, in den 70er Jahren eine Weltmacht der Rockmusik. Sie wurden von Fans verehrt und von Hotelbesitzern gefürchtet, denn die mussten hinterher zuweilen ganze Etagen sanieren. Ihr Tourmanager Richard Cole hat Journalisten und Buchautoren mit saftigen Geschichten gefüttert. Dabei ging er gerne ins Detail, was in den großen Bandbiografien "Hammer Of The Gods" von Stephen Davis und "When Giants Walked The Earth" von Mick Wall mit breitem Pinsel plakativ ausgemalt wird. 

Lesen Sie dazu auch

Amerika war für junge Rockmusiker ein Sex-Disneyland

Natürlich hatte das auch mit der sexuellen Revolution zu tun und mit einer offenbar in den USA ausgeprägteren Freizügigkeit der Frauen. Den jungen Männern aus Europa müssen die Staaten wie eine Art Sex-Disneyland vorgekommen sein. "In England musste man die Mädels damals noch groß zum Essen ausführen, damit sie einen überhaupt in ihre Nähe ließen. Als Bands wie Sabbath und Zeppelin zum ersten Mal nach Amerika kamen, konnten wir das alle nicht glauben. Die Puppen kamen direkt auf uns zu und sagten: ,Ich will mit dir bumsen!' Da konnte keiner von uns widerstehen," erzählte Ozzy Osbbourne Mick Wall. Solche Geschichten über die Wanderorgien tourender Rockbands gibt es zuhauf. Die Metal-Bands der 80er gaben sich alle Mühe, diesen Lebensstil auf die Spitze zu treiben. Die Biografie von Mötley Crüe trägt den treffenden Titel "The Dirt", der Schmutz. Def Leppard ließen auf der Tour zu ihrem Megaseller-Album "Hysteria" das Untergeschoss ihrer Bühne "jeden Abend mit attraktiven Damen füllen, die als Einlasspfand ihre Klamotten abgeben mussten", berichtet das Magazin Classic Rock. Auch eine Band wie die Eagles mit ihrem freundlichen Westcoast-Sound war berüchtigt für ihre Ausschweifungen. Wenn die Musiker keinen Gefallen fanden an den Frauen, die vor der Show am Hintereingang warteten, dann wurden eben noch ein paar neue eingeflogen.

Damit ist schon das Thema Casting angesprochen, das bei Rammstein für Entsetzen und harte Vorwürfe sorgt. Das gab es schon immer, denn die Crewmitglieder der Bands waren angehalten, bei der Auswahl der Groupies auf körperliche Vorzüge zu achten, sonst gab es keinen Zugangspass zum Backstage-Bereich. Der Satz "No ass, no pass" war und ist ein ungeschriebenes Gesetz. 

Die Groupies kamen scharenweise - und die Bands nutzten das aus

Missbrauch spielte schon früh eine Rolle. Jimmy Page führte stets Handschellen und eine Peitsche mit sich, die er auch gebrauchte. Richard Cole räumte ein, er sei sich auch nicht immer ganz sicher, ob den Frauen alles gefallen habe, was mit ihnen angestellt wurde. Sänger Robert Plant glaubte gar sagen zu müssen, dass es "den Mädchen" gefalle, "wenn du sie ein bisschen erniedrigst". Pamela Des Barres ("Im Bett mit den Rockgöttern"), eines der berühmtesten Groupies überhaupt, sagt über Led Zeppelin: "Sie waren ein bisschen extrem, manchmal wurden sie ein bisschen grob. Die Mädels haben alles getan, um ihnen näherzukommen, und das haben sie ausgenutzt."

Dabei gibt es zwei Arten von Groupies: die einen, die nur den schnellen Sex mit einem Star suchen, und die anderen, die ein Teil in diesem Musikzirkus sein wollen. Noch einmal Keith Richards: "Es ging nicht nur um ,oinky-boinky‘. Sie haben auf dich aufgepasst. Sie haben dir die Brust mit Wick Vaporub eingeschmiert, wenn du erkältet warst." Pamela Des Barres oder ihre Groupie-Freundin Chris O’Dell berichten davon, wie sie die Stars vor den Konzerten einkleideten, ihnen Knöpfe annähten und die kleinen Dinge des Alltagslebens regelten. Allerdings waren die meisten Musiker wohl mehr an den Frauen interessiert, die ihnen nicht die Knöpfe annähten. Die US-Journalistin Ellen Sander hat über ihre Erlebnisse mit Led Zeppelin etwas geschrieben, das sich gut verallgemeinern lässt. Sie sollte Anfang der 70er einen Bericht für das Magazin Life schreiben und reiste mit der Band. Nachdem Musiker und Crew-Mitglieder sie attackiert und versucht hatten, die Kleider vom Leib zu reißen, weigerte sie sich, den Artikel zu verfassen und hielt später in einem Buch fest: "Wenn du im Zoo in die Käfige gehst, kannst du die Tiere von Nahem sehen, ihr Fell streicheln und mit der Energie hinter dem Zauber verschmelzen. Außerdem bist du nah genug dran, um die Scheiße zu riechen."

Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

Facebook Whatsapp Twitter Mail