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Antisemitismus in linken Gruppen: Warum es Judenhass nicht nur in der rechten Szene gibt

Subkulturen

Wenn DJs und Klimaaktivisten judenfeindlich sind

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    Auch die queere Szene geht für "ein freies Palästina" auf die Straße.
    Auch die queere Szene geht für "ein freies Palästina" auf die Straße. Foto: Christoph Soeder, dpa

    Egal, ob bei Fridays for Future (FFF), in queeren, sexuell offenen Kreisen oder auch in der Clubszene: Antisemitismus gibt es überall. Auch in Gruppen, die als fortschrittlich oder gar links wahrgenommen werden. „Viele linke Organisationen haben heute Schilder, auf denen steht: Wir sind gegen Rassismus, Sexismus, Ableismus“, sagt der Journalist Nicholas Potter.

    Gemeinsam mit seinem Kollegen Stefan Lauer hat Potter den Sammelband „Judenhass Underground“ (Hentrich & Hentrich) herausgegeben. „Immer wird Antisemitismus an Rechten kritisiert“, sagt Lauer. Nie aber in Subkulturen, nie in den „eigenen Reihen“. Vor allem seit dem 7. Oktober 2023 nehmen Antisemitismus und antisemitische Stellungnahmen zu, heißt es vom Zentralrat der Juden.

    Warum gibt es Judenhass in linken Gruppen?

    Aber warum grenzen Menschen sich klar gegen die meisten Formen von Diskriminierung ab, nicht aber von Antisemitismus? „In vielen Subkulturen besteht das Bedürfnis, auf der Seite der ‚Guten‘ zu sein“, sagt Lauer. Ein gutes Beispiel sei BDS (Boykott, Divestment and Sanctions), eine Kampagne, die den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will. „Sie malen ein eindeutiges Bild: Die Palästinenser sind die Unterdrückten,

    Auch Verschwörungstheorien finden noch immer Gehör bei den Menschen. Das liegt laut dem Zentralrat der Juden daran, dass Antisemitismus tief verankert ist. "Die Ur-Verschwörung ist die wahnhafte Besessenheit davon, dass Juden angeblich für den Tod Christi verantwortlich seien", sagt eine Sprecherin des Zentralrats. "Dieses Ressentiment hält sich." Es gehe darum, solche Denkmuster zu "entlernen". Nach dem Zweiten Weltkrieg sei eine Beschäftigung mit diesen Denkmustern nicht geschehen, das Thema sei nie allumfassend aufgearbeitet worden. "Und das dient als Nährboden für Verschwörungsideologien."

    Nicholas Potter ist Journalist und hat gemeinsam mit Stefan Lauer das Buch "Judenhass Underground" herausgegeben.
    Nicholas Potter ist Journalist und hat gemeinsam mit Stefan Lauer das Buch "Judenhass Underground" herausgegeben. Foto: Olga Blackbird

    Ein weiteres Problem ist laut Stefan Lauer, dass für einige Menschen der Antisemitismus mit dem Jahr 1945 endet. In vielen Köpfen herrsche der Irrglaube, der Nationalsozialismus und die Judenvernichtung seien aufgearbeitet worden, sagt die Sprecherin des Zentralrats der Juden. Um zu zeigen, dass Antisemitismus allgegenwärtig ist, gibt es die Kampagne „Stop repeating Stories“ (deutsch: „Hört auf, Geschichten zu wiederholen“) des Zentralrats. Darin schildern Jüdinnen und Juden ihre Erlebnisse, die sie heute machen. „Am Anfang denkt man, die Geschichte stammt aus den 30er-Jahren“, sagt die Sprecherin. Erst zum Ende hin werde deutlich, dass diese Erlebnisse erst vor Kurzem passierten.

    Antisemitismus bei Fridays for Future und in der queeren Szene

    Gerade der Klimabewegung Fridays for Future (FFF) wurde immer wieder Antisemitismus vorgeworfen. Auf dem internationalen Account auf der Plattform X werden laut Nicholas Potter Verschwörungen bezüglich der Juden gepostet. „Das sind nur zwölf Menschen aus einer Telegram-Gruppe, die den Account bespielen“, sagt er. Zudem solidarisieren sich viele Menschen der Klimabewegung mit Palästina. Gerade der Kopf von FFF, Greta Thunberg, fiel zuletzt immer wieder mit pro-palästinensischen Statements und der Teilnahme an pro-palästinensischen Demonstrationen auf. 

    Stefan Lauer ist Journalist und hat gemeinsam mit Nicholas Potter das Buch "Judenhass Underground" herausgebracht.
    Stefan Lauer ist Journalist und hat gemeinsam mit Nicholas Potter das Buch "Judenhass Underground" herausgebracht. Foto: privat

    Auch in der queeren, der nicht rein heterosexuell orientierten Szene, gibt es Antisemitismus. Sehr prominent ist der Spruch „Palestine is a queer issue“ (auf Deutsch: „Palästina ist ein queeres Thema“). In dieser Szene werde laut Stefan Lauer kaum auf die Abneigung gegen Homosexualität in muslimischen Milieus geschaut. Stattdessen gehe es immer um den Nahostkonflikt. „Es geht nie um die Hamas, die Gaza viel schlimmer unterdrückt, als Israel es je tun könnte.“ Kämpfer der Hamas würden teils als „Freiheitskämpfer“ bezeichnet. „Das ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die von der Hamas unterdrückt werden.“

    Auch in der Clubszene habe die BDS-Kampagne es geschafft, Fuß zu fassen. So teilten viele bekannte DJs die Kampagne „DJs for Palestine“. Nach dem Hamas-Angriff auf das Supernova-Festival am 7. Oktober 2023 hätten sich die DJs laut Potter erst einmal gar nicht geäußert. „Dann haben die DJs was gesagt, was in die Richtung ging: ‚Selbst schuld, wenn man so nah an Gaza tanzt‘“. 

    Antisemitische Fake News verbreiten sich über Social Media

    „Die Leute wissen super wenig über Nahost und Antisemitismus“, sagt Potter. Die Menschen sollten sich nicht nur über Instagram-Kacheln informieren. „Es ist schlimm, was auf

    „Zum Teil werden auch Bilder aus dem syrischen Bürgerkrieg als Gaza-Krieg verkauft“, sagt Potter. Man müsse mehr in Medienregulation investieren, um gegen Fake News vorzugehen. Lauer ergänzt: „Auf Social Media werden viele Menschen erreicht, ohne Korrektiv.“ 

    Judenhass: Was kann man dagegen tun?

    Dadurch, dass Antisemitismus in so vielen Gruppen vorkommt, ist es für Jüdinnen und Juden nicht einfach, sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen. Das höre man gerade von vielen jungen Juden, die noch in der Findungsphase seien, sagt die Sprecherin des Zentralrats der Juden.

    Doch was kann man gegen Judenhass tun? Ein Bewusstsein dafür aufzubauen, dass jeder einzelne in einer Demokratie Verantwortung hat, ist laut der Sprecherin des Zentralrats der Juden ein erster Schritt. Es sei immer wichtig, kritisch zu sein und auch in seiner eigenen Gruppe zu registrieren, wann Gegenrede erforderlich ist.

    Dennoch ist Stefan Lauer überzeugt: „Der Dialog und das Gespräch mit BDS-Unterstützern sollte nicht abbrechen.“ Man solle den Menschen zugestehen, dass sie ihre Meinung ändern. Ein Schwarz-Weiß-Denken sei schwierig. Und auch Nicholas Potter sagt: „Die BDS-Kampagne ist antisemitisch.“ Trotzdem solle man nicht allen Unterstützern kategorisch aus dem Weg gehen.

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