Das Netzwerk Jüdischer Hochschullehrender hat sich in Reaktion auf den seit dem Massaker am 7. Oktober in Israel auch an deutschen Hochschulen zunehmenden Antisemitismus gegründet. Zuletzt wurden in einer Pressemitteilung die Ergebnisse einer Umfrage unter den Mitgliedern veröffentlicht. Viele haben demnach verbale, manche auch physische Bedrohung erfahren, einige berichteten von Hetze und von Versuchen, sie aus Wissenschaft, Forschung und dem öffentlichen Raum auszuschließen. Das Netzwerk hat sich zum Ziel gesetzt, auf den Antisemitismus an Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz aufmerksam zu machen und Konzepte zu dessen Bekämpfung und Eindämmung sowie Bildungsprogramme zu entwickeln und zu fördern. Frau von Fürstenberg, Frau Kranz, wie kam es zur Gründung des Netzwerks? Was hat Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen zusammengeführt?
DANI KRANZ: Die Kollegin Julia Bernstein und Deidre Berger vom Tikvah Insitut haben im Gespräch nach dem 7. Oktober festgestellt, dass wir keine Anlaufstelle als jüdische Hochschullehrende haben und sie haben dann das Netzwerk gegründet. Es ging ehrlich gesagt um Selbsthilfe. Viele von uns haben Familie in Israel. Ich war vier Jahre in Israel an der Universität, und ein Teil meiner Kollegen ist dort niedergemetzelt worden. In den Universitäten und auch von deutschen Kollegen kam in signifikanten Teilen eine unglaubliche Un-Empathie.
ORNA FREIFRAU VON FÜRSTENBERG: Mit den antisemitischen Anfeindungen war es schon immer manchmal schlimmer, manchmal weniger schlimm. Aber für alle geht es gerade in eine negative Richtung. Der 7. Oktober war ein richtiger Brandbeschleuniger.
Wie schätzen Sie die aktuelle Bedrohungslage für jüdische Hochschullehrende oder allgemein Hochschulangehörige an den Hochschulen ein?
VON FÜRSTENBERG: Insgesamt ist der Antisemitismus viel salonfähiger geworden. Den Versuch, jüdische Hochschullehrende aus Wissenschaft, Forschung und dem öffentlichen Raum auszuschließen, weil man sie auslädt, bittet zu gehen oder nicht einlädt, gibt es allerdings manchmal schon aus Konfliktvermeidung. Indem man sich nicht hinter Juden stellt und den Raum für uns offen hält, beschneidet man uns. Dann nehmen sich die Antisemiten den Raum physisch und psychisch mit Gewalt, sodass Vorlesungen teilweise nur noch mit Personenschutz stattfinden können. Vorsorglich wird dann lieber ausgeladen oder gebeten, nicht zu kommen oder bestimmte Statements nicht zu machen oder umzuformulieren. Wenn ich als Wissenschaftler nicht mehr zu einem Kongress gehen kann, weil ich bin, wer ich bin, ist das ein Problem. So kompliziert ist das eigentlich nicht.
KRANZ: Ja, oder im schlimmsten Fall ist die Aussage: Du bist das Problem. Eine meiner Projektpartnerinnen wurde wirklich gebeten, zu Hause zu bleiben und Homeoffice zu machen, denn es sei für sie und ihr Team zu gefährlich, auf den Campus zu kommen. Da ist die Logik: Wenn der Jude nicht da ist, haben wir kein Problem.
Auf welche Widerstände stoßen Sie und andere jüdische Hochschullehrende mit Ihren Anliegen? Gibt es Lichtblicke und Erfolge ihrer Arbeit?
KRANZ: Was mich immer wieder verwundert, ist, wenn es um jüdische Belange und Antisemitismus geht, sind es oft Nicht-Juden, die das ausdefinieren. Das heißt, wir haben auch Kämpfe um Deutungshoheiten. Antisemitismusbeauftragte werden an Universitäten und Hochschulen berufen, ohne dass man einen Juden gefragt hätte, ob das jemand ist, dem sie Vertrauen entgegenbringen können. Es gibt Fälle, in denen Antisemitismusbeauftragte hingesetzt werden, damit man einen hat. Sieht gut aus in der Pressemitteilung. Dagegen gibt‘s in Münster beispielsweise einen sehr engagierten Antisemitismusbeauftragten. Der ist total engagiert, aber er rotiert, weil dieses Aufgabenfeld noch zusätzlich zu seinen sonstigen hinzukommt.
VON FÜRSTENBERG: Wir waren zu einem öffentlichen Fachgespräch zum Thema „Antisemitismus an Bildungs- und Forschungseinrichtungen bekämpfen“ im Bundestag eingeladen, und auch die Kultusministerkonferenz hat Kontakt zu uns aufgenommen. Wir haben also positiv erreicht, dass man ins Gespräch kommt. Das ist Schritt eins. Da müssten Schritt zwei und drei noch folgen.
Ist die aktuelle Auseinandersetzung an den Hochschulen konstruktiv? Oder wird Sie zum Schaden jüdischer Hochschullehrender oder gar der Idee der Hochschule geführt?
VON FÜRSTENBERG: Bei einer Vielzahl der Uniproteste sind es ja belegterweise nicht unbedingt Studenten, sondern ganz einfach Außenstehende, die auflaufen. Und dann gibt es viele Professoren, wie in dem öffentlichen Statement der an Berliner Universitäten Lehrenden, die der Ansicht sind, man dürfe die Versammlungs- und Meinungsfreiheit nicht in der Weise einschränken. Allerdings üben die Protestler in einer Vielzahl von Fällen verbal und physisch Gewalt aus. Ist das denn überhaupt eine Meinung? Juden werden durch diese Gewalt aus der Universität herausgedrängt. Und dann gibt es noch politische Interessengruppen, die die unterschiedlichen Parteien an den Unis für ihre Sache instrumentalisieren und die große Masse, die sich gar nicht so sehr mit dem Thema auseinandergesetzt hat.
KRANZ: Was man wirklich attestieren kann: Das Wissen über lebende Juden und Israelis genauso wie über Palästinenser und Muslime und den Nahen Osten ist in Deutschland katastrophal. Es wird in den Schulen nicht vermittelt, in den Hochschulen, wenn überhaupt, nur rudimentär. In Deutschland kann ich eine ganze Bildungskarriere inklusive Promotion oder auch Professur absolvieren, ohne mich jemals mit diesen Themen beschäftigt zu haben.
VON FÜRSTENBERG: Also ist die Debatte konstruktiv? Sie wird oft an der Oberfläche geführt, und kann deswegen gar nicht konstruktiv sein.
KRANZ: In dem Brief der Berliner Lehrenden wurde darauf gepocht, Inhalt und grundgesetzlich verbriefte Versammlungsfreiheit sind getrennt. Meine Frage an die Kollegen: Hättet ihr auch unterschrieben, wenn es ein Camp für die AfD, Reichsbürger oder Ähnliche gewesen wäre? Ich habe da bis heute keine Antwort darauf erhalten. Man scheint zu unterscheiden, wer oder was bedroht wird, und daran zeigt sich doch, dass man Form und Inhalt eben nicht trennt.
Gibt es denn in der Wissenschaftspolitik etwas, dass sich Ihrer Ansicht nach ändern müsste, damit die Hochschulen für deren jüdische Angehörige ein sicherer Ort würden? Was wünschen Sie sich aus den zuständigen Ministerien des Bundes und der Länder?
VON FÜRSTENBERG: Der Wille ist grundsätzlich da, das merkt man deutlich. Man nimmt uns wahr und sucht das Gespräch mit uns. Die konkrete Umsetzung, ob das jetzt finanzielle Hilfen sind, ob das wirklich ein Etablieren von Kursen, die Förderung von Wissenschaft ist, da gibt es eine unendliche Bandbreite von Maßnahmen, die man ergreifen könnte und müsste.
KRANZ: Die Forschungsfreiheit wird schon durch die Drittmittel-Abhängigkeit der Universitäten und Hochschulen unterminiert. Deshalb muss ich immer gucken, dass mein Projekt anschlussfähig ist. Wenn ich aber eine konträre Meinung habe, dann habe ich sehr schlechte Karten. Da muss man strukturell gegenfinanzieren, damit man auch einen Meinungsaustausch hat, weil man sonst nur das haben wird, was Orna als Interessengruppen benannt hat. Ich mache jetzt seit Jahren Lobbying mit einer Kollegin für ein Institut für jüdische Gegenwartsforschung, die bis heute nicht institutionalisiert ist. Im BMBF hat man diese Lücke immer noch nicht verstanden, weil wir jedes Mal auf die üblichen Institute verwiesen werden, die sich aber mit toten Juden befassen und wir leben halt. Und wenn man sich nicht langsam mit uns Lebenden als Lehrerende und auch als Teil der ganz normalen Forschung befasst, dann wird es ganz bitter enden.
Zur Person
Dr. Orna Freifrau von Fürstenberg ist Juristin und hält an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main gemeinsam mit Professor Klaus Günther Seminare zum Thema Strafrecht und Antisemitismus.
Prof. Dr. Dani Kranz ist Anthropologin, lehrte und forschte an der Ben Guiron-Universität in Israel, war als DAAD visiting Professorin in Deutschland tätig und ist aktuell Lehstuhlinhaberin des DAAD-geförderten Humboldt-Lehrstuhls am Colegio de Mexico in Mexiko-Stadt.
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