Sie antwortet klar, nüchtern und nur manchmal schickt Anne Applebaum ihren Ausführungen ein kleines Lächeln hinterher. Die Historikerin und US-Journalistin ist bekannt für ihre scharfen Analysen politischer Machtprinzipien. Mit welchen Mitteln Autokratien wie Russland, China, der Iran unsere Demokratie unterwandern und gefährden, erklärt sie in ihrem Buch „Die Achse der Autokraten“, das vor einigen Tagen in deutscher Übersetzung erschienen ist. Am Sonntag erhält Applebaum in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Eine diplomatische Lösung im Ukraine-Krieg ist für Anne Applebaum keine Option
Diese Auszeichnung im Namen des Friedens mag manchen überraschen angesichts ihrer vehementen Fürsprache für eine stärkere militärische Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen Russland. Eine diplomatische Lösung des Konfliktes, wie sie zunehmend auch in Deutschland gefordert wird, ist für Applebaum keine Option. Schon 2003 hatte sie auch gegen Saddam Hussein eine militärische Lösung durch den Irak-Krieg befürwortet.
Als Korrespondentin in Polen erlebte Applebaum den Fall des Eisernen Vorhangs
Auch sie selbst habe es zunächst nicht glauben können, als sie davon erfuhr. „Sind Sie sicher, dass Sie mich meinen?“, diese Frage sei ihre erste Reaktion gewesen, erzählte Applebaum am Freitag auf der Frankfurter Buchmesse vor Journalistinnen und Journalisten. Ihr Verständnis von Frieden habe nichts zu tun mit der herkömmlichen Vorstellung von Pazifismus. Umso mehr freue sie sich, auch weil Deutschland eines der bedeutendsten Länder in Europa sei, das immer wieder wichtige Debatten anstoße. „Was hier passiert, hat Echo und Einfluss an so vielen anderen Orten in der Welt, dass ich es als großes Privileg empfinde, Teil dieser Debatten zu werden.“
Anne Applebaum, 1964 als Kind jüdischer Eltern in Washington geboren, studierte russische Geschichte und Literatur in Yale sowie Internationale Beziehungen in London. Seit mehr als 30 Jahren schreibt sie für internationale Medien, unter anderem berichtete sie als Polen-Korrespondentin des Economist in den 1990er Jahren über den Fall des Eisernern Vorhangs. Sie ist mit dem polnischen Außenminister Radosław Sikorski verheiratet, besitzt neben der amerikanischen die polnische Staatsbürgerschaft und lebt teils in den USA, teils in Polen.
Autokratische Staaten bilden ein Netzwerk
Anders als während des Kalten Krieges im 20. Jahrhundert, in dem sich zwei feindliche Blöcke gegenüberstanden, macht Applebaum aktuell ein Netzwerk von Diktaturen aus, die die westlichen Demokratien gefährden. Kein übergreifendes ideologisches Ziel verbinde Länder wie Russland, Iran, China oder auch Venezuela, deren System nicht auf transparenten Regeln beruhe. Vielmehr seien es opportunistische Eigeninteressen, die sie auf vielen Ebenen zusammenarbeiten ließen. „Zunehmend sehen sie, dass sie einen gemeinsamen Feind haben. Dieser Feind sind wir und unsere fundamentale Idee von Freiheit mit Prinzipien wie Gewaltenteilung, unabhängigen Gerichten und freier Presse.“ Vor einigen Jahren noch sei diese Behauptung, dass sich Diktatoren über ideologische Grenzen hinweg zusammenschließen, fremd und exotisch erschienen, aber mittlerweile, so Applebaum, sehe man die Auswirkungen an den Krisen und Kriegen weltweit.
Ein „neues Geschäftsmodell“ habe diesen Kampf gegen die Demokratie so wirksam werden lassen: die Verknüpfung von Wirtschaft und Politik. „Die Regierenden sind sehr oft auch die Besitzer der wichtigsten Unternehmen im Staat“, führte sie in Frankfurt mit Verweis auf den russischen Energiekonzern Gazprom aus. „Es ist zwar eine private Gesellschaft, aber die Gewinne fließen an hochrangige russische Politiker. Geschäft und Politik sind eins geworden, Gazprom ist ein Werkzeug für russische Politik.“ Dazu kämen anonyme Firmen, Steueroasen und andere Mittel, die Autokraten, auch mithilfe des organisierten Verbrechens, nutzten, um ihr Geld in unserem Finanzsystem zu verstecken.
Das Internet gibt Autokraten die Möglichkeit, schnell und weltweit zu kommunizieren
Als weiteres Werkzeug autokratischer Staaten macht Anne Applebaum neue Technologien, speziell das Internet, aus. Menschen hätten keine Kontrolle mehr über ihre Daten, das mache es leicht, sie zu verfolgen. Durch das Internet hätten Autokraten aber auch die Möglichkeit, ihre Nachrichten und Sichtweisen innerhalb von Minuten weltweit zu verbreiten. „Wir sind ein wenig spät dran, diese Mechanismen zu erkennen.“
Applebaum plädiert deshalb für neue Regeln sowohl im Finanzsystem, um diese „Kleptokratie“, wie sie es nennt, zu beenden, als auch im Internet. Soziale Medien müssten juristisch dafür verantwortlich gemacht werden, für die Dinge, die sie veröffentlichen, Algorithmen müssten transparenter werden und den Menschen die Kontrolle über ihre Daten ermöglicht werden.
Eine Chance, diese Netzwerke zu durchbrechen, sieht Anne Applebaum unter anderem darin, die Staaten, die zwischen den Autokratien stehen, die Interesse daran haben, Kontakt mit der demokratischen Welt zu pflegen, zu stärken. „Wir sollten mit allen sprechen“, meint Applebaum, auch mit denen, die derzeit Russland gegen die Ukraine unterstützen. Allerdings sei sie nicht so naiv zu glauben, wie dies einst der englische Premier Tony Blair zum Besten gegeben habe, dass man nur alle in einem Raum zusammenbringen und mit ihnen Bier trinken müsse, dann werde schon alles gut. „Ich glaube nicht, dass alle Probleme durch Kommunikation gelöst werden können.“
Applebaum: Jeder Konflikt benötigt andere Strategien
Ihre Vorstellung von Frieden? „Es gibt keine Formel für Frieden“, jeder Konflikt benötige andere Strategien. In der Ukraine wäre der Krieg durch Abschreckung mit militärischer Aufrüstung zu vermeiden gewesen, ist Applebaums Ansicht. Im Nahen Osten dagegen sieht sie Spielraum für Diplomatie unter der Voraussetzung, dass Iran die Existenz Israels nicht infrage stellt und Israel den Palästinensern das Recht auf einen eigenen Staat zugesteht. Ebenso könnten auch im Sudan, dem dritten großen Konfliktherd, Verhandlungen einiges bewirken.
Nicht Pazifismus, aber Analyse als friedensstiftende Maßnahme, das ist in den Augen der Jury die Begründung für die Vergabe des Friedenspreises an Anne Applebaum, wie Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, ausführte. „Sie öffnet uns die Augen für das, was in autokratischen Regimen passiert und für die Gefahr, die davon für unsere liberale Demokratie ausgeht - so akribisch klar, dass es schmerzt.“
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