Dass Künstlerinnen in den Museen moderner und zeitgenössischer Kunst mittlerweile guten Stand haben, ist nicht nur hierzulande unübersehbar: Mit steigendem Frauenanteil auf Kuratorinnen- und Direktorinnen-Positionen stieg kontinuierlich auch die Präsentation weiblicher Kunst – oft, nicht immer, als stark verspätete Wiedergutmachung. Nur die Sammlungen alter Kunst bis hin zum Ende des 19. Jahrhunderts taten und tun sich schwer, das Augenmerk auf Künstlerinnen zu lenken, obwohl es sie natürlich neben Artemisia Gentileschi und Angelika Kauffmann gibt. Aber eben nicht in Hülle und Fülle.
Die Alte Pinakothek München widmet dem „Kunstwunder“ Rache Ruysch eine Retrospektive
Wenn nun die Alte Pinakothek in München der niederländischen Stillleben-Malerin Rachel Ruysch (sprich: Reus) eine Retrospektive widmet, dann geschieht dies gewiss nicht zu früh: Zum Einen galt die Malerin schon zu Lebzeiten als Koryphäe mit preistreibender Bestellliste kaufwilliger Kunstsammler, zum Zweiten ist die Alte Pinakothek seit jeher prädestiniert, Ruysch zu zeigen, da sie ja einige ihrer Werke aus den ehemaligen hochadeligen Galerien von Zweibrücken, Mannheim und Düsseldorf besitzt. Rachel Ruysch war Anfang des 18. Jahrhunderts Hofmalerin des Wittelsbacher Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz in Düsseldorf. Als sie 86-jährig in Amsterdam starb, galt sie als eine „geniale Kunstheldin“ und als „Kunstwunder“ Hollands.
Dieses Kunstwunder Ruysch hatte nicht nur gute, es hatte beste und die entscheidenden Voraussetzungen. Nämlich ein immens förderndes Elternhaus. Wie so viele der abzählbaren hoch erfolgreichen (Barock-)Malerinnen besaß auch Rachel einen Vater, der künstlerische Ambitionen hatte – und mehr noch: der als ein angesehener Wissenschaftler, Forscher, „Intellektueller“ seiner Zeit wirkte. Frederik war Apotheker, Chirurg, Professor der Botanik wie der Anatomie und baute in Amsterdam eine bewunderte öffentliche Sammlung von menschlichen, tierischen, pflanzlichen Präparaten auf. So kam es, dass die 1664 in Den Haag geborene Rachel erstens bei Willem van Aelst, dem renommiertesten Amsterdamer Stilllebenmaler, in die Lehre ging und zuhause umfangreiches, auch aus fernsten Ländern stammendes Anschauungsmaterial in Sachen Flora und Fauna vor Augen hatte.
Die Blütenpracht wächst dem Betrachter aus Rachel Ruyschs Gemälden entgegen
Das wirkte. Die jetzt international bestückte Schau der Alten Pinakothek mit 81 Gemälden, 57 darunter von Rachel Ruysch, reißt in ihrer so opulenten wie präzisen Feinmalerei, in ihrer farbsinnlichen Pracht bei Bildkomposition und Bilddetail hin. Ob wir auf Waldböden, auf Früchte oder auf Blumenbouqets blicken: Parallel zur Entwicklung der Mikroskopie im 17. Jahrhundert ist hinsichtlich eines nahezu mit Händen zu greifenden Illusionismus das Auge scharf zu stellen. Aus dem Dunkel des Hintergrunds wächst den Betrachtern das Zentrum von Blütenpracht im „Spotlight“ gleichsam entgegen. Ringel- und Schachbrettblume, Rittersporn und geflammte Tulpe, Nelke, Lilie, Winde, Rose: Dicht gebündelt, mimetisch wiedergegeben, scheinen sie unter Tautropfen geradezu zu duften, während reife Früchte glänzend im Saft stehen. Die Tierwelt aber bringt erhebliche Dynamik ins Arrangement: der pickende Eichelhäher, die sich im Kriechen aufbäumende Raupe, die Heuschrecke und Schmetterling jagende oder am gebrochenen Vogelei schlürfende Eidechse. Alles der lebenden Natur und Papas Präparaten abgeschaut.
Nicht mehr das Stillleben als Vanitas-Idee ist Antriebsgrund dieser Malerei – obgleich auch Ruysch noch Verwelken und Vergänglichkeit wiedergibt –, nun rücken Naturwissenschaft, exakte Wiedergabe und Augenlust in den Vordergrund. Genussvoll zu studieren ist immer etwas, bis hin zur ausgreifenden, stolzen Signatur der Malerin auf Marmorsims. Das größte Bild Ruyschs in dieser Schau, überbordend in seiner Blütenherrlichkeit, stammt übrigens – soeben frisch restauriert in München – ebenso aus den Kunstsammlungen Augsburgs wie ein Blumenstillleben Maria van Oosterwijcks, einst ein Vorbild der lernenden Rachel.
An der Schnittstelle zwischen Kunst, Natur und Wissenschaft
Weil aber selbst die schönsten Stillleben in Dutzend-Reihung ermüden könnten, wird die Ruysch-Retrospektive von einem Raum unterbrochen, der sich der dem Unternehmen zugrunde liegenden großen Schnittstelle widmet, der Schnittstelle zwischen Kunst, Natur und Wissenschaft. Sie dürfte durch Leihgaben aus Münchens naturwissenschaftlichen Sammlungen stets stark frequentiert sein. Schon allein wegen der Dokumentation von echten Schmetterlingsflügeln, die Ruysch in ihre Bilder integrierte und wegen des Naturwunders Wabenkröte als Präparat und als Gemälde ihrer Hand.
Alte Pinakothek, geöffnet Dienstag und Mittwoch 10 bis 20 Uhr, Donnerstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr; Laufzeit: bis 16. März
Vielen, vielen Dank für Ihre inspirierende Rezension. Sie macht Lust und Laune, wieder mal in die Alte Pinakothek zu gehen.
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