Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten

Albumkritik: Erste Solo-CD: Geigerin Veronika Eberle zeigt, was man mit Beethoven machen kann

Albumkritik

Erste Solo-CD: Geigerin Veronika Eberle zeigt, was man mit Beethoven machen kann

    • |
    Geigenvirtuosin aus Donauwörth: Veronika Eberle
    Geigenvirtuosin aus Donauwörth: Veronika Eberle Foto: Felix Bröde

    Zwei große Dirigenten, zwei vielversprechende jugendliche Geigerinnen und die Festspiele Salzburg: Was der einst 13-jährigen Anne-Sophie Mutter im Jahr 1976 der Dirigent Herbert von Karajan bedeutete, dies wurde auch Sir Simon Rattle im Jahr 2006 für die damals 17-jährige Veronika Eberle aus Donauwörth – ein Mentor, ein Fürsprecher, ein väterlicher Förderer von immensem Einfluss. 2006, da schon litt Veronika Eberle nicht an Unterbeschäftigung: Das Abitur zu Hause in Schwaben noch nicht in der Tasche, studierte sie doch schon Violine bei Ana Chumachenco an der Münchner Musikhochschule und bereitete sich auf ihr Debüt bei den Berliner Philharmonikern vor. Wer kann, der kann.

    Zu Simon Rattle und Veronika Eberle gesellt sich das London Symphony Orchestra

    Seinerzeit führte Eberle mit Rattle das Violinkonzert von Beethoven auf, und in dieser Kombination hat sie nun auch ihre erste Solo-CD aufgenommen. Ludwig, Simon, Veronika. Dazu das London Symphony Orchestra, das Rattle in der kommenden Spielzeit verlässt, wenn er im Herbst beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks als Chefdirigent angetreten sein wird. Allerdings ist Beethovens Violinkonzert gewiss nicht unterrepräsentiert auf dem Schallplatten- und CD-Markt; so mancher Klassikfreund – er muss nicht einmal Violin-Fan sein – hat davon gleich zwei, drei Interpretationen im Regal stehen. Itzhak Perlman und David Oistrach konnten es auch ganz schön spielen. 

    Im Interesse aller also ist es geboten, mehr als das Beethoven-Übliche zu tun. Und genau das tut Veronika Eberle, indem sie zu Rattles unpathetischer Begleitung hinsichtlich der Binnen-Tempi-Gestaltungen eine durchaus impulsive Aufnahme vorlegt, vor allem aber, indem sie dieses D-Dur-Konzert von berufener Komponistenhand dort runderneuern ließ, wo es philologisch nicht nur statthaft, sondern im Grunde genommen seit jeher auch erwünscht ist.

    Nämlich in den Konzertkadenzen, da Solisten gefragt sind zu beweisen, was sie improvisatorisch draufhaben in der Auseinandersetzung mit dem kompositorischen Material eines Werks. Eberle und Rattle nun beauftragten den Komponisten und Klarinettisten Jörg Widmann, drei deutlich ausgedehnte neue Kadenzen zu schreiben, für jeden Satz eine. Sie haben es in sich. Sie greifen geradezu Beethovens unwirschen, ja zeitweise unberechenbaren Charakter auf, sie erneuern Beethovens musikalische Radikalität gut 200 Jahre nach der Uraufführung, sie verknüpfen motivisch das gesamte Werk, verweisen also im ersten Satz auf das Finale – und umgekehrt. 

    Komponist Jörg Widman fügt Beethovens berühmtem Violinkonzert Pauke und Kontrabass hinzu

    Und: Jörg Widmann, Kompositionsprofessor an der Barenboim-Said-Akademie Berlin, gibt der Solo-Violine in diesen Kadenzen noch Dialogpartner hinzu: die Pauke, mit ihrem Pochmotiv von fünf Schlägen eh der Empfangs-Chef des Konzerts, sowie einen Kontrabass. Als Trio setzen sie einen geradezu scharfen Kontrapunkt zu dem auch hier humanistisch beseelten, kantablen, temporär gar intimen Beethovenwerk: klanglich experimentell, hochexpressiv im Ausdruck, in den kraftvollsten Passagen geradezu von Happening-Charakter. In der Kadenz des zweiten Satzes nimmt Veronika Eberles "Dragonetti"-Stradivarius-Violine geradezu den entrückten, eisig-schneidenden Sphärenklang der Glasharmoniks an; in die Kadenz des dritten Satzes wehen peitschende Tanzboden- und Jazzpartikel herein. 

    Das alles: eigenständig, substanzvoll und Horizont-erweiternd. Was man mit Beethoven berechtigt machen kann, wie modern er war und ist – es dauerte ja Jahrzehnte, bis sein Violinkonzert akzeptiert wurde –: Veronika Eberle, Simon Rattle und das London Symphony Orchestra führen es zugespitzt vor. Zugabe: das Fragment von Beethovens C-Dur-Violinkonzert (1790/1792). 

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden