Es gibt Regisseure, die Schauspielerinnen als Lockvögel inszenieren: Unruhe stiftender Wimpernaufschlag, Silhouette nach Sanduhr-Norm, ein Verhängnis auf zwei Beinen, dabei kapriziös, aber bitte nicht grob-brachial. Die Franzosen kennen dafür einen Begriff: "Femme fatale". Eine Französin aber wehrt sich gegen das alte Schnittmuster: "Ich mag den Begriff Femme fatale nicht", sagt Justine Triet im Interview mit dem Standard. In ihren Filmen zeichnet die Regisseurin ein realistisches Gegenbild: Frauen zwischen Berufsalltagstrott und Liebeskrise, Wäschekorb und Aktenkoffer, Mutterschaft und Gala-Auftritt. Und diese Kriterien erfüllt auch die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller in "Anatomie eines Falls". Mit ihrer Rolle in Triets Drama ist sie für einen Oscar nominiert. Wer aber ist die Regisseurin hinter Hüllers Erfolg? Die Künstlerin, die sich für die Kultur auch mit dem französischen Präsidenten anlegt?
Justine Triet kritisierte in Cannes Emmanuel Macrons Kulturpolitik
In Fécamp, an der Küste der Normandie, kam Justine Triet 1978 zur Welt. In Paris fand sie zum Film und schuf bald ihre eigenen Heldinnen: "Victoria – Männer & andere Missgeschicke" (2016) drehte sich romantisch-komödiantisch um eine alleinerziehende Anwältin. "Sybil – Therapie zwecklos" (2019) um die Neurosen einer Psychotherapeutin. "Der Präsident und meine Kinder" (2013) erzählte von einer Reporterin, die zwischen Wahlkampf-Schlagzeilen und Sorgerrechtsstreit ins Schleudern gerät. Und mit Emmanuel Macron, Frankreichs echtem "Monsieur le Président", legte sich Triet in einer Dankesrede an: "Die Kommerzialisierung der Kultur, die die neoliberale Regierung verteidigt, ist dabei, die kulturelle Einmaligkeit Frankreichs zu brechen", sagte sie, als sie mit "Anatomie eines Falls" in Cannes 2023 die Goldene Palme gewann.
Triets Film ist fünfmal für einen Oscar nominiert
Jetzt peilt Triet die Oscars an, fünf Nominierungen hat ihr "Anatomie eines Falls" eingebracht, darunter bester Film, beste Regie. Der Plot des Krimis? Ein Mann stürzt in den Tod, seine Frau gerät in Verdacht. Diese Figur lernt vor Gericht den Sexismus der Justiz kennen. Sie muss doch schuldig sein? So egoistisch, wie sie mit ihrem Mann umging? Triet – Mutter zweier Kinder, verheiratet – bezieht Stellung: "Ich finde die Figur überhaupt nicht egoistisch. Sie macht das, was die Männer immer schon getan haben. Sie nimmt sich ihren Platz, ohne um Erlaubnis zu fragen."