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„Zauber der Schrift“: Handschriften von Prominenten: In der Kritzelei liegt die Wahrheit

„Zauber der Schrift“

Handschriften von Prominenten: In der Kritzelei liegt die Wahrheit

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    Autogramm-Postkarten der Tänzerin Josephine Baker und des Indianerhäuptlings Sitting Bull. 
    Autogramm-Postkarten der Tänzerin Josephine Baker und des Indianerhäuptlings Sitting Bull.  Foto: Taschen-Verlag

    Keine lächelt so hinreißend von ihrer Autogrammkarte wie Josephine Baker. Dass nicht bloß die Männer im Pariser Théâtre des Champs Élysées hin und weg waren, ist zu verständlich – so charmant, fast frech blitzt es aus ihren dunklen Augen. Das Bild wurde um 1930 aufgenommen, da war Josephine keine 25 und die am häufigsten fotografierte Tänzerin Europas. Und auch die am besten bezahlte.

    Die Karte gehört zu den Hinguckern einer ausufernden Sammlung an Autografen: Rund 100.000 Schriftstücke hat der 61-jährige Pedro Corrêa do Lago seit seiner Kindheit zusammengetragen. Die interessantesten Beispiele waren bereits in Ausstellungen zu sehen, vor einem Jahr etwa in der renommierten New Yorker Morgan Library, die neben wertvollen alten Handschriften und Inkunabeln selbst zahlreiche Musikautografen beherbergt.

    Michelangelo bestellt mal wieder Marmor

    Aus Corrêa do Lagos Fundus sind nun 140 Highlights in einem Band zusammengefasst, der in vielsagenden Schnipseln durch 900 Jahre Weltgeschichte führt. Das reicht von einem Zettel, mit dem Bildhauer Michelangelo Marmor für die Fassade von San Lorenzo in Florenz bestellte, bis zu den Notizen zwischen Fidel Castro und Che Guevara. Und ein Daumenabdruck des Physikers Stephen Hawking ist auch dabei.

    Die Kollektion des Schriftstellers aus Rio de Janeiro wirft Schlaglichter auf bedeutende Ereignisse. Aus Fotografien oder Skizzen, versehen mit zwei, drei Sätzen, lässt sich mitunter mehr herausfiltern als aus sachlichen Geschichtsbüchern. Da äußert sich zum Beispiel der Maler (und Diplomat) Peter Paul Rubens kritisch über den Kolonialkrieg der Niederländer in Brasilien. Der Bürgerrechtler Malcom X wiederum vergleicht die USA mit Südafrika und kommt zum ätzenden Ergebnis, dass man in

    Jean-Paul Sartre lehnt den Literatur-Nobelpreis ab 

    Auch ein Briefentwurf Jean-Paul Sartres an die Schwedische Akademie aus dem Jahr 1964 ist dabei. In ihm kündigt Sartre an, den Nobelpreis „weder in diesem Jahr noch in der Zukunft“ anzunehmen. Blöd nur, dass seine finanzielle Situation nicht die beste war, und bis heute hält sich das Gerücht, er habe Jahre später um die Auszahlung des Preisgelds gebeten.

    Zwischendrin findet man dann fast anrührend Privates: Der spätere britische König George VI. erkundigt sich 1929 bei einem Freund, wie er ein geeignetes Pony für seine kleine Tochter Elizabeth, heute die Queen, bekommen könne. Und Georges alter Weggefährte Winston Churchill schreibt 1955, kurz nach seinem Rücktritt, besorgt an seine erste große Liebe Lady Lytton: „Ich taumle in den Schatten des Ruhestandes“.

    Attraktiver wird so ein Autograf durch Bilder. Bei Henri Matisse sind das einfache, aber prägnante Blumen; Jackson Pollock und Lee Krasner kritzeln Wild-Expressives; Charlie Chaplin grüßt humorvoll mit Stock, Melone und Stiefeln; Walt Disney zeichnet mit flotten Kreisen eine Mickey Mouse. Wobei sich Fotografien wie im Fall von Josephine Baker genauso gut machen – egal ob vom Gangster-Boss Al Capone oder vom Zaren-Magier Rasputin, der so durchdringend starrt, als wollte er seinen Betrachter noch übers Bild manipulieren.

    Sitting Bull schaut missmutig in die Kamera

    Manchmal aber steckt in einer einzigen Autogrammkarte die Tragik eines ganzen Volkes. Das vermittelt ein Foto von Sitting Bull aus der Zeit um 1885. Am Hut steckt ein Schmetterling, doch der Häuptling der Hunkpapa-Lakota-Sioux schaut missmutig in die Kamera. Die siegreiche Schlacht am Little Big Horn liegt schon fast zehn Jahre zurück, mittlerweile musste er kapitulieren, die Weißen haben sich das Land einverleibt, und der große Anführer der Indianer ist in Buffalo Bills Wildwestshow auf Tour. Mit wöchentlichem Salär – und mit der Lizenz, Autogramme verkaufen zu dürfen. Schlimmer kann es für einen stolzen Krieger wie

    „Zauber der Schrift“, Sammlung Pedro Corrêa do Lago, Taschen Verlag, 464 Seiten, 30 Euro.

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